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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Im Arbeiterviertel
> Das Filmfestival Prenzlauerberginale blickt zurück in die DDR, zurück in
> einen Prenzlauer Berg, der unwiderbringlich verschwunden ist.
Bild: „Bürgschaft für ein Jahr“ (1981), Regie: Herrmann Zschoche
Die Wohnung ist klein, die Einrichtung spärlich. Ein frisch vermähltes Paar
wohnt hier, für 28,95 Mark im Monat. Wenigstens die Mieten waren Ende der
Siebziger im Prenzlauer Berg eindeutig niedrig, man kann sich denken, wer
heute in diesem Bezirk lebt.
Irgendwie fehlt den beiden Eheleuten aber noch etwas zum Glück. Doch
dankenswerterweise gab es in der DDR damals den sogenannten “Ehekredit“,
den schnellen Weg, um sich als frischgebackene Familie endlich ordentlich
einrichten zu können.
Also geht es ab zu einer Art Einrichtungszentrum, das dem IKEA von heute
nicht unähnlich scheint, nimmt sich eine “Wohnberatung“ und geht daraufhin
ordentlich shoppen. Wieder daheim werden die Schätze stolz präsentiert:
neue Schrankwand, neuer Tisch, und ganz wichtig, endlich auch ein großer
Fernseher. Für die erwünschte Couchgarnitur hat der Ehekredit dann aber
leider nicht mehr gereicht.
Es sind Einblicke wie diese in den Alltag ihrer Bürger, die die staatliche
Filmdokumentation (SFD) mit ihren Filmen im Sinne hatte. Es waren keine
Propagandawerke, sondern sie sollten wirklich dokumentieren, also die
Realität abbilden. Für die allgemeine Öffentlichkeit waren sie nicht
bestimmt.
Weswegen, und das macht diese Filme so ungemein spannend, sich auch ganz
schön viel Unzufriedenheit und Gemecker in ihnen wiederfindet. Wohnung zu
klein, es reicht langsam mit der Bruchbude, nee, irgendwo an den Stadtrand
in den Neubau möchte man nicht, solche Aussagen hört man in einigen der
Filme, die bei der sechsten sogenannten [1][“Prenzlauerberginale“]
zusammengetragen wurden.
Das kleine Filmfestival, das im Filmtheater am Friedrichshain beheimatet
ist und noch am 20. und 27. September und am 4. Oktober statt findet, hat
erneut tief in den Archiven geforstet und allerlei Filmdokumente aus und
über den Prenzlauer Berg kompiliert. Ihr Schauwert ist in mannigfaltiger
Weise immens. 2020 erschien begleitend bereits [2][eine DVD mit
ausgewählten Filmen.]
Ständig sieht man eine Straße, einen Häuserzug, einen Platz und denkt sich:
Mensch, den Ort kenn ich doch, gibt’s doch gar nicht, dass es hier damals
so aussah. Nämlich zumeist roh, unsaniert, unschick. Und auf den Straßen
parken ausschließlich Trabbis, wenigstens in unterschiedlichen
Lackierungen. Der Prenzlauer Berg – ja, es ist wirklich lange her – war in
den späten Siebzigern und frühen Achtzigern, aus denen die Filmdokumente
stammen, schließlich noch das Arbeiterviertel Ostberlins.
Nur in der Husemannstraße im Kollwitzkietz sah es damals schon fast so
schick aus wie heute. Mit großem Aufwand wurden hier die Häuser saniert.
Touristen auch aus dem Ausland sollten sehen: so schön kann es in der DDR
sein. Und das einzige Friseurmuseum der Welt, so erfährt man, gab es hier
auch.
Aber jetzt ist schon alles schön und sauber und dann kommen von manchen
Bürgern trotzdem noch negative Kommentare. Die ganzen Touris würden nerven,
sagt einer und außerdem: was nutzen die gelackten Fassaden, wenn es in der
eigenen Bude, also hinter den Kulissen, trotzdem schimmelt.
Man blickt zurück in die DDR bei diesem Filmfestival, zurück in einen
Prenzlauer Berg, der unwiderbringlich verschwunden ist. Und da man den
Leuten und ihren damaligen Lebensumständen so nahe kommt, die vordergründig
so normiert waren und doch überall Risse aufzeigten, entdeckt man ständig
auch viele Details, die manche der Filme wie ethnologische Studien wirken
lassen.
In einer Schrankwand steht eine Platte von Boney M, im Radio läuft der
Schlager “O Sole Mio“. Man spürt die Sehnsucht der Menschen nach der
schönen heilen Welt. Denkt sich zumindest aus heutiger Sicht aber vor
allem: was für eine Spießerhölle war diese DDR dann doch auch.
14 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.prenzlauerberginale.berlin/
[2] /Dokumentationen-ueber-Prenzlauer-Berg/!5740208
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
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DDR
Berlin im Film
Filmfestival
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