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# taz.de -- Kinoempfehlungen für Berlin: Der Druck der Gegenwart
> Das „Berlin Minute Festival“ zeigt Filme für die ganz kurze
> Aufmerksamkeitsspanne. Und auch ganz schnell noch schauen: „Alcarràs –
> Die letzte Ernte“.
Bild: Szene aus „Alcarràs – Die letzte Ernte“
Normalerweise muss man für ein Filmfestival schon einige Zeit mitbringen.
Um auch nur die interessantesten Filme anzusehen, kann man oft locker eine
ganze Woche einplanen. Das geht beim „Berlin Minute Festival“ mit deutlich
weniger Aufwand: [1][25 Filme aus zwölf verschiedenen Ländern werden dort
gezeigt] – aber sie sind allesamt nur eine Minute lang.
Wie die Veranstalterin, die Videokünstlerin Vanessa Cardui, ganz zu Recht
bemerkt, ist die Aufmerksamkeitsspanne des Publikums in den letzten Jahren
durch die Inhalte sozialer Medien eher gesunken, und man kann es sicher als
Herausforderung begreifen, den oft genug nichtssagenden Schnipseln im
selben Format etwas qualitativ Hochwertiges entgegenzustellen, sei es
narrativ oder experimentell.
Der Fokus des Festivals liegt auf Animationsfilmen, es werden Preise in
fünf Kategorien vergeben, und die Filmkünstler:innen Dina Velikovskaya,
Ingo Panke, Bruno Persico und Louis Brückner sind zu Gast (29. 9., 18.30
Uhr, [2][Lichtblick-Kino]).
So langsam dünnen sich die Termine in Berlin aus – wer den bei der
diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnete spanischen
Spielfilm „Alcarràs – Die letzte Ernte“ noch nicht gesehen hat, sollte s…
also langsam beeilen.
Regisseurin Carla Simón zeichnet in ihrem Film das Porträt mehrerer
Generationen einer bäuerlichen Familie, die unter dem Druck einer Gegenwart
auseinander driftet, die kaum mehr Raum für eine traditionelle Lebensweise
bietet. Denn der Besitzer des Landes, auf dem sie ihre Pfirsichplantage
betreiben, will dort nun einen Solarpark errichten lassen.
Sehr genau wird die Reaktion der verschiedenen Protagonist:innen auf
die neue Situation beschrieben: Der Opa glaubt immer noch, er könne die
Sache im zwischenmenschlichen Bereich regeln, der Vater negiert die
Realität hartnäckig, und die Mutter lässt auch schon mal ins Gespräch
einfließen, dass man als Solartechniker mehr Geld verdient und sich dafür
auch nicht den Rücken krumm schuften muss.
Da bleiben Spannungen nicht aus. Und Carla Simón vergisst auch die Jüngsten
nicht, die sich in ihrem Spiel Erinnerungen an eine Welt schaffen, die es
bald nicht mehr geben wird. Der Bagger vom Beginn des Films bleibt keine
leere Drohung (29. 9., 16.45 Uhr, 30. 9., 18 Uhr, 1. 10. & 4. 10., 21 Uhr,
3. 10., 19 Uhr, [3][Acud Kino]; 1.–2. 10., 16 Uhr, [4][fsk-Kino], 29. 9.,
3. 10., 16.50 Uhr, 1. 10., 20.20 Uhr, 2. 10., 13.50 Uhr, [5][Il Kino],
1.10., 11.45 Uhr, [6][Kino im Kulturhaus Spandau]).
Liedermacher. Baggerfahrer. Stasi-Spitzel. Gundermann. Als in
West-Deutschland sozialisierter Mensch wird man die DDR-Biografien zwischen
authentischer Unangepasstheit und schnödem Verrat, zwischen
Weltverbesserungsideen und kompletter Egozentrik vielleicht nie ganz
richtig verstehen.
Der Gerhard Gundermann, den Andreas Dresen als Regisseur und Alexander
Scheer in der Titelrolle in „Gundermann“ auf die Leinwand bringen, ist
tatsächlich kein sonderlich sympathischer Charakter. Er wirkt auf nahezu
grausame Weise eigensinnig, in einer Mischung aus Naivität und Egomanie,
die schon fast ans leicht Autistische grenzt.
Gundermann schont nichts und niemanden – auch nicht sich selbst. Dass man
ihm dabei trotzdem zwei Stunden lang gern zusehen mag, liegt in Dresens
Kunst begründet, in seinen Filmen Menschen mit all ihren Fehlern zum Leben
zu erwecken. Und am Ende ist es plötzlich gar nicht mehr so wichtig, ob man
Gundermanns Beweggründe verstehen kann. Er versteht sie ja selbst nicht,
ist vielleicht sogar derjenige, der von sich selbst am meisten enttäuscht
ist (3. 10., 18 Uhr, [7][Casablanca])
29 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.lichtblick-kino.org/extra/2022/22_09_29_Berlin_Minute_Festival_…
[2] https://www.lichtblick-kino.org/extra/2022/22_09_29_Berlin_Minute_Festival_…
[3] https://acudkino.de/
[4] https://fsk-kino.peripherfilm.de/
[5] https://ilkino.de/
[6] https://www.kinoimkulturhaus.de/
[7] http://www.casablanca-berlin.de/
## AUTOREN
Lars Penning
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