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# taz.de -- Deutschland, EU und Aserbaidschan: Wiederholungszwang mit Folgen
> Die EU kooperiert mit dem Regime in Aserbaidschan. Und zeigt, dass sie
> nichts aus den Fehlern mit Russland gelernt hat.
Bild: Demonstration in Paris mit der Forderung, Armenien zu unterstützen am 15…
Während ich diese Kolumne schreibe, kann ich das laute Ausatmen unserer
Regierung und der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bis in
meine Berliner Wohnung hören. Puhhhh, nochmal Glück gehabt.
Armenien und Aserbaidschan hatten [1][sich nach zweitägigen Kämpfen auf
eine Waffenruhe geeinigt]. Mehr als 100 Armenier sollen nach Angaben von
Ministerpräsident Nikol Paschinjan getötet worden sein. Die
aserbaidschanische Seite spricht von 50 Toten. Ein alter Konflikt, der erst
2020 zu einem erbitterten Krieg um Bergkarabach geführt hatte, ist diese
Woche wieder aufgeflammt. Ein Konflikt mit Eskalationspotenzial.
Wer etwas Verstand hat, weltpolitisches Interesse und vielleicht noch ein
wenig Wissen über die Region, hätte das kommen sehen müssen. Das autoriäre
Aserbaidschan hatte Armenien in der Nacht zu Dienstag angegriffen – und das
selbst mit einer angeblichen Provokation begründet. In dieser Woche ist
also ein demokratisches Land und dessen Souveränität in der Kaukasusregion
von einem Regime angegriffen und verletzt worden. Kommt Ihnen das bekannt
vor?
Als ich Dienstagmorgen die Meldungen auf meinem Handy las, kam in mir das
ungute Gefühl hoch, dass sich hier etwas wiederholte. Denn auch wenn sich
der russische Angriffskrieg und die Gefechte in Armenien fundamental
voneinander unterscheiden, so ähnelt sich doch der Umgang der EU und
unserer Regierung damit.
In beiden Fällen hat sich die EU und die Bundesregierung auf ein Regime
eingelassen. Die erbärmliche Geschichte politischer Abhängigkeiten von
Russland erleben wir in der aktuellen Energiekrise hautnah mit. Anstatt aus
diesem Fehler zu lernen, verhandelte Ursula von der Leyen im Juli [2][mit
Aserbaidschan einen Gasdeal]. Sie sprach davon, dass das Land ein
zuverlässiger Partner der EU sei und eine wichtige Rolle für die
Energiesicherheit Europas spiele. Um von Russland unabhängig zu sein,
brauche es Aserbaidschan. Von den Armen des einen Regimes in die Arme des
nächsten. Eine Art Wiederholungszwang mit schweren Folgen.
## Der restliche Osten Europas wurde zu lange vernachlässigt
Viel zu lange hat der Westen, hat Deutschland dabei zu geschaut, wie Putin
überall mitmischte: ob in der Ukraine, Belarus oder Armenien. Bis es dann
am 24. Februar zur Katastrophe kam. Auch danach zögerte Deutschland – und
zögert bis heute, wenn es zum Beispiel um die Lieferung von Panzern geht.
Dass es zwischen Armenien und Aserbaidschan knallt, hat, ja, auch mit Putin
zu tun. Wenn er Truppen aus Armenien abzieht, weil er sie für den Krieg in
der Ukraine benötigt, dann steht das, was diese Woche an Auseinandersetzung
in Armenien passierte, plötzlich in Verbindung dazu. Aserbaidschan spielt
das in die Hände.
Deutschland und die EU haben sich viele Jahre fast ausschließlich auf
Russland und andere autoritäre Regime konzentriert und den restlichen Osten
Europas vernachlässigt. Ich weiß nicht, ob es Ignoranz ist oder
Desinteresse. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. So konnte auch das
autoritäre Aliyew-Regime über Jahre sein Image in Europa aufpolieren. Auch
in Deutschland. Der Einfluss des aserbaidschanischen Staatspräsidenten
reichte sogar [3][bis in den Deutschen Bundestag]. Zahlreiche Recherchen im
letzten Jahr haben das offengelegt.
Kluge Worte habe ich von der Bundesregierung und der EU noch nicht dazu
gehört. Vielleicht sind sie noch mit Ausatmen beschäftigt. Wobei, den
Kommentar von Kanzler Scholz, der Konflikt zwischen Armenien und
Aserbaidschan mache keinen Sinn, will ich natürlich nicht unterschlagen.
Danke dafür. Sanktionen gegen Aserbaidschan und Gaslieferungen an
demokratische Standards zu koppeln, das wäre stattdessen mal was.
16 Sep 2022
## LINKS
[1] /Konflikt-Armenien-Aserbaidschan/!5881815
[2] /Wege-aus-der-Energiekrise/!5865745
[3] /Doku-ueber-Aserbaidschan-Affaere/!5778976
## AUTOREN
Erica Zingher
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