| # taz.de -- Pressefreiheit in den USA: Mit dem Zeigefinger auf die Presse | |
| > Im September wurde der investigative US-Journalist Jeff German ermordet. | |
| > Angriffe auf Journalisten in den USA nehmen seit Trumps Präsidentschaft | |
| > zu. | |
| Bild: Jeff German recherchierte jahrzehntelang zu Korruption, Vetternwirtschaft… | |
| Jeff German lag erstochen vor seinem Haus in Las Vegas. Falls die | |
| DNA-Spuren unter seinen Fingernägeln und die Aufzeichnungen von | |
| Videokameras stimmen, ist der 69-Jährige das Opfer eines gewählten | |
| Amtsträgers geworden, der erzürnt über seine Arbeit war. German war | |
| investigativer Journalist. Sein Spezialgebiet seit Jahrzehnten waren | |
| Korruption, Vetternwirtschaft, Affären und Gewalt in der Sin-City. | |
| Die blutige Spur vom 3. September 2022 führte binnen weniger Tage zu Robert | |
| T., der seither in Untersuchungshaft sitzt. Robert T. war örtlicher | |
| Verwaltungschef von Clark County und hatte im Juni eine Wahl verloren, | |
| nachdem German eine Recherche über Misswirtschaft und Mobbing in seinem | |
| Büro veröffentlicht hatte. Zum Zeitpunkt seiner Ermordung arbeitete German | |
| an einer Fortsetzung jener Recherche. | |
| Der mutmaßliche Mörder ist ein Demokrat. Der Ermordete arbeitete für das | |
| Las Vegas Review-Journal, die größte Tageszeitung von Nevada und zugleich | |
| eines von ganz wenigen Blättern in den USA, die 2020 zur Wahl von Donald | |
| Trump aufgerufen haben. Letzteres ist eine Folge davon, dass der inzwischen | |
| verstorbene Kasinomilliardär Sheldon Adelson, ein Unterstützer der | |
| Republikaner in den USA und des Likud in Israel, das Blatt übernommen hat. | |
| So weit bekannt, sind in den USA in den letzten drei Jahrzehnten 13 | |
| Journalisten ermordet worden. Unter anderem erschoss ein ehemaliger Kollege | |
| im Jahr 2016 zwei Fernsehjournalisten in Virginia. Im Jahr 2018 erschoss | |
| ein Attentäter fünf Menschen in der Redaktion der Capital Gazette in | |
| Maryland. | |
| Was das Verbrechen von Las Vegas von den Journalistenmorden der | |
| zurückliegenden Jahrzehnte in den USA unterscheidet, ist, dass der | |
| mutmaßliche Täter ein Amtsträger war. Und dass seine Tat wie die Vergeltung | |
| für journalistische Arbeit aussieht. In einem Land, in dem die Hetze gegen | |
| Journalisten und Medien ein zentraler Bestandteil der Kampagnen des | |
| ehemaligen Präsidenten und seiner Gefolgsleute geworden ist, sorgt das für | |
| Angst und Verunsicherung. Bei den verbliebenen Lokalredaktionen, die | |
| weniger Personal und finanzielle Mittel als die Medienunternehmen in den | |
| großen Küstenstädten haben, ist das am deutlichsten spürbar. | |
| ## Viele Präsidenten beschuldigten Journalisten | |
| Misstrauen gegen Journalisten in den USA ist nicht grundsätzlich neu. | |
| Zahlreiche Präsidenten, angefangen mit George Washington und Thomas | |
| Jefferson, verdächtigten Journalisten der Lüge. Als Richard Nixon in den | |
| frühen 1970er Jahren wegen der Watergate-Affäre in die Enge geriet, machte | |
| er „die Medien“ verantwortlich. | |
| Aber kein US-Präsident hat [1][die Medienhetze so weit und so intensiv | |
| getrieben wie Donald Trump]. Er hat Journalisten immer wieder verbal | |
| angegriffen. Hat Worte wie „Fake-Media“, „Lügenpresse“ und „Feinde d… | |
| Volkes“ in Umlauf gebracht. Hat Journalisten namentlich verunglimpft. Hat | |
| sie aus Pressekonferenzen herausgeschmissen. Und hat seinen Anhängern die | |
| Carte Blanche für den Umgang mit Leuten gegeben, die ihnen nicht in den | |
| Kram passen. | |
| Zwei Trump-Anhänger, Mitglieder der lokalen Zweigstelle der Proud Boys in | |
| Florida, schmierten am 6. Januar 2021 die Worte „Murder the Media“ [2][an | |
| eine Wand des gestürmten US-Kapitols] in Washington. Der Mordaufruf war | |
| zugleich der Name ihrer Onlinegruppe. Für Trump ist die Medienhetze fester | |
| Bestandteil seines Kampagnenrepertoires. | |
| Am 29. Oktober 2016, wenige Tage vor seiner Wahl zum US-Präsidenten, war | |
| die Autorin dieser Zeilen zum ersten Mal dabei, als er im Convention Center | |
| von Phoenix, Arizona, mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf die | |
| mehreren Dutzend Journalisten und Kameraleute wies, mit denen sie auf einem | |
| Podium am hinteren Ende des Saals stand. | |
| Eingebettet in ein Redesegment über Morde und andere Gewaltverbrechen, | |
| sagte Trump: „Das sind die unehrlichen Medien. Die unehrlichsten Menschen | |
| der Welt. Schreckliche Menschen“ – Tausende Anhänger im Saal folgten dem | |
| ausgestreckten Arm und Finger. Sie drehten sich zu den Journalisten auf der | |
| Tribüne um und buhten sie aus. Ein Mann aus der Menge ging weiter. Er kam | |
| direkt vor die Journalistentribüne und schrie etwas über „jüdische | |
| Journalisten“. Er wurde des Saals verwiesen. Aber der Anstifter und seine | |
| Tausenden von Anhängern blieben. Auf der Pressetribüne hielt sich die | |
| Gewissheit: Wir waren im Visier. | |
| Seit jenem Wahlkampf haben die Angriffe auf Journalisten in den USA weiter | |
| zugenommen. In Missouri wollte Gouverneur Mike Parson einen Reporter des | |
| St. Louis Post-Dispatch anklagen, weil der über eine Datenlücke auf der | |
| Webseite der Regierung des Bundesstaats berichtet hatte. Es dauerte vier | |
| Monate, bis ein Staatsanwalt die Verfolgung einstellte. | |
| ## „Bereitet das Schlimmste vor, hofft auf das Beste.“ | |
| In Oregon ermittelte die Justiz zwei Jahre lang gegen eine Reporterin des | |
| öffentlichen Radiosenders NPR, die über die polizeiliche Räumung eines | |
| Obdachlosenlagers berichtet hatte. Erst in diesem Monat stellte ein Richter | |
| die Ermittlungen ein. Auch das Auslieferungsbegehren gegen Julian Assange, | |
| den in London einsitzenden Gründer von Wikileaks, geht weiter. Die USA | |
| werfen ihm „Spionage“ vor, weil er unliebsame Informationen über Militär | |
| und Diplomatie veröffentlicht hat. | |
| Das behördliche Vorgehen und die Gewalt gegen Reporter in den USA | |
| eskalierten im Sommer 2020. Im Mai ermordete ein Polizist in Minneapolis | |
| den Afroamerikaner George Floyd. Bei den antirassistischen Protesten quer | |
| durch das Land wurden auch zahlreiche Journalisten verletzt, festgenommen | |
| und an der Arbeit gehindert. | |
| Die auf Medien spezialisierte Columbia Review of Journalism in New York | |
| berichtete über den Vertrauensverlust der Medien. Finanzstarke größere | |
| Medienunternehmen engagierten, Sicherheitsleute, die ihre Reporter bei | |
| Protesten begleiten. Und bei dem unabhängigen Committee to Protect | |
| Journalists (CPJ), das sich bis dahin vor allem mit Gewalttaten gegen | |
| Journalisten in Mexiko, Haiti und anderen Ländern außerhalb der USA | |
| befasste, lief eine nie dagewesene Menge von Berichten über „gezielte | |
| Attacken gegen Reporter“ in den USA ein. | |
| Katherine Jacobsen, die beim CPJ für die USA und Kanada zuständig ist, | |
| stellt fest: „Journalisten werden in die Politik hineingezogen und zu | |
| Sündenböcken gemacht.“ Das CPJ hat Leitfäden erarbeitet, um Reporter | |
| vorzubereiten, die in den USA über Proteste und Kampagnenmeetings | |
| berichten. Unter anderem empfiehlt das CPJ den Reportern neutrale, bequeme | |
| Kleidung und Schuhwerk, um schnell weglaufen zu können, kugelsichere Westen | |
| und Brillen sowie die Organisation von Telefonketten und die Suche nach | |
| Rückzugswegen für den Notfall. Im Interview fasst Jacobson die Empfehlungen | |
| des CPJ so zusammen: „Bereitet das Schlimmste vor, hofft auf das Beste.“ | |
| 29 Sep 2022 | |
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| Dorothea Hahn | |
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