# taz.de -- Wirtschaftsminister in Bedrängnis: Grüner im Gegenangriff | |
> Beim Umgang mit Energiekrise und Inflation agierte der | |
> Bundeswirtschaftsminister zuletzt unglücklich. Im Bundestag verteidigte | |
> sich Habeck nun offensiv. | |
Bild: Habeck bei seiner Rede: Angriff ist die beste Verteidigung | |
Berlin taz | Für die Ampel ist es ein großes Glück, dass vor ihr 16 Jahre | |
lang die Union regiert hat. Was auch immer die größte Oppositionspartei der | |
Koalition an den Kopf wirft: Die Regierenden können antworten, dass CDU und | |
CSU es doch selbst verbockt hätten. Ewig wird dieser Trick zwar nicht | |
funktionieren, irgendwann hat sich der Spruch abgenutzt. Ein knappes Jahr | |
nach der Bundestagswahl geht es aber gerade noch. | |
Das ist am Donnerstagmorgen auch das Glück des Robert Habeck. Auf der | |
Tagesordnung des Bundestags steht der Haushalt seines | |
Wirtschaftsministeriums. Der Minister eröffnet die Debatte und er, zuletzt | |
stark in der Kritik, schaltet sofort auf Attacke. „16 Jahre lang hat die | |
Union dieses Land regiert. 16 Jahre [1][energiepolitisches Versagen]. Wir | |
räumen in wenigen Monaten auf, was sie in 16 Jahren verbockt, verhindert | |
und zerstört haben.“ Angriff ist die beste Verteidigung. | |
Rund sieben Minuten wird Habecks Rede dauern. Sie beinhaltet noch ein paar | |
[2][Seitenhiebe auf Friedrich Merz], viel Lob für die eigene Arbeit und | |
wenig von den eigenen Zweifeln, die der Vizekanzler sonst so gerne | |
öffentlich zur Schau stellt. Es ist eine ordentliche Rede, ein sicherer | |
Auftritt, und das nach einer Serie von schwierigen Tagen. Nur der Abgang | |
gelingt am Ende nicht ganz: Als Habeck vom Rednerpult zurück zur | |
Regierungsbank geht und sich dort niederplumpsen lässt, rutscht unter ihm | |
der Drehststuhl zur Seite. Kurzes Straucheln. Wasser schwappt auf den | |
Tisch. Glas wieder halb leer. | |
Ganz rund läuft im Moment eben nichts für Habeck. In den ersten Monaten im | |
Amt hatte er es in Umfragen auf Rang eins der beliebtesten | |
Politiker*innen geschafft. Viele Medien schrieben ihn hoch, als | |
Kanzler der Reserve galt er schon. Seit einigen Wochen aber [3][erhält er | |
Gegenwind]. Zum Teil hat er ihn selbst verschuldet. | |
## Stress um Gas und Atom | |
Es ging im August los mit Fehlern bei der von seinem Haus ausgearbeiteten | |
Gasumlage. Verbraucher*innen müssen sie ab Oktober bezahlen, um | |
Energiekonzerne zu unterstützen – nach den ursprünglichen Plänen auch dann, | |
wenn diese wirtschaftlich glänzend dastehen. Habecks Entschuldigung, | |
derzufolge er den Markt nicht richtig überblickt hatte, machte die Sache | |
nicht besser. | |
In dieser Woche ging es dann weiter mit der Entscheidung, die Laufzeit der | |
verbliebenen deutschen Atomkraftwerke nicht zu verlängern, sondern nur zwei | |
von ihnen in der Notfallreserve zu halten. Dass die Union und auch die FDP | |
die Entscheidung inhaltlich für falsch halten und daraus kein Geheimnis | |
machen, ist nun das eine. Das andere ist ein Brief von Guido Knott, Chef | |
des AKW-Betreibers PreussenElektra, ans Wirtschaftsministerium. | |
Der angedachte Reservebetrieb sei technisch gar nicht machbar, schrieb der | |
Kernkraftboss darin laut Spiegel. Habeck schon wieder ahnungslos? Ganz so | |
ist es wohl nicht. PreussenElektra habe den Reserveplan wohl falsch | |
verstanden, antwortete Habecks Staatssekretär Patrick Graichen am Mittwoch. | |
„Die Kraftwerke würden nicht flexibel an- und abgefahren werden, anders als | |
es in Ihrem Schreiben suggeriert ist“, heißt es in der Replik, die der taz | |
vorliegt. Er vermöge nicht zu erkennen, um was für technische Probleme es | |
gehen soll, so Graichen. | |
## Ärger mit den Bäckern | |
Dann ist da aber auch noch die Sache mit Habecks Auftritt bei Sandra | |
Maischberger am Dienstagabend. Viral ging im Netz ein kurzer Ausschnitt, in | |
dem Habeck bei der Frage nach einer möglichen Insolvenzwelle bei Bäckereien | |
ins Schwimmen geriet. Er rang nach Worten und versuchte zu erklären, warum | |
nicht jeder Händler, der nicht mehr genug Waren verkauft, auch in die | |
Insolvenz gehe. Es gelang ihm nicht ganz. | |
Die Folge: Die Redaktion von Bild.de flutete ihre Startseite mit | |
Habeck-Texten („Schlechtester Wirtschaftsminister aller Zeiten“), auf | |
Twitter startete ein Shitstrom unter Beteiligung des Koalitionspartners | |
(„Er hat einfach keine Ahnung“, schrieb die FDP-Abgeordnete Nicole Bauer), | |
die Bäckerei-Lobby verfasste böse Pressemitteilungen. | |
Ganz treffend war die Kritik nicht. Erstens stimmt es nun mal, dass aus | |
einer sinkenden Nachfrage nicht nur Insolvenzen folgen. Viele Unternehmen | |
können die Produktion auch erst mal vorübergehend einstellen, ihre | |
Geschäfte temporär schließen und eine Flaute mit Reserven oder staatlichen | |
Hilfen überbrücken. Solche Hilfen, das sagte Habeck in der Sendung auch, | |
seien in Vorbereitung. | |
Andererseits: Wem gerade die Pleite droht, der neigt nicht dazu, nach einem | |
solchen Talkshow-Auftritt erst mal wohlwollend darüber nachzudenken, was | |
der Wirtschaftsminister denn eigentlich sagen wollte. Da helfen auch | |
Hilfsprogramme nicht, die vage angekündigt, aber noch lange nicht | |
beschlossen sind. | |
Der Vizekanzler hat in der Talkshow zur Abwechslung also einmal nicht | |
überragend kommuniziert, sondern schlecht. Und so überzogen wie Habeck im | |
letzten halben Jahr hochgeschrieben wurde, bekommt er dafür jetzt auf den | |
Deckel. Die Mechanismen sind bescheuert, aber so läuft das Geschäft. | |
## Kragen hoch im Bundestag | |
Da hilft nur: Kragen hoch, weitermache, Vertrauen zurückholen. Das versucht | |
Habeck am Donnerstag im Bundestag, wo er nicht nur seine Gegenattacken auf | |
die Union führt, sondern auch Ankündigungen für die nächsten Wochen macht. | |
Nicht zum Thema Atomkraft übrigens. Das spart er in seiner Rede komplett | |
aus. Es geht um Energiepreise und Entlastungen. | |
Habeck spricht über das Treffen der EU-Energieminister am Freitag in | |
Brüssel. Es wird dort um die Voraussetzungen für eine Strompreisbremse | |
gehen, wie sie die Ampel-Koalition am Wochenende auch im Rahmen ihres neuen | |
Entlastungspakets angekündigt hatte. „Wir werden auch beim Gaspreis etwas | |
machen müssen“, sagt Habeck dann. Und: Die Bundesregierung werde kleine | |
Unternehmen nicht im Stich lassen. „Wir werden einen breiten Rettungsschirm | |
aufspannen“, so Habeck. Konkret wird er zwar noch nicht. Souveräner als bei | |
Maischberger bringt er es aber doch rüber. | |
Ob das reicht? Für die CDU antwortet in der Debatte unter anderem Julia | |
Klöckner auf Habeck. Dessen Rede, sagt sie, sei „nicht mal annähernd mit | |
einer Empathie versehen, dass man sich erhoffen kann, dass sie wirklich in | |
ganz konkretes Handeln kommen“. Dann zitiert sie eine Statistik, derzufolge | |
die Zahl der Insolvenzen im August im Vergleich zum Vorjahresmonat um 26 | |
Prozent gestiegen ist. Ihr Parteikollege Jens Spahn wirft Habeck vor, bei | |
der Atomkraft parteitaktisch vorzugehen: „Sie handeln ausdrücklich gegen | |
die Ergebnisse des Stresstests“, sagt er. | |
## Es bleibt schwierig | |
Gut, das sind Oppositionsreden, Habeck wird damit klarkommen. Interessanter | |
ist dann noch, wie die Koalitionspartner in der Debatte auftreten. Für die | |
SPD spricht Fraktionsvize Matthias Miersch, ein Umweltpolitiker, sehr | |
freundlich über den Vizekanzler. Er kritisiert die Attacken der Union auf | |
Habeck, der als Minister „Tag und Nacht“ alles gebe. Er klingt ganz anders | |
als manch andere Sozialdemokrat*innen, die Habeck für die Gasumlage beinahe | |
heftiger kritisierten hatten als es die Opposition tat. | |
Von der FDP dagegen gibt es am Donnerstag keine Nettigkeiten. Für die | |
Liberalen spricht der Abgeordnete Karsten Klein. Er lobt nicht Habeck, | |
sondern die Schuldenbremse und den Abbau der Kalten Progression – also die | |
beiden Lieblingsinstrumente seines Parteichefs und Finanzministers | |
Christian Lindner. Am Ende kommt auch Klein dann noch auf die Atomkraft zu | |
sprechen: Der Reservebetrieb sei zu wenig. Nötig seien längere Laufzeiten | |
bei allen drei Atomkraftwerken. Koalitionspartner hin oder her, die | |
Liberalen sind weiterhin in Opposition zu Habeck. | |
Der verschränkt währenddessen auf der Regierungsbank die Arme. Er ahnt | |
wohl: Die nächsten Wochen werden nicht einfacher. | |
8 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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