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# taz.de -- Queere Geflüchtete in Deutschland: Schutz vor homofeindlicher Gewa…
> Noch 2022 erklärte ein Richter einem schwulen Geflüchteten aus Algerien,
> er könne dort ja diskret leben. Nun wurde er doch als Flüchtling
> anerkannt.
Bild: Der algerische Aktivist Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari bekommt doch noch…
Frankfurt am Main taz | Drei lange Jahre hat Abdelkarim
Bendjeriou-Sedjerari darum gekämpft, in Deutschland bleiben zu dürfen. In
seinem Heimatland Algerien drohten ihm als offen homosexuell lebendem Mann
Gewalt und Verfolgung, so hat er immer wieder beteuert, in den Anhörungen
der Ausländerbehörden, auf CSD-Podien und nicht zuletzt vor
Verwaltungsgerichten. Jetzt endlich, nach zwei verlorenen
Gerichtsprozessen, kann er feiern.
Der 35-jährige Algerier darf bleiben: Menschen, denen aufgrund ihrer
queeren Identität in ihrem Herkunftsland Verfolgung droht, [1][dürfen nicht
länger abgeschoben werden]. Die Behörden müssen nun immer davon ausgehen,
dass die sexuelle Orientierung offen gelebt wird und dürfen nicht mehr auf
ein diskretes Leben verweisen.
Mit der entsprechenden Anweisung an das [2][Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (Bamf)] habe Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im
Oktober einen „Paradigmenwechsel“ eingeleitet, freut sich Patrick Dörr vom
Vorstand des Lesben- und Schwulenverbands. Seit Jahren setzt sich der LSVD
für die Rechte queerer Flüchtlinge ein.
Mitte Dezember hatte Bendjeriou-Sedjerari überraschend eine Einladung zu
einer erneuten Anhörung in der Bamf-Außenstelle erhalten. „Ich war hin- und
hergerissen“, sagt er. Umso größer war letztlich die Freude: „Ich habe
einen Luftsprung gemacht“, beschreibt Bendjeriou-Sedjerari am Telefon den
Moment, als er den positiven Asylbescheid in Händen hielt.
## „Unüblich und verpönt“
Im August letzten Jahres hatten ihn nach der Verhandlung im
Verwaltungsgericht Frankfurt noch Freunde trösten müssen. [3][Richter
Andreas Gegenwart hatte ihm auch in zweiter Instanz Schutz in Deutschland
abgesprochen]. Derselbe Richter hatte ihm in der ersten Instanz
vorgeschlagen, in Algerien ein „diskretes und unauffälliges“ Leben zu
führen, um Gewalt und Verfolgung zu entgehen.
Im Berufungsurteil blieb er bei dieser Haltung, obwohl ihm Fälle von
Verfolgung Homosexueller in Algerien vorgelegt worden waren: „Der Verzicht
auf Umarmungen und Küsse in der Öffentlichkeit“, bewege sich „unterhalb
dessen, was flüchtlingsrechtlich relevant ist“, so Richter Gegenwart und:
„Die öffentliche Zurschaustellung von Zuneigungen (sei in Algerien) auch
unter heterosexuellen Paaren unüblich und verpönt.“
„In der Vergangenheit wurde durch die Anwendung dieser
‚Diskretionsprognosen‘ unzähligen Asylsuchenden ihr Recht auf ein Leben in
Freiheit und Selbstbestimmung abgesprochen“, stellt Patrick Dörr vom LSVD
fest; „auf ihrer Grundlage sollten Asylsuchende in die schlimmsten
Verfolgerstaaten wie Pakistan, Irak und Iran abgeschoben werden.“
Der Frankfurter SPD-Bundestagsabgeordnete Kaweh Mansoori ist zufrieden.
„Ich bin dankbar, dass Nancy Faeser diesen Fall zum Anlass genommen hat,
um eine unmenschliche Praxis durch eine neue Dienstanweisung an das Bamf zu
beenden“, sagt der Politiker der taz. Er hatte sich bei Faeser für
Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari eingesetzt.
## Schon erste Korrekturen
In elf Fällen habe die neue Linie bereits zu Korrekturen von Entscheidungen
geführt, sagt Knud Wechterstein von der Aids-Hilfe, die queere Flüchtlinge
berät und begleitet. Achtmal direkt nach Anhörungen in der Gießener
Außenstelle des Bamf, dreimal vor Gericht.
Bendjeriou-Sedjerari ist vor allem erleichtert. Die Party aber werde
nachgeholt: „Noch habe ich so viel mit meinem Umzug zu tun.“ Gerade ist er
aus einer Unterkunft nur für queere Geflüchtete aus- und zu einer älteren
Dame unters Dach gezogen. In Frankfurt absolviert er eine Ausbildung zum
Elektriker.
„Ich freue mich auf alles, auf den Frühling und vor allem, dass ich jetzt
endlich mit meinem Freund reisen kann, das war bis jetzt nicht möglich“,
sagt er. Als mögliches Urlaubsziel nennt er die Kanaren – die Inseln vor
der Küste Marokoos, die auf dem gleichen Breitengrad wie sein Heimatland
Algerien liegen, dem er als schwuler Mann den Rücken kehren musste.
15 Jan 2023
## LINKS
[1] /Kriterium-fuer-Abschiebung-faellt-weg/!5879800
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## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
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