| # taz.de -- Verbraucherpreise für Lebensmittel: Schuld ist nicht der Handel | |
| > Landwirte bekommen immer weniger vom Geld ab, das für Lebensmittel | |
| > ausgegeben wird. Grund ist die Spezialisierung der Höfe, zeigt eine | |
| > Studie. | |
| Bild: Seltener Fall: Direktvertrieb durch einen Produzenten auf einem Wochenmar… | |
| Berlin taz | Nicht Supermarktketten, sondern die Landwirte selbst haben | |
| dafür gesorgt, dass sie heute weniger vom Verbraucherpreis für Lebensmittel | |
| abbekommen als früher. Das zeigt das bundeseigene | |
| Thünen-Agrarforschungsinstitut mit einer Analyse der landwirtschaftlichen | |
| Erlöse an den Ausgaben der KonsumentInnen für wichtige Produkte seit 1970. | |
| Verantwortlich seien vor allem veränderte Strukturen in der Agrarbranche. | |
| „Die strategische Preisgestaltung mächtiger Marktakteure etwa im | |
| Lebensmitteleinzelhandel hat, wenn überhaupt, nur einen geringeren | |
| Einfluss“, heißt es in der Thünen-Zeitschrift [1][Wissenschaft erleben]. | |
| Die ForscherInnen erklären den Rückgang vor allem mit drei Faktoren: | |
| Erstens habe die Landwirtschaft ihre Stückkosten etwa pro Liter Milch oder | |
| Kilogramm Fleisch viel stärker gesenkt als die HändlerInnen. „Der | |
| technische Fortschritt war in der Landwirtschaft in den letzten Jahrzehnten | |
| im Vergleich etwa zum Handel deutlich höher“, so das Thünen-Institut. Diese | |
| Entwicklung ermöglicht, dass konkurrierende Bauern sich durch niedrigere | |
| Preise ausstechen. | |
| Zweitens hätten Agrarbetriebe sich so spezialisiert, dass sie für weniger | |
| Arbeitsschritte als früher honoriert werden. So verkauften nur noch sehr | |
| wenige Höfe ihre Produkte direkt an VerbraucherInnen. Die meisten Betriebe | |
| beliefern Händler, die ihre Marge vom Verbraucherpreis abziehen. Auch wenn | |
| die Agrarunternehmen Logistik, Ernte oder Buchhaltung auslagern, geht das | |
| von ihrer Gewinnspanne ab. | |
| Drittens ist laut Thünen-Institut der Anteil der Lebensmittelverarbeiter, | |
| also etwa der Nahrungsmittelindustrie, gestiegen, weil die VerbraucherInnen | |
| stärker verarbeitete Produkte kaufen wollten. So gebe es „heute mehr | |
| hochwertige Käsesorten als noch vor einigen Jahren“. Auch bei Brot sei die | |
| Nachfrage „nach teureren Qualitäten“ gestiegen, bei Fleisch sei der Anteil | |
| der Verarbeiter am Ladenpreis ebenfalls gewachsen. Die Erzeuger erhielten | |
| 2020 den Daten zufolge nur noch 4 Prozent des Verkaufspreises. 1970 waren | |
| es [2][19 Prozent]. | |
| ## Besonders starke Einbußen bei Kartoffeln | |
| Besonders stark sind die Einbußen der Bauern bei Speisekartoffeln und | |
| Eiern: Hier fiel ihr Anteil um rund 40 Prozentpunkte auf 41 Prozent bei | |
| Eiern und 26 Prozent bei Kartoffeln. „Bei beiden Erzeugnissen lag der | |
| Anteil der Direktvermarktung 1970 deutlich höher als heute“, so das | |
| Thünen-Institut. „Bis etwa zur Jahrtausendwende ist der Erzeugeranteil an | |
| den Verbraucherausgaben für Nahrungsmittel in fast allen untersuchten | |
| Produktgruppen deutlich gesunken“, stellen die ForscherInnen auf der | |
| [3][Internetseite] ihres Projekts fest. | |
| „Ab 2000 hat sich der Erzeugungsanteil stabilisiert“, sagte | |
| Thünen-Wissenschaftlerin Anne Margarian der taz. Denn die Kosten seien | |
| nicht mehr so stark gesunken, weil die Möglichkeiten durch technischen | |
| Fortschritt und Spezialisierung bereits in hohem Maße ausgeschöpft worden | |
| waren. Außerdem hätten die Bauern ihren Export gesteigert. Aber seitdem | |
| seien die Preise besonders labil. In so einer Situation könnten dann auch | |
| Händler ihre Marktmacht ausspielen, indem sie kurzfristige | |
| Preisschwankungen nur unvollständig weitergeben. | |
| Ob die jüngsten Anstiege der Erzeugerpreise infolge des Ukrainekriegs oder | |
| der höheren Energiekosten den Trend änderten, lasse sich laut Margarian | |
| mangels aussagekräftiger Daten noch nicht sagen. Die Wissenschaftlerin | |
| dämpfte aber die Erwartungen, indem sie sagte: „Der Trend ist durch sehr | |
| langfristige strukturelle Veränderungen zu erklären.“ | |
| 22 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.thuenen.de/de/thuenen-institut/infothek/schriftenreihen | |
| [2] https://www.thuenen.de/media/institute/ma/Downloads/Tabelle1_Anteilsberechn… | |
| [3] https://www.thuenen.de/de/fachinstitute/marktanalyse/projekte/der-anteil-de… | |
| ## AUTOREN | |
| Jost Maurin | |
| ## TAGS | |
| Landwirtschaft | |
| Lebensmittel | |
| Einzelhandel | |
| Milch | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Cem Özdemir | |
| Landwirtschaft | |
| Ernährung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Steigende Milchpreise: Endlich fair, nur nicht für Bio | |
| Milch wird knapper und teurer. Auch die Erzeuger:innen bekommen | |
| insgesamt deutlich mehr Geld. Auf der Strecke bleiben aber | |
| Biomilch-Bäuer:innen. | |
| Agrarlobby trickst mit Getreidestatistik: Ernte ist besser als Bauern sagen | |
| 2022 fahren die Landwirte etwas mehr Getreide ein als im mehrjährigen | |
| Durchschnitt. Der Bauernverband bestreitet das, um Umweltvorschriften zu | |
| kippen. | |
| Landwirtschaftsminister Cem Özdemir: Fänger von mehr Roggen | |
| Angesichts der Engpässe auf den Agrarmärkten können Bauern hierzulande nun | |
| begrenzt zusätzliches Getreide anbauen. Umweltverbände sind darüber nicht | |
| erfreut. | |
| Vegane Landwirtschaft und Welternährung: Nachhaltige Landwirtschaft | |
| Vegane Landwirtschaft ist sehr umweltfreundlich und verbraucht auch weitaus | |
| weniger Ackerfläche. Doch es gibt noch eine bessere Lösung. | |
| Trends bei Ernährung: Bio, regional, weniger Fleisch | |
| Der Trend zu nachhaltig produzierten Lebensmitteln trotzt der Inflation. | |
| Das zeigt die Biofach, die weltgrößte Öko-Messe. Doch etwas ist anders. |