# taz.de -- Gedenken zum Olympia-Attentat 1972: „Wie lebt man weiter?“ | |
> Israelis und Deutsche gedenken der Opfer des Olympia-Attentats. | |
> Bundespräsident Steinmeier bittet um Vergebung, die Angehörigen scheinen | |
> versöhnt. | |
Bild: Versöhnung in Fürstenfeldbruck: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeie… | |
Fürstenfeldbruck taz | David Berger, Anton Fliegerbauer, Ze’ev Friedman, | |
Yossef Gutfreund, Eliezer Halfin, Yossef Romano, Amitzur Shapira, Kehat | |
Shor, Mark Slavin, Andrei Spitzer, Yakov Springer und Moshe Weinberg: Es | |
sind die Namen der Opfer, die Frank-Walter Steinmeier als erstes verliest, | |
als er ans Rednerpult tritt. Die Namen der zwölf Männer, die bei dem | |
palästinensischen Terroranschlag auf die israelische Olympia-Mannschaft in | |
München 1972 ums Leben kamen. | |
Genau 50 Jahre danach kommen nun Repräsentanten des israelischen und des | |
deutschen Staates, der jüdischen Gemeinde in Deutschland, Hinterbliebene | |
und Vertreter der Olympischen Komitees auf dem Fliegerhorst | |
Fürstenfeldbruck zusammen, um ihnen zu gedenken. Dort, wo die meisten von | |
ihnen getötet wurden. Es ist eine würdige, eine harmonische Veranstaltung. | |
Und das nur wenige Wochen, [1][nachdem noch von Boykott und Eklat die Rede | |
war], nachdem unklar war, ob diese Veranstaltung überhaupt in einem | |
würdigen Rahmen würde stattfinden können. | |
„Ohne Sie alle, ohne die Angehörigen und ohne die Präsenz des Staates | |
Israel war mir würdiges Gedenken nicht vorstellbar“, sagt der | |
Bundespräsident denn auch [2][bei seiner Ansprache im Veranstaltungszelt | |
auf dem ehemaligen Militärflugplatz]. Erst vor wenigen Tagen war es zu | |
einer Einigung zwischen den Hinterbliebenen und der Bundesregierung | |
gekommen: Mit 28 Millionen Euro zahlen Bundesregierung, der Freistaat | |
Bayern und die Stadt München nun deutlich mehr als zuletzt angeboten. | |
## „Wir sind dem Vertrauen nicht gerecht geworden“ | |
Bei dem Anschlag waren acht palästinensische Attentäter in den frühen | |
Morgenstunden des 5. September 1972 problemlos in das Olympische Dorf | |
gelangt. Dort erschossen sie zwei Mitglieder des israelischen Teams und | |
nahmen neun weitere als Geiseln. Mit ihnen wollten sie mehr als 200 | |
palästinensische Gefangene in Israel, aber auch andere Häftlinge wie die | |
RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof freipressen. Gegen | |
Mitternacht endete ein dilettantisch ausgeführter Befreiungsversuch auf dem | |
Flugplatz Fürstenfeldbruck für alle Geiseln und einen Polizisten tödlich. | |
Auch fünf Terroristen starben. | |
Während Steinmeier spricht, sind draußen auf den Gebäuden Scharfschützen | |
der Polizei positioniert, um für die Sicherheit der Gäste zu sorgen. | |
Bilder, die sich im Kopf auf eigenartige Weise mit Bildern von der Nacht | |
des Attentats vermischen. „Wir wollten gute Gastgeber sein“, sagt | |
Steinmeier, „aber wir sind dem Vertrauen, das die israelischen Athleten und | |
ihre Familien in Deutschland gesetzt haben, nicht gerecht geworden. Sie | |
waren nicht sicher. Sie waren nicht geschützt. Sie wurden in unserem Land | |
von Terroristen gequält und getötet.“ | |
Steinmeier, aber auch die übrigen Redner wie der israelische | |
Staatspräsident Izchak Herzog, der Präsident des Zentralrats der Juden in | |
Deutschland, Josef Schuster, oder Bundesinnenministerin Nancy Faeser | |
erinnern an die Nacht des olympischen Terrors. Man könne nur erahnen, was | |
[3][der Verlust ihrer Angehörigen für die Hinterbliebenen bedeute]. „Wie | |
lebt man weiter als junge Frau, die gerade ihr erstes Kind bekommen hat, | |
dessen Vater nicht zurückkehren wird?“, fragt Steinmeier. | |
„Wie lebt man weiter, wenn man zwei Postkarten aus München erhält, in denen | |
der inzwischen schon ermordete Sohn noch geschrieben hatte, dass alles ganz | |
wunderbar sei und er sich auf das Nachhausekommen freue?“ | |
## Dreifaches Versagen | |
Es sind aber nicht die Worte des Mitgefühls, die Steinmeiers Rede „mutig | |
und historisch“ werden lassen, als was sie sein israelischer Kollege Herzog | |
später bezeichnen wird, und die der ganzen Veranstaltung ihre Bedeutung | |
verleihen, sondern es ist das klare und unmissverständliche Bekenntnis zur | |
Verantwortung Deutschlands, das Steinmeier, aber auch Faeser oder zuvor | |
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Münchens Oberbürgermeister | |
Dieter Reiter an diesem Tag zum Ausdruck bringen. Sie alle bitten die | |
Hinterbliebenen um Verzeihung, um Vergebung. | |
Es sei dabei, so formuliert es Steinmeier, „ein dreifaches Versagen“ | |
gewesen, für das es sich zu entschuldigen gelte. Das erste Versagen sei das | |
mangelhafte Sicherheitskonzept der Spiele gewesen, das zweite das | |
Behördenversagen während des Attentats. Das dritte Versagen habe am Tag | |
nach dem Anschlag begonnen: „Das Schweigen, das Verdrängen, das Vergessen.“ | |
Herzog spricht von dem Attentat als dem „Moment, in dem die Olympische | |
Fackel erloschen ist,“ und nimmt auch auf das mangelhafte Gedenken auf | |
Seiten des Internationalen Olympischen Komitees Bezug. „Dies war keine | |
israelische Tragödie, die war eine globale Tragödie.“ Die Entscheidung der | |
vergangenen Tage sei ein „wichtiger moralischer Schritt gewesen“. | |
## „Sie ermordeten unsere Hoffnungen, unsere Träume“ | |
Auch die anderen Redner zeigen sich froh darüber, dass es [4][zu einer | |
Einigung zwischen Bundesregierung und Hinterbliebenen] gekommen sei, zu der | |
auch die Einsetzung einer israelisch-deutschen Historikerkommission gehört, | |
die sich mit der Aufarbeitung des Attentats befassen soll. Allgemeiner | |
Tenor: Spät, aber immerhin. | |
Die Frau, die zuletzt die deutlichsten Worte gegen die Bundesregierung | |
gefunden und den Boykott der Veranstaltung angekündigt hatte, ist Ankie | |
Spitzer, die Witwe des Fechttrainers André Spitzer. Die Sprecherin der | |
Opferfamilien richtet ihre Rede direkt an ihren ermordeten Mann, erzählt | |
ihm, wie stolz er auf die Frau gewesen wäre, zu der das gemeinsame Baby | |
herangewachsen sei. „Als sie dich ermordet haben, haben sie auch einen Teil | |
von mir getötet und von den Leuten, die dich liebten“, sagt Spitzer. | |
„Sie ermordeten unsere Hoffnungen, unsere Träume, unsere Zukunft, aber | |
nicht meine Liebe für dich.“ Doch auch Spitzer scheint jetzt versöhnt. „Du | |
kannst jetzt in Frieden ruhen“, sagt sie zu ihrem Mann. „Und das kann ich | |
jetzt auch. Bis wir uns wiedersehen.“ | |
Auch Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, | |
hält auf dem Fliegerhorst eine kurze Ansprache, spricht von Scham, Trauer | |
und tiefem Respekt vor den Opfern. Bachs damaliger Vorgänger im Amt war | |
Avery Brundage, der nach dem Attentat die Parole [5][„The games must go | |
on“] ausgegeben hatte, die „heiteren Spiele“ müssten weitergehen. Eine | |
würdige Trauer um die ermordeten Sportler zu ermöglichen, war für Brundage | |
offensichtlich zweitrangig. Auch Bachs Rede am Montag war bemerkenswert: Es | |
war die einzige, die ohne ein Wort der Entschuldigung auskam. | |
5 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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