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# taz.de -- taz-Sommerserie Nah am Wasser: Berlin stillt jede Seensucht
> Berlin bietet, was vielen Großstädten fehlt: Freiwasserschwimmen
> innerhalb der Stadtgrenzen. Und manchmal hat man einen See fast ganz für
> sich allein.
Bild: Nix Überfüllung – in der Krummen Lanke ist meist mehr als genug Platz…
Berlin taz | Dortmund? Hat schöne Teiche in noch schöneren Parks – aber
nicht zum Schwimmen; genauso wenig wie der vor einigen Jahren auf einem
früheren Stahlwerksgelände entstandene Phoenix See.
Köln? In den Weihern auf dem Stadtgebiet geht man besser noch nicht mal
illegal baden, bloß am Rand gibt es einige wenige Seen. Auch in Düsseldorf
ist das kaum anders.
Aber Dresden mit der Elbe? Da trüben Strömung und Schiffsverkehr den
Schwimmspaß – vor allem die Ausflugsdampfer. Ein weitläufiges Gewässer
findet sich erst am Stadtrand in einer früheren Kiesgrube.
Berlin dagegen: 50 Seen, drei Flüsse. Eine Stadt am Wasser – nein, eine
Stadt im Wasser. Wer – wie der Autor dieses Textes – eine Odyssee durch
Städte ohne ausgedehnte Schwimmmöglichkeiten hinter sich hat, für den kann
Berlin bloß eine Art Paradies sein. Wenigstens in dieser Hinsicht.
Brandenburg wirbt seit einiger Zeit mit einem Plakat für sich, das
überschrieben ist mit „Warum wegfahren? Rausschwimmen!“ Sonnenglitzern auf
dem Wasser zeldrand glänzt grünes Laub.
Genau das ist das, das einen auch in Berlin überkommen kann: etwa am
Schlachtensee oder an der Krummen Lanke, am Müggelsee oder an der Großen
Krampe. Einfach rein und los – 100 Meter, 500 Meter, kilometerweit! Und
einzig daran denken müssen, umzudrehen, bevor die Kraft ausgeht –
jedenfalls bei eher runden Seen wie dem Müggelsee, bei dem das andere Ufer
zu weit weg ist, um ranzuschwimmen und auszusteigen.
## Den See für sich allein
Zugegebenermaßen ist es an Berliner Seen nicht den ganzen Tag so leer wie
in der Brandenburg-Werbung mit dem idyllischen Foto vom Stechlinsee. Aber
wer früh morgens am Ufer steht, der hat auch in Berlin den See oft für sich
allein – gefühlt jedenfalls. Und selbst wenn es am Ufer voller wird: Einmal
rausgeschwommen, ist mit etwas Umsicht trotzdem schier endlos Platz für
ungestörtes Kraulen, Brustschwimmen (mit dem Kopf über oder unter Wasser)
oder andere Schwimmstile.
Wie viele im See unterwegs sind, lässt sich inzwischen immer öfter durch
meist orangene Farbpunkte auf dem Wasser erkennen. Das sind nämlich keine
Badekappen – die wären viel kleiner: Nein, immer mehr Schwimmer ziehen eine
aufblasbare Boje hinter sich her, an der sie sich im Notfall über Wasser
halten können, wenn plötzlich die Puste weg ist oder ein Krampf kommt.
Es ist auch ein weitgehend egalitäres statt elitäres Vergnügen, dank weitem
S- und U-Bahn-Netz. Nicht den Bewohnern jener eher nobleren Stadtteile
vorbehalten, die neben Schlachtensee, Krummer Lanke und auch Müggelsee
liegen. Mit BVG-Ticket oder Rad ist fast immer irgendwo ein See zum
Schwimmen in Reichweite, die Investitionen für Ausrüstung beschränken sich
auf eine Schwimmbrille – und bei Kopf-über-Wasser-Brustschwimmern ist noch
nicht mal die nötig.
Und das Faszinierende: Obwohl, gerade im aktuell so heißen Sommer,
Ungezählte im Wasser unterwegs sind, egal ob zum Schwimmen oder bloß zum
Baden, bleiben die Seen bisher schwimmbar. Das lässt sich täglich in der
Badestellen-Übersicht nach [1][Messungen des Landesamts für Gesundheit und
Soziales] ablesen.
## Ein Badesee mitten im Wald
Immer wieder faszinierend für Berlin-Neulinge, aber durchaus auch für schon
vor Längerem Zugezogene: dass es unter diesen 50 Seen welche gibt, die sich
einem ganz überraschend erschließen. Wer etwa ohne großen Blick auf den
Stadtplan durch den Grunewald radelt oder rennt, kann plötzlich am
Teufelssee stehen und sich fragen, was so ein zeitweise sogar bewachter
Badesee mitten im Wald macht.
Da kann es unter der Woche – und wenn der Himmel gerade zugezogen war –
sogar passieren, dass niemand von den anderen 3,8 Millionen Berlinern da
ist. Plötzlich gehört einem das ganze Rund des Teufelssees – abzüglich des
abgegrenzten Naturschutzbereichs – für ein paar Minuten allein.
In der Innenstadt klappt das leider nicht so gut. Deutschlands beste
Langstreckenschwimmer hatten sich schon zur Europameisterschaft in Berlin
2014 gewünscht, nicht weit draußen am Rande der Stadt um Medaillen kämpfen
zu müssen, sondern um die Museumsinsel herum kraulen zu dürfen. Vor allem
Bedenken wegen des Schiffsverkehrs galten als Grund, warum es nicht dazu
kam: Die Freiwasserwettkämpfe fanden zwar in landschaftlich schöner
Atmosphäre auf der Regattastrecke in Grünau statt, aber vor weit weniger
Zuschauern, als dass in den Innenstadt möglich gewesen wäre.
Ein Jahr später zumindest gab es die erste Auflage des für alle offenen
Flussbad-Pokal-Schwimmens an der Museumsinsel – das unter anderem auch
[2][die Idee eines Flussbades weiter bringen] sollte. Voraussetzung ist
jeweils, dass die vorgeschrieben Grenzwerte bei der Wasserqualität nicht
überschritten wurden und es in den 24 bis 48 Stunden vor Beginn keinen
Starkregen gab, der zu viel Dreck in die Spree spült.
## Wasser für die Triathleten
Für eine Sportlergruppe sind die Seen ein besonderer Gewinn und fast allein
schon ein Grund, in Berlin zu leben: für Triathleten. Denn wenn deren
Sportskollegen andernorts im Sommer, mangels geschlossener Hallenbäder, oft
keine offiziellen Trainingszeiten haben und sich in gut besuchten
Freibädern mühselig ihr Pensum zusammenklauben müssen, können die hiesigen
Triathleten dann einfach da trainieren, wo sie auch in den meisten
Wettkämpfen schwimmen: im Freiwasser.
Kein Eintritt, kaum Anschaffungen nötig, wahnsinnig schön und – das kostet
dann allerdings ein paar Euro mehr, wenn auch aus zweiter Hand zu haben –
mit wärmendem Neoprenanzug nicht bloß im Hochsommer zu erleben. Wer gern
und lange schwimmt, für den sind die Seen ein echter Berliner
Standortfaktor, der einen manch anderes verschmerzen lassen kann. Einfach
eintauchen und rausschwimmen.
13 Aug 2022
## LINKS
[1] https://badestellen.berlin.de/
[2] /Machbarkeit-des-Berliner-Flussbads/!5847621
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Baden
Freizeit
Schwimmen
Schwimmen
Wochenkommentar
Rummelsburger Bucht
Wasser
Schwerpunkt Klimawandel
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