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# taz.de -- Aufnahme von Kriegsflüchtlingen: SPD blockiert sicheren Hafen
> Nur wenige Menschen kommen über legale Fluchtwege nach Berlin. R2G wollte
> die Zahl um 400 erhöhen – selbst dies ist der SPD zu viel.
Bild: Endlich in Sicherheit: Zwei junge Syrerinnen in Berlin 2015
Berlin taz | „Berlin ist die Stadt der Solidarität und Zufluchtsort für
besonders schutzbedürftige Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten
weltweit.“ Mit diesen schönen Worten ließ sich die Regierende
Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zitieren, als im Juni 108
Syrer*innen über das Landesaufnahmeprogramm für besonders
Schutzbedürftige aus Libanon nach Berlin kamen. Doch wenn es darum geht,
diese Solidarität auszubauen und ein paar mehr Menschen eine legale
Fluchtmöglichkeit zu eröffnen, tut sich ihre Partei vor allem mit
Ausflüchten und Verzögerungstaktik hervor.
So weigert sich die SPD-geführte Innenverwaltung seit Juli, die in der
Koalition vereinbarte Aufstockung des Landesaufnahmeprogramms Libanon von
bislang 100 Plätzen pro Jahr auf 500 umzusetzen. Dies geht aus einem
Schreiben von Innen-Staatssekretär Torsten Akmann (SPD) an
Integrationsstaatssekretärin Wenke Christoph (Linke) hervor, das der taz
vorliegt. Darin behauptet Akmann unter anderem, es habe zu einer
Aufstockung in dieser Größenordnung bislang keine Verständigung gegeben,
„dies wäre aus meiner Sicht vorab erforderlich gewesen“.
Allerdings gibt es dazu einen öffentlichen Haushaltsbeschluss des
Abgeordentenhauses, darauf weist der migrationspolitische Sprecher der
Grünen-Fraktion, Jian Omar, hin. Im neuen Doppelhaushalt wurden für die
Landesaufnahmeprogramme 3 Millionen Euro eingeplant – 1,5 Millionen pro
Jahr ([1][siehe hier: Einzelplan 11, Seite 122, Punkt 13]). Damit wären 500
Plätze finanzierbar, sagt Omar: Ein Flüchtling, der mit einem
Landesaufnahmeprogramm kommt, koste Berlin rund 2.500 Euro – für die Reise
und für die Dienste der IOM (Internationale Organisation für Migration),
die nach den von Berlin vorgegebenen Kriterien die Menschen interviewt und
auswählt. Den Rest – 10.000 Euro pro Flüchtling und Jahr – zahle die EU.
„500 Plätze sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein angesichts der vielen
Kriege und Krisen – und sogar das blockiert die SPD“, regt Omar sich auf.
In der kommenden Woche soll es nun einen Senatsbeschluss geben, in dem nur
noch von einer Aufstockung auf 200 Plätzen die Rede sein wird. „Damit
brechen wir unser öffentlich mit dem Haushalt gegebenes Versprechen“, sagt
Omar.
## Zu viel Arbeit für die Polizei
In der Tat klingt der Grund, den Akmann nennt, warum man die
„Verfünffachung des bisherigen Angebots kapazitär nicht bewältigen“ kön…
einigermaßen kurios: Man brauche dann zu viele Dienstkräfte der Berliner
Landespolizei für die Sicherheitsinterviews, es wäre ein „dreiwöchiger
Einsatz im Libanon erforderlich oder jährlich mehrere Einsätze“. Scheitert
Berlins proklamierte Solidarität mit Kriegsflüchtlingen also an Überlastung
der Sicherheitskräfte? „Das ist angesichts von 26.000 Polizist*innen
offensichtlich ein vorgeschobenes Argument“, findet Omar.
Die Innenverwaltung erklärte auf taz-Anfrage, man stehe hinter dem
Koalitionsvertrag, der eine „grundsätzliche Ausweitung und Verstetigung der
Landesaufnahmeprogramme“ vorsieht. Allerdings müssten „weitere
Gesichtspunkte berücksichtigt werden“, etwa die „notwendigen
Sicherheitsgespräche durch Berliner Polizeikräfte und Sicherheitskräfte des
Bundes im Libanon“. Vor diesem Hintergrund plane der Senat nun „eine
Verdoppelung von 100 auf 200 Personen aus dem Libanon“.
Überraschend handzahm angesichts des Vorgehens des Koalitionspartners ist
die Reaktion der Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke). Sie ließ auf
taz-Anfrage über ihren Sprecher ausrichten: „Ich freue mich über die
generelle Bereitschaft der Koalition, das Landesaufnahmeprogramm Libanon
auszuweiten.“
Probleme gab es mit dem Libanon-Programm von Anfang an. 2018 vom alten
rot-rot-grünen Senat beschlossen, dauerte es drei Jahre, bis es umgesetzt
wurde und 2021 die ersten hundert Menschen kommen konnten. Kritik von
Linken und Grünen, die Innenverwaltung würde absichtlich verzögern,
konterte die Behörde damals [2][mit „umfangreichen Abstimmungen zwischen
Bundes- und Landesbehörden sowie coronabedingten Verzögerungen“.]
## BMI blockiert ebenfalls
Was die anderen Landesaufnahmeprogramme angeht, sieht es übrigens nicht
besser aus. Entsprechend den Vereinbarungen im Koalitionsvertrag hatte R2G
im Dezember ein [3][Landesaufnahmeprogramm für Afghanistan] aufgelegt und
zudem beschlossen, das zweite bereits bestehende Programm für
Iraker*innen und Syrer*innen mit Verwandten in Berlin auf
Afghan*innen auszuweiten. Dieses Programm kostet Berlin noch weniger, da
die Berliner Verwandten für die Nachzügler aufkommen und bürgen müssen.
Doch nach über einem halben Jahr fehlt für beides die Zustimmung von
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Man habe ja immer gedacht, die strikte Haltung des Bundesinnenministeriums
liege an Horst Seehofer, sagt Omar. „Es ist schade, dass sich das Verhalten
des BMI im Bereich Migration und Flucht nicht groß verändert hat.“ Zwar
redeten alle davon, man müsse mehr Möglichkeiten für legale Fluchtwege
schaffen, um das Elend an den EU-Außengrenzen in den Griff zu bekommen.
Praktisch werde aber so gut wie jede Initiative in diese Richtung politisch
blockiert oder verzögert. „Das ist unmenschlich und kurzsichtig gedacht.
Denn die Menschen kommen trotzdem.“
2 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/sen/finanzen/haushalt/downloads/haushaltsplan-2022-23…
[2] /Berliner-Aufnahmeprogramm/!5785747
[3] /Berlin-und-afghanische-Gefluechtete/!5792292
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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