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# taz.de -- Landgrabbing in Sierra Leone: Mehr Rechte für die Kleinen
> In Sierra Leone kaufen Konzerne im großen Stil Land – das Nachsehen haben
> oft Kleinbauern. Ein neues Gesetz will dagegen nun vorgehen.
Bild: Bei internationale Investoren begehrt: Diamantenmine in Sierra Leone
Cotonou taz | Der Jubel in den sozialen Medien und bei den Menschen vor Ort
in Sierra Leone ist groß. Anfang August hat das Parlament gleich zwei
Gesetze verabschiedet: den Customary Land Rights Act und den Land
Commission Act. Beide sind bereits in Kraft getreten. Turad Senessie,
Minister für Land und Wohnraum, sagte nach der Entscheidung gegenüber
Medienvertreter*innen, dass „Frieden und Ordnung“ wiederhergestellt würden.
Davon würden Besitzer*innen wie Investor*innen profitieren. Auch
würde, so das Parlament, die große Ungleichheit geradegerückt werden, die
seit der Unabhängigkeit von Großbritannien bestanden habe.
Bisher hatten Agrarkonzerne leichtes Spiel in dem westafrikanischen Staat,
in dem rund 8 Millionen Menschen leben. Auch gegen den Willen der
Bevölkerung konnten sie Land pachten. Die Kleinbauern hatten rechtlich nur
wenig in der Hand, wenn [1][große Investoren aus dem Ausland] kamen, um
jenes Land zu bewirtschaften, das seit Jahrzehnten de facto von ihnen
bestellt wurde. Das ist in den meisten Entwicklungsländern ein großes
Problem. 70 Prozent der Ackerflächen weltweit werden von Größtbetrieben
kontrolliert. Den Kleinstbauern bleiben gerade einmal 3 Prozent der
weltweiten Flächen, um sie zu bewirtschaften.
In Sierrea Leone benötigen die Investoren jetzt ausdrücklich die Zustimmung
der Menschen vor Ort und müssen außerdem mit ihnen die Preise aushandeln.
Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters lag der Preis für 0,4
Hektar bei rund 2,50 Euro pro Jahr. Kommunen haben zudem das Recht,
Informationen zu geplanten Industrieprojekten anzufordern. Auch gibt es
keine Ausnahmeregeln, mit denen sich Gesetze schnell wieder abschwächen
lassen.
Als weiterer Erfolg gilt, dass Frauen Zugang zu Land und somit das gleiche
Recht auf Grundbesitz erhalten. Das war nämlich bislang nicht der Fall.
Auch müssen lokale Komitees, die sich mit [2][Landrechtsfragen] befassen,
mindestens zu 30 Prozent aus Frauen bestehen. Das ist auf dem Kontinent
alles andere als selbstverständlich. Verlässliche Zahlen darüber gibt es
nicht, da es an Landkatastern wie Informationen über Besitzverhältnisse
fehlt. Mitunter heißt es, dass Frauen weniger als 10 Prozent der Flächen
besitzen, auch deshalb, weil diese häufig an männliche Nachkommen vererbt
werden.
## „Eine mutige Entscheidung“
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Weltbank in einer 2018 veröffentlichten
Untersuchung. Darin heißt es, dass nur knapp 13 Prozent der Frauen südlich
der Sahara im Alter von 20 bis 49 Jahren Landeigentümerinnen sind. Bei
Männern in derselben Altersgruppe liegt die Zahl bei 36 Prozent. Eleanor
Thompson, stellvertretende Direktorin von Namati Sierra Leone, einer
nichtstaatlichen Organisation, die zu Landfragen und Umweltschutz arbeitet,
sagt der taz: „Es ist eine mutige Entscheidung und ein Meilenstein. Wir
müssen jetzt sicherstellen, dass die Gesetze künftig auch umgesetzt
werden.“
Schon vor zehn Jahren warnten Nichtregierungsorganisationen vor
Landgrabbing. 2013 schätzte die Initiative Aktion für Transparenz bei
Landbesitz (ALLAT), dass in Sierra Leone mindestens 20 Prozent der
Ackerflächen von internationalen Firmen bewirtschaftet werden. Dazu gehören
Agrarunternehmen wie das aus Luxemburg stammende Socfin, das in die
Produktion von Palmöl investiert. Die Produktion begann laut eigenen
Angaben 2015. Vier Jahre später wurde die Raffinerie in Betrieb genommen.
Die Parlamentsentscheidung kritisierte ein Sprecher des Konzerns scharf.
Eleanor Thompson sagt jedoch: Die Gesetze würden auch Unternehmen mehr
Sicherheiten geben. „Beispielsweise werden Besitzverhältnisse im Vorfeld
geklärt, wodurch Konflikte verhindert werden. Das nützt allen Beteiligten.“
## Sierrea Leone ist keine Ausnahme
Auch Bergbaufirmen sind in Sierra Leone aktiv, die beispielsweise Diamanten
abbauen. Wenn sie ihre Arbeiten beenden, würden sie oft große, nicht mehr
nutzbare Flächen zurücklassen, sagt Eleanor Thompson. „Dabei müssen wir
Existenzgrundlagen schützen.“
Sierra Leone ist in der Region keine Ausnahme. Der einstige libysche
Machthaber Muammar al-Gaddafi hatte laut der nichtstaatlichen Organisation
Grain in Mali riesige Reisfelder in der Größe von 100.000 Hektar. Auch
wohlhabende Nigerianer*innen kaufen im eigenen Land Flächen, die sie
mitunter jahrelang brachliegen lassen. Sie werden ähnlich angesehen wie
Goldreserven. Mitunter hat das zur Folge, dass der Zugang zu Wasserstellen
versperrt ist.
In ganz Afrika gilt der Zugang zu Anbau- und Weideflächen als extrem
wichtig, Sierra Leone ist jedoch regionaler Spitzenreiter. Nach Schätzungen
des dortigen Statistikamtes werden in diesem Jahr 57,5 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts im Landwirtschaftssektor erwirtschaftet. In manchen
Jahren waren es fast 60 Prozent.
Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung arbeiten auf Feldern oder halten Vieh.
Selbst wenn die Agrarwirtschaft nicht die Haupteinnahmequelle ist, gilt der
Zugang zu Land nach Einschätzung des 1973 in London gegründeten Instituts
für Umwelt und Entwicklung (IIED) als „wesentliches Sicherheitsnetz für die
arme Landbevölkerung“ in Zeiten wirtschaftlicher Instabilität.
31 Aug 2022
## LINKS
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[2] /Landgrabbing/!t5011738
## AUTOREN
Katrin Gänsler
## TAGS
Landgrabbing
Sierra Leone
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