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# taz.de -- Verfilmung eines Bestseller-Melodrams: Viel Romantik, ein bisschen …
> Die filmische Adaption von „Der Gesang der Flusskrebse“ könnte ein
> leichtherziger Sommer-Blockbuster sein. Wäre da nicht die ideologische
> Färbung.
Bild: Kommuniziert auf ihre Weise: Kya (Daisy Edgar-Jones) in „Der Gesang der…
Das Beste an „Der Gesang der Flusskrebse“ kommt zum Schluss: Es ist der
Titelsong, der während des Abspanns zu hören ist. Mit einer Stimme, die
scheinbar mühelos zwischen elfenhafter Zartheit und gespenstischer Gravitas
wechselt, singt ihn die US-amerikanische Popsängerin Taylor Swift, die das
Lied auch geschrieben hat.
„Oh, Carolina creeks, running through my veins. Lost I was born, lonesome I
came, lonesome I’ll always stay“, lauten die ersten Zeilen der
[1][eindringlichen Folkballade „Carolina“.] Es ist ein elegisches Stück,
das die Grundsäulen des in etwas mehr als zwei Stunden erzählten Plots
verblüffend gut zusammenfasst. Und dabei dennoch etwas Geheimnisvolles und
Unaufgelöstes, etwas unbestreitbar Unheilschwangeres in sich trägt.
Den Film selbst prägt eine ganz andere, gelöstere Stimmung. Regisseurin
Olivia Newman hat die gleichnamige Romanvorlage von Delia Owens aus dem
Jahr 2018 im Stile eines leichtherzigen Sommerblockbusters adaptiert. In
kräftig-warmem Kolorit zeichnet Polly Morgans Kamera die Sümpfe von North
Carolina, die so zu einem charmanten, beinahe fantastischen Setting werden.
## Prozess wegen Mordes
Das nahezu menschenleere Moorland ist Heimat von Catherine Danielle Clark,
die von den meisten schlicht Kya (zunächst Jojo Regina, später Daisy
Edgar-Jones) oder abwertend „Marschmädchen“ genannt wird. Sie steht im
Zentrum eines Prozesses wegen Mords an dem Sohn (Harris Dickinson) einer
einflussreichen Familie des Ortes. In Rückblenden wird ihre eremitische
Kindheit und Jugend beleuchtet.
In den Fünfzigern wächst sie in einem ärmlichen Elternhaus am Rande der
Zivilisation auf. Bald schon ist sie komplett auf sich allein gestellt, als
ihre Mutter und älteren Geschwister nach und nach vor dem jähzornigen,
trinkenden und prügelnden Vater (Garret Dillahunt) Reißaus nehmen.
Eine Zeit lang versucht sie sich mit ihm zu arrangieren und lernt so früh,
in einer lebensfeindlichen Umgebung weiterzubestehen. Kenntnisse, die sich
bald als von existenzieller Bedeutung herausstellen werden, als sie
schließlich auch dieser verlässt. In einer kargen Hütte ohne Strom und
fließendes Wasser muss Kya für ihr eigenes Auskommen sorgen, und sie
beginnt dafür das Ökosystem um sich herum zu studieren. Statt zur Schule zu
gehen, verbringt sie ihre Tage damit, Muscheln zu sammeln.
Selbst in diesen Episoden, die von Armut, von materiellem und seelischem
Darben berichten, dominieren sonnendurchflutete, erhebende Bilder. Selbst
echter Mangel und genuine Verzweiflung müssen optisch ansprechend
präsentiert werden, scheint es.
## Die Natur als Ernährerin
„Der Gesang der Flusskrebse“ ist kein Film, der sich ernsthaft für blanken
Überlebenskampf oder die Erfahrung von absoluter Isolation interessiert.
Stattdessen kommt der Natur von Anfang an die Rolle der Ernährerin –
wichtiger noch – einer fast transzendenten Gefährtin zu, die die
Gesellschaft der mehrheitlich schlechten Menschen ersetzt.
Was nach einem reizvollen Spiel mit einer solipsistischen Idee klingt, hat
vor allem aufgrund einiger bis heute nicht aufgeklärter Vorfälle in der
Vita der Romanautorin Delia Owens einen bitteren Beigeschmack. Zwanzig
Jahre ihres Lebens verbrachte die Zoologin in Sambia, wo sie mit ihrem
Ehemann Mark nicht nur die örtliche Flora und Fauna studierte und dazu
mehrere Abhandlungen publizierte, sondern sich vor allem für die Bekämpfung
von Wilderern einsetzte.
Mitte der Neunziger begleitete ein Fernsehteam des Senders ABC News ihre
Arbeit und filmte, wie ein Mann, in dem man einen Elefantenjäger zu
vermuten schien, erschossen wird. [2][Während bis heute weder feststeht,
wer das Opfer war, noch wer den tödlichen Schuss abgegeben hat,] berichtete
der Journalist Jeffrey Goldberg im Jahr 2010 im New Yorker von der
rigorosen Haltung des Ehepaars gegenüber Wilderern, ihrer Bereitschaft, sie
misshandeln oder sogar töten zu lassen.
Im selben Text wird außerdem aus einem Buch des Paars zitiert, in dem es
die „Überbevölkerung“ Afrikas beklagt, die – „trotz Aids und zahlreic…
anderer Krankheiten“ – die Ressourcen des Kontinents übersteige.
## Der Wert des Menschen
Was hier mitschwingt, ist eine misanthropische Denkweise, die den Wert der
Natur über den des Menschen stellt. Eine darwinistisch eingefärbte
Geisteshaltung, wonach bekanntlich die am besten angepassten Individuen
überleben, ist auch in „Der Gesang der Flusskrebse“ präsent, wird sogar a…
emanzipatorisches Element behandelt. Dadurch, dass diese Haltung
möglicherweise nicht gänzlich fiktiv ist, hat sie im Film etwas ideologisch
Anrüchiges, anstatt schlicht spannender Krimi-Einfall zu sein.
Umso mehr, weil das [3][Drehbuch von Lucy Alibar („Beasts of the Southern
Wild“)] zuerst an der Romantisierung der Protagonistin interessiert ist.
Ihrer Psychologie wird weniger Zeit gewidmet als ihren amourösen
Beziehungen, vorrangig jener zu Tate (Taylor John Smith).
Schon während der Kindheit ist er stiller Begleiter, später wichtigste
Bezugsperson, die ihr Lesen und Schreiben beibringt und schließlich zu
einer märchenhaft anmutenden Karriere verhilft. Bisweilen hat man den
Eindruck, es mit einer [4][Nicholas-Sparks-Verfilmung] zu tun zu haben.
Für solide Wohlfühlunterhaltung ist der visuell beeindruckende Film
grundsätzlich hervorragend geeignet. Würden da nicht die realen
Verstrickungen in die Quere kommen, durch die sein Eskapismus seine
Unschuld verliert. Wahrscheinlich wäre das Melodram ein besserer Film
geworden, wenn die Interpretation offen für die moralische Ambivalenz des
Stoffes gewesen wäre, anstatt auf der unantastbaren Überlegenheit seiner
Heldin und ihrer Weltsicht zu bestehen. Es wäre von Vorteil gewesen, etwas
mehr Taylor Swift zu wagen.
17 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=egxyRSb_XtI
[2] https://www.spiegel.de/kultur/literatur/der-gesang-der-flusskrebse-war-die-…
[3] /Filmemacher-ueber-Louisiana-Film/!5076919
[4] /Begegnung-mit-US-Autor-Nicholas-Sparks/!5092762
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Verfilmung
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