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# taz.de -- Kritik an Richterentscheid in Hessen: Homofeindlichkeit? Kein Asylg…
> Ein Frankfurter Richter weist die Klage eines schwulen Algeriers auf Asyl
> ab. Der Mann solle zurückkehren und ein „unauffälliges“ Leben führen.
Bild: „Homosexualität ist in Algerien lebensgefährlich“, sagt Abdelkari…
Frankfurt/Main taz | Ein in Deutschland offen homosexuell lebender Mann aus
Algerien hat hier kein Recht auf Asyl, auch wenn er in seiner Heimat
gewaltsame Übergriffe und Strafverfolgung befürchten muss. So sieht es
jedenfalls das Verwaltungsgericht Frankfurt. Einzelrichter Andreas
Gegenwart wies jetzt erneut [1][eine entsprechende Klage von Abdelkarim
Bendjeriou Sedjerani] zurück.
Der 34-jährige Algerier lebt seit drei Jahren in Frankfurt am Main und
absolviert hier eine Ausbildung zum Elektriker. „Homosexualität ist in
[2][Algerien] lebensgefährlich“, gab Sedjerani vor Gericht zu Protokoll, er
sei deshalb „abgehauen“.
In einem ersten Verfahren in diesem Rechtsstreit hatte derselbe Richter ihm
bereits im März 2020 empfohlen, sein Leben als Homosexueller in Algerien
„unauffällig“ zu organisieren. „Ich werde mich nicht wieder verstecken�…
hatte der junge Mann dem Richter widersprochen, der erneut über sein
Schicksal zu entscheiden hatte.
Doch der zeigt sich auch in seinem neuen Urteil davon unbeeindruckt. „Der
Verzicht auf Umarmungen und Küsse in der Öffentlichkeit (bewegen) sich
unterhalb dessen, was flüchtlingsrechtlich relevant ist“, heißt es in dem
aktuellen Urteil; schließlich sei in Algerien „die öffentliche
Zurschaustellung von Zuneigungen auch unter heterosexuellen Paaren unüblich
und verpönt.“
## Nebenbei ist der Richter auch Kirchenvorstand
Der Schwulen- und Lesbenverband LSVD äußerte sich über Urteil und
Begründung „entsetzt“, Das Frankfurter Gericht ignoriere die
höchstrichterliche Rechtsprechung des EuGH und des
Bundesverfassungsgerichts, sagte LSVB-Sprecher Patrick Dörr der taz. Der
Verband fordert jetzt Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD, auf,
umgehend dafür zu sorgen, dass „wie im Koalitionsvertrag vereinbart“, die
[3][Verfolgungswahrscheinlichkeit bei queeren Personen] erneut überprüft
wird. Das Vorgehen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das
in diesem Fall auf Überprüfung der Asylgründe abgelehnt hatte, nannte Dörr
„unwürdig“.
Verwaltungsrichter Gegenwart – der Mittsechziger amtiert in seinem
Privatleben auch als Kirchenvorstand in Offenbach – ist für seine hohe
Ablehnungsquote in Asylverfahren bekannt. Die Bedrohung Homosexueller ist
für ihn eher kein Asylgrund. Ein „real risk“ für Sedjerani in Algerien wi…
er nicht erkennen, obwohl Homosexualität dort strafbar ist und verfolgt
wird. Eine Anklage riskiere man nur dann, wenn „zu dem homosexuellen
Verhalten sich ein zusätzliches Merkmal gesellt“, so der Urteilstext.
Mit dieser Begründung tut der Richter auch aktuelle Zeitungsartikel ab, in
denen über die Verfolgung und Inhaftierung von Besuchern einer
Hochzeitsfeier eines homosexuellen Paares in Algerien berichtet wird. Es
handle sich hier um einen „besonders spektakulären Fall“, formuliert der
Richter. Das Feiern einer homosexuellen Hochzeit wäre „eine Form des
offenen Auslebens seiner Homosexualität, die der Kläger selbst für sich
nicht in Anspruch nimmt“, unterstellt Richter Gegenwart, der den Kläger in
der mündlichen Verhandlung dazu nicht befragt hatte.
Auch dass Sedjerani sich auf CSD-Bühnen und in zahlreichen TV-Beiträgen
offen als homosexuell geoutet und dabei die Verfolgung von queeren Menschen
in Algerien kritisiert hatte, lässt der Richter nicht gelten. Algerier
verfügten „nur in Ausnahmefällen“ über deutsche Sprachkenntnisse; die
Strafverfolgungsbehörden dort interessierten sich nicht „für den bloßen
Umstand der Homosexualität“ und dass „homophobe Islamisten“ Lust hätten,
„ältere deutsche TV-Sendungen auf der Suche nach algerischen Homosexuellen
zu scrollen“, sei unwahrscheinlich, formuliert der Richter.
Eigentlich sei die Sache klar, kritisiert der LSVD, „Abdelkarim lebt in
Deutschland vollkommen geoutet und äußert sich sogar im Fernsehen und auf
CSD-Bühnen kritisch zur Lage queerer Menschen in seinem Herkunftsland. Dort
sind schwule Männer, die offen leben, einem so großen Verfolgungsrisiko
ausgesetzt, dass sie in Deutschland einen Schutzstatus erhalten müssen“, so
LSVD-Sprecher Dörr zur taz.
Innerhalb eines Monats kann Sedjani nun Berufung gegen das Urteil einlegen.
Darüber müsste dann der Hessische Verwaltungsgerichtshof entscheiden. „Das
ist eine sehr hohe Hürde“, erklärte der taz Sedjerani's Rechtsanwalt
Jonathan Leuschner.
Aktualisiert am 24.08.2022 um 15:20. Der Kläger absolviert inzwischen keine
Ausbildung zum Pfleger mehr, wie es im Text fälschlich hieß, sondern
erlernt den Beruf des Elektrikers. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
d. R.
24 Aug 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Homophobie
Algerien
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