# taz.de -- Polizeieinsätze gegen Geflüchteten: Tödliche Schüsse bleiben un… | |
> Drei Jahre nach dem Tod von Aman Alizada haben mehrere Initiativen in | |
> Stade demonstriert. Sie fordern eine bessere Ausbildung der Polizei. | |
Bild: Unvergessen: Demo nach dem Tod von Aman Alizada im Oktober 2019 in Stade | |
Stade taz | Auf einer Steinmauer haben Demonstrant:innen eine | |
improvisierte Bühne eingerichtet. Über einen Lautsprecher ist eine | |
Sprachnachricht zu hören, abgespielt von einem Handy. Die Stimme, die zu | |
hören ist, klingt ruhig, die Worte klar: „What caused the police to shoot | |
him five times? Warum schoss die Polizei fünf mal? Die Frage wird an diesem | |
Nachmittag nicht beantwortet werden, den Veranstalter:innen ist das | |
bewusst. Und doch werden sie nicht müde, sie zu stellen. | |
Bereits zum vierten Mal hat die „Initiative Aman Alizada“ am vergangenen | |
Samstag zu einer Kundgebung in Stade aufgerufen. Anlass war der dritte | |
Jahrestag [1][des tödlichen Polizeieinsatzes], bei dem Aman Alizada starb, | |
der Bruder des Mannes, dem die Stimme auf dem Handy gehört. | |
Am 17. August 2019 wurde der 19-jährige Afghane in einer | |
Geflüchtetenunterkunft in Stade-Bützfleth von einem Polizisten getötet. Die | |
Initiative beklagt, dass die Umstände des Einsatzes bis heute nicht | |
geklärt seien. Die Staatsanwaltschaft hat die [2][Ermittlungen bereits | |
zweimal eingestellt.] Die Begründung in beiden Fällen: Die | |
Polizist:innen sollen von Alizada bedroht worden sein, die Schüsse | |
demnach Notwehr. | |
Alizada kam mit 15 Jahren nach Deutschland, nachdem er 2015 unbegleitet aus | |
Afghanistan geflüchtet war. Als er am 17. August in der Unterkunft in Stade | |
randaliert, ruft ein Mitbewohner die Polizei. Als diese eintrifft, hat sich | |
Alizada in seinem Zimmer eingesperrt. Die Polizist:innen treten seine | |
Tür ein, wenige Augenblicke später ist er tot. | |
## Psychische Ausnahmesituation | |
Allein in Niedersachsen starben in den vergangenen drei Jahren vier | |
Geflüchtete bei oder in Folge von Polizeieinsätzen: Erst im Oktober 2021 | |
wurde Kamal Ibrahim bei einem ähnlichen Polizeieinsatz im Landkreis Stade | |
getötet. Den Geflüchteten aus dem Sudan trafen während des Einsatzes elf | |
Kugeln. Wie es genau dazu kam, ist bisher nicht geklärt. [3][Auch dieses | |
Verfahren wurde eingestellt], aus dem gleichen Grund wie bei Alizada: Die | |
Polizei handelte laut Staatsanwaltschaft aus Notwehr. | |
Laut dem Flüchtlingsrat Niedersachsen hatten sowohl Ibrahim als auch | |
Alizada psychische Probleme. Zum Zeitpunkt des Einsatzes seien beide | |
außerdem in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen, die den | |
Polizist:innen bekannt gewesen sei. Beide Opfer sollen die | |
Beamt:innen bedroht haben, in beiden Fällen ist das nicht bewiesen. In | |
jedem Fall hätte die Polizei deeskalierend einwirken müssen, kritisiert ein | |
Sprecher der Initiative Aman Alizada am Samstag. | |
Dass die Situation trotz dieses Wissens eskalierte und mit dem Tod des | |
Geflüchteten endete, beklagt auch Ingrid Smerdka-Arhelger von der Stader | |
Bürgerinitiative Menschenwürde. Sie fordert deshalb eine | |
Qualifizierungsinitiative innerhalb der Polizei im Umgang mit psychisch | |
labilen Personen. Außerdem bemängelt sie das unzureichende Angebot der | |
sozialpsychiatrischen Dienste, das dringend ausgebaut werden müsse. | |
Janine Wagener vom Flüchtlingsrat Hamburg forderte in ihrer Rede eine | |
bessere psychologische Schulung von Polizist:innen. Laut Wagener befinden | |
sich überdurchschnittlich viele Personen, die bei Polizeieinsätzen getötet | |
werden, in psychischen Ausnahmesituationen. Sie argumentiert aber auch aus | |
der Perspektive der Polizei: eine Fortbildung sei auch wichtig, „um diese | |
vor sich selbst zu schützen“. | |
Die Organisationen pochen außerdem auf die Einrichtung einer unabhängigen | |
polizeilichen Beschwerdestelle mit Ermittlungsbefugnis. So eine Stelle gebe | |
es zwar in Niedersachsen, allerdings sei diese dem Innenministerium | |
unterstellt und damit keinesfalls unabhängig. Denn das Ministerium sei | |
gleichzeitig für die Arbeit der Polizei zuständig – laut dem Bündnis ein | |
klarer Interessenkonflikt. | |
## Untersuchungsausschuss zurückgewiesen | |
Zusammen mit dem Flüchtlingsrat Niedersachsen fordern die Initiativen auch | |
politische Konsequenzen: Es solle ein parlamentarischer | |
Untersuchungsausschuss im niedersächsischen Landtag eingerichtet werden, | |
der sich mit den tödlichen Polizeieinsätzen und den Lebensumständen | |
Geflüchteter in Niedersachsen beschäftigt. | |
Diese Forderungen weist der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im | |
Landtag, Ulrich Watermann, auf taz-Nachfrage zurück: „Wir brauchen keinen | |
parlamentarischen Untersuchungsausschuss“, sagt Watermann. Die | |
niedersächsische Polizei sei so aufgestellt, dass Fehlern sofort | |
nachgegangen werde. Die Polizei sieht Watermann „sehr gut ausgebildet, | |
sodass solche Situationen möglichst mit anderen Mitteln gelöst werden“. | |
Stattdessen sehe er ein Problem in der Unterbringung Geflüchteter, wo | |
häufig „zu viel geballtes Konfliktpotential an einer Stelle ist“. | |
Wie sich der Einsatz, bei dem Alizada zu Tode kam, genau abgespielt hat, | |
bleibt also weiter ungeklärt. Die Initiative möchte aber auch in Zukunft | |
Alizadas Geschichte erzählen und auf das „strukturelle Problem Rassismus“ | |
aufmerksam machen. Für das nächste Jahr kündigte die Gruppe bereits eine | |
erneute Kundgebung an. | |
21 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Einsatz-in-einer-Fluechtlingsunterkunft/!5616099 | |
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## AUTOREN | |
David Wasiliu | |
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