# taz.de -- Prozess in Frankfurt: Homosexualität als Asylgrund? | |
> Vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt kämpft ein Algerier um Anerkennung | |
> als Flüchtling. Er fühlt sich bedroht, weil er offen schwul lebt. | |
Bild: Trost für Abdelkarim Bendjeriou Sedjerari angesichts schlechter Aussicht… | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Seit drei Jahren kämpft der 34-jährige Algerier | |
Karim Bedjeriou um seine Anerkennung als Flüchtling, bislang vergeblich. | |
Sein Asylgrund: Die Verfolgung von Homosexuellen in seinem Herkunftsland. | |
„Ich bin abgehauen, Homosexualität ist tabu, man lebt [1][in Algerien] | |
gefährlich“, gab er im Februar in einem Interview mit dem | |
ARD-Mittagsmagazin zu Protokoll, das über sein Schicksal berichtete. | |
Diesen Dienstag, ein halbes Jahr später, schauen sich im Gerichtssaal 5 des | |
Frankfurter Verwaltungsgerichts die Verfahrensbeteiligten [2][den | |
ARD-Beitrag] gemeinsam an. Ein zähes Gezerre ist dem vorangegangen. Erst | |
nach der Sichtung des TV-Beitrags folgen der Richter Andreas Gegenwart und | |
die Vertreter des Bundesamts für Migration teilweise der Argumentation von | |
Bedjerious Anwalt: Sein Mandat hat sich offen und öffentlich zu seiner | |
Homosexualität bekannt und auch zur Verfolgung von [3][LSBTI-Menschen] in | |
seiner Heimat Stellung bezogen. Damit sei er in besonderer Weise gefährdet, | |
so die Argumentation des Prozessbeauftragten des Asylbewerbers. | |
Verwaltungsrichter Andreas Gegenwart bleibt trotzdem skeptisch. Er und der | |
sportliche junge Mann, der sein Bleiberecht einklagt, kennen sich aus einem | |
ersten Verfahren. In diesem Prozess hatte Gegenwart gegen den jungen Mann | |
entschieden. | |
Einem Homosexuellen sei es zuzumuten, in seinem Herkunftsland unauffällig | |
zu leben, um möglicher Verfolgung zu entgehen, war der Richter der gängigen | |
Lesart des Bundesamts für Migration gefolgt, das auch die Verfolgung von | |
Homosexuellen nicht als Asylgrund anerkennt. In dieser zweiten Verhandlung | |
bekräftigt Gegenwart ausdrücklich sein erstes Urteil in dieser Sache, es | |
sei immerhin „rechtskräftig“ und nach wie vor „richtig“, so der Richte… | |
## Es brauche etwas „on top“ | |
„Was hat sich denn seit seinem ersten Urteil geändert?“, fragt Gegenwart | |
den Mann, der auf eine Neuaufnahme des Verfahrens hofft. „Ich lebe in | |
Deutschland meine Homosexualität frei, ohne Angst zu haben; ich helfe | |
anderen, die Schwierigkeiten mit der Sprache haben, bei Arzt- und | |
Behördengängen. Ich habe in Frankfurt und Hamburg auf Bühnen öffentlich | |
über die schwierige Lage von Homosexuellen in Algerien berichtet“, sagt er | |
noch, bevor er wegen der eigenen Erregung eine Pause braucht. | |
Homosexualität an sich sei auch in Algerien kein Grund für Verfolgung, | |
wendet der Richter ein. Da müsse doch noch etwas dazukommen „on top“, | |
formuliert Gegenwart flapsig, als ginge es nicht um menschliche Schicksale. | |
Die vieldiskutierten und von Bedjeriou Rechtsanwalt angeführten Festnahmen | |
und Inhaftierungen von mehr als 40 Menschen aus der LSBTI-Szene in Algerien | |
seien schließlich nach einer öffentlichen Hochzeit eines homosexuellen | |
Paares erfolgt, argumentiert der Richter. | |
Bei dem Beispiel hat Bedjeriou seine Stimme wieder gefunden, um etwas „on | |
top“ zu liefern. „Ich werde mich nicht wieder verstecken“, versichert der | |
junge Mann mit klarer Stimme. Unauffällig in seinem Heimatland zu leben, um | |
der Verfolgung zu entgehen, kommt für ihn nicht mehr infrage. | |
Für seinen Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Jonathan Leuschner ist die | |
Sache längst klar: Sein Mandant hat sich in auch in Algerien zugänglichen | |
Medien offen zu seiner Homosexualität bekannt; er hat zudem nicht | |
geschwiegen zur Bedrohung, unter der LSBTI Menschen dort leiden. Grund | |
genug, wenigstens die mögliche Bedrohung des Asylbewerbers erneut zu | |
prüfen, so Leuschner. | |
Die VertreterInnen des Bundesamts bleiben Erklärungen weitesgehend | |
schuldig. Sie könnten aktuell keine neue Lage erkennen, sagt einer von | |
ihnen. Sein blauer Business-Anzug mit blauer Krawatte sitzt, seine | |
Argumente weniger. Ein Bericht zur Gefährdungslage von Homosexuellen in | |
Algerien wird angekündigt, aber nicht vorgetragen. Selbst bei der | |
Formulierung des Protokolls kommt es zu heftigen Wortgefechten. | |
## Der Richter scheint nicht überzeugt | |
Nur mit Beweisanträgen gelingt es Rechtsanwalt Leuschner, seine Argumente | |
im Protokoll zu verankern: Sein Mandat lebt offen schwul und würde das auch | |
in Algerien tun, er hat sich zu den schwulenfeindlichen Verfolgungen dort | |
öffentlich geäußert und wäre deshalb besonders gefährdet. „Nach der | |
Rechtsprechung des EuGH ist das eine klare Sache, Asyl ist sein gutes | |
Recht“, so Leuschner. | |
Doch auch nach zwei Stunden Verhandlung scheint der Richter nicht | |
überzeugt. „Wie viele Menschen sprechen in Algerien schon Deutsch?“, fragt | |
er zweifelnd. Binnen zwei Wochen werde entschieden, sagt er noch der taz. | |
Rechtsanwalt Leuschner, der den Richter aus zahlreichen Prozessen kennt, | |
hat wenig Hoffnung. „Offenbar ist ihnen das Schicksal von Homosexuellen | |
völlig egal“, rügt er die Haltung des Bundesamts und des Richters. „Der | |
weiß, dass er machen kann, was er will, weil die Hürden für eine Klage am | |
Verwaltungsgerichtshof hoch sind“, stellt Leuschner nüchtern fest. | |
Freunde nehmen Bendjeriou nach der unerfreulichen Verhandlung tröstend in | |
die Arme. Solange er in Frankfurt seine Ausbildung als Altenpfleger | |
absolviert, ist er vor Abschiebung sicher. Die Ampelkoalition hat zudem | |
angekündigt, den Schutz vor Verfolgung aufgrund von sexueller Orientierung | |
im Asylrecht zu verstärken. Bis dahin darf das Bundesamt seine Praxis | |
beibehalten, schwulen oder lesbischen AsylbewerberInnen ein unauffälliges | |
Leben in ihren Heimatländern zuzumuten. | |
16 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Drei-Jahre-nach-Aufstand-in-Algerien/!5830240 | |
[2] https://www.ardmediathek.de/video/mittagsmagazin/ard-mittagsmagazin-vom-11-… | |
[3] https://www.lsvd.de/de/ct/3385-Was-bedeutet-LSBTI-Glossar-der-sexuellen-und… | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
## TAGS | |
Gerichtsprozess | |
Algerien | |
Asylrecht | |
Verfolgung | |
Schwerpunkt LGBTQIA-Community | |
Schwerpunkt Flucht | |
Bleiberecht | |
Schwulen- und Lesbenpolitik | |
Russland | |
Schwerpunkt LGBTQIA-Community | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Queere Geflüchtete in Deutschland: Schutz vor homofeindlicher Gewalt | |
Noch 2022 erklärte ein Richter einem schwulen Geflüchteten aus Algerien, er | |
könne dort ja diskret leben. Nun wurde er doch als Flüchtling anerkannt. | |
Drittstaatler aus der Ukraine: Bleiberecht bleibt Science-Fiction | |
Ukraine-Geflüchtete, die eigentlich aus Drittstaaten stammen, haben in | |
Deutschland keine Bleibeperspektive. Nun ist ihr Aufenthalt offiziell | |
illegal. | |
Razzien in der Schwulenszene: „Man kann sich nie sicher sein“ | |
In Malaysia ist die Diskriminierung von LGBT-Menschen an der Tagesordnung | |
und wird politisch instrumentalisiert. Gefürchtet sind Zwangstherapien. | |
Liquidierung russischer LGBTIQ-Stiftung: Kriminalisierung von Queers | |
Die Lage für russische Menschenrechtsorganisationen verschlechtert sich | |
stetig. Nun steht die größte LGBTIQ-Stiftung Sphere kurz vor der Auflösung. | |
Homophobe Gewalt: Georgien im Schockzustand | |
Nach einem Angriff homophober Demonstranten auf Journalisten ist ein | |
Kameramann gestorben. Tausende demonstrierten am Sonntag in Tiflis. |