# taz.de -- Fußball-WM der Männer: Podcasts über Katar ohne Kataris | |
> Die Podcasts „Beyond Qatar“ und „Geld Macht Katar“ diskutieren die | |
> kommende WM. Doch dabei bleibt die Debatte selbstreferenziell. | |
Bild: Unter sklavereiähnlichen Arbeitsbedingungen gebaut: Stadion Lusail in de… | |
„And the winner is … Qatar!“ Wie kam es, dass die Männer-WM in einem | |
winzigen autokratischen Wüstenstaat mit [1][sklavereiähnlichen | |
Arbeitsbedingungen] und ziemlich ohne Fankultur ausgerichtet wird? Und wie | |
damit umgehen? Mit dieser Frage beschäftigen sich derzeit zwei sehr | |
unterschiedliche Podcasts. „Beyond Qatar“ heißt der eine, in dem Moritz | |
Knorr für die Podcastbude mit Expert:innen über Korruption, | |
Menschenrechte oder Boykott spricht. | |
„Geld Macht Katar“ ist der andere; hier versprechen die ARD und Die Zeit, | |
jenseits von Newshäppchen und Vorurteilen die „Blackbox Katar“ | |
versuchsweise zu entziffern. In erster Reihe die Journalist:innen Pune | |
Djalilevand (RBB), Benedikt Nabben (BR) und Yassin Musharbash (Zeit). | |
Beide Formate treffen dieselbe schlechte Entscheidung: Sie befragen keine | |
katarischen Stimmen. Die [2][Katar-Debatte] bleibt die selbstreferenzielle | |
deutsche Diskussion, die sie eigentlich die ganze Zeit schon ist. Man weiß | |
nicht so besonders viel über das Land, aber vieles besser. Besonders | |
deutlich wird das bei „Beyond Qatar“, wo altbekannte weiße deutsche | |
Sportautoren wie Dietrich Schulze-Marmeling (Boycott Qatar) und Ronny | |
Blaschke (Letzterer war immerhin mehrfach vor Ort) die Diskussion | |
dominieren. | |
Auch „Geld Macht Katar“, deutlich diverser aufgestellt, sagt unfreiwillig | |
einiges, wenn die drei Journalist:innen als Expert:innen vorgestellt | |
werden, die „so gut Bescheid wissen wie fast keiner derzeit in Deutschland“ | |
über Katar – wofür sie offenbar ein einwöchiger Aufenthalt qualifiziert. | |
Das ist schade. Und doch, zumindest „Geld Macht Katar“ trifft auch ziemlich | |
viele richtige Entscheidungen. Zunächst mal profitiert der Podcast enorm | |
davon, dass die Journalist:innen immerhin kurz vor Ort waren. Neben | |
allerlei erwartbaren Beobachtungen – gruselig saubere Basare, steinreiche | |
Kataris in verspiegelten Toyotas – bringen sie Interessantes mit. Zum | |
Beispiel, dass viele Kataris offenbar mit ihren SUVs in der Freizeit in die | |
Wüste fahren, um dort Freiheit zu genießen, die sie im klinischen Doha | |
nicht haben. Dass in diesen Familien, die vor zwei Generationen noch arme | |
Perlentaucher waren, die Beduinentradition weiterlebt – im | |
Vier-Sterne-Bungalow. Und dass die Welten in dieser Klassengesellschaft | |
einander kaum je begegnen: Die Migrant:innen haben sogar eigene | |
Supermärkte. | |
Angenehm auch, welchen differenzierten Ton der Podcast trifft. Er skizziert | |
eine gemeinsame raubtierkapitalistische Fußballwelt statt des viel | |
behaupteten „Demokratie versus Autokratie“, beispielhaft an der Macht des | |
Kataris Nasser al-Khelaifi im europäischen Fußball. Auch, um den mal live | |
zu sehen, betreibt man lohnenden Reiseaufwand. Und der Podcast wägt Worte | |
sorgsam. Katar sehen die Reporter:innen nicht so sehr als Diktatur, | |
sondern als Autokratie; der Emir müsse durchaus Stammesinteressen | |
berücksichtigen. Und, klar, als Familienunternehmen der al-Thanis. Yassin | |
Musharbash: „Es ist ein Stamm mit einer Flagge und einer Grenze.“ In | |
„Beyond Qatar“ geht es hingegen über die gängigen Erklärungsplattitüden… | |
Softpower und Sportswashing selten hinaus. Dabei geht einiges durcheinander | |
an wirklichen und gefühlten Problemen. | |
„Wieso muss ich meine geliebte Weltmeisterschaft unterm Heizpilz | |
verbringen?“, klagt da Moderator Knorr. Menschenrechtskritik mischt sich | |
mit Eurozentrismus und Herablassung – „ein Land ohne Fußballtradition“, … | |
es mehrfach heißt, ist Katar ja mitnichten, der erste Verein der | |
Einheimischen gründete sich 1950. Und warum soll ein Land ohne viel | |
Tradition als Fußballweltmacht nicht das Recht haben, eine solche | |
aufzubauen? Der „größte Skandal in der Geschichte der Weltmeisterschaft“, | |
wie der Podcast es penetrant nennt, ist angesichts der [3][Mussolini]-WM | |
1934 oder der WM neben Folterlagern 1978 eine gewagte These. | |
Weniger krachende Faust auf den Stammtisch und präziseres | |
Problembewusstsein hätten „Beyond Qatar“ gutgetan. Erfreulich ist dafür d… | |
Fleiß bei der Aufarbeitung der ganzen Korruptionssaga. Viele verdrängte | |
Details über die Macht Katars, des Kapitals und all den Irrsinn, mit dem | |
die Fifa die Demokratie aushebelt, lassen sich hier en detail nachhören. | |
Wer aufmerksam zuhört, wird auch hier zu dem Schluss kommen: Die Reichen | |
dieser Welt kaufen sich den Fußball an allen Fronten. Mit WM in Katar oder | |
ohne. | |
22 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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