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# taz.de -- Jörg Kubiessa zu Polizei Sachsen: „Beamte brauchen einen Kompass…
> Die sächsische Polizei hat aus den Corona-Protesten gelernt, sagt
> Landespolizeipräsident Jörg Kubiessa. Ein „Leitbild“ soll künftig
> Skandale in den eigenen Reihen verhindern.
Bild: Im November 2021 brauchte die sächsische Polizei bei den Corona-Demos Un…
taz: Herr Kubiessa, Sie sind seit dem 1. April Polizeipräsident von
Sachsen. In welchem Zustand haben Sie die sächsische Polizei von [1][Ihrem
Vorgänger Horst Kretzschmar] übernommen?
Jörg Kubiessa: Den Zustand der Polizei mache ich immer daran fest, wie die
Bürgerinnen und Bürger dieses Bundeslandes die Polizei sehen. Und ich
glaube, dass wir ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung genießen und die
Bürgerinnen und Bürger zufrieden mit uns sind. Darauf dürfen wir sehr stolz
sein. Trotzdem ist es natürlich so, dass es in der Vergangenheit auch
einige Fehlleistungen gab, von denen uns jede einzelne wehtun sollte – und
wehtut.
An welche Fehlleistungen denken Sie da?
Zum Beispiel an den jungen Polizeianwärter, der im Mai schwerverletzt ins
Krankenhaus eingeliefert wurde, nachdem er alkoholisiert aus dem Fenster
eines Lehrgebäudes der Polizeifachschule Chemnitz gestürzt war. Oder an die
beiden Polizeischüler, die Ende April nach einer Exkursion zur
KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora in Thüringen abends eine Frau mindestens
belästigt haben – die Ermittlungsverfahren laufen noch. Das sind Sachen,
die gehören nicht zu uns. So etwas darf nicht passieren.
Mitte April war bekannt geworden, dass das Mobile Einsatzkommando (MEK)
Leipzig ein brutales Aufnahmeritual durchgeführt haben soll. Hinzu kommen
[2][die Fahrradaffäre] und [3][die Munitionsaffäre], die 2020 und 2021
bundesweit für Schlagzeilen sorgten. Was glauben Sie: Wieso konnte es bei
der sächsischen Polizei zu so vielen Fehltritten solchen Ausmaßes kommen?
Das, was Sie berechtigterweise als Skandale beschrieben haben, war ein
längerer Prozess. Wir müssen besser sicherstellen, dass Prozesse, die nicht
optimal laufen, frühzeitig erkannt werden, damit Auswüchse in der Form gar
nicht erst entstehen können.
Was wollen Sie ganz konkret unternehmen, um Skandale in der sächsischen
Polizei künftig zu vermeiden?
Sachsens Innenminister Armin Schuster hat im Juni angekündigt, eine
Qualitätsoffensive in der sächsischen Polizei zu starten. Das begrüße ich
ausdrücklich.
Den Begriff Qualitätsoffensive müssen Sie erklären.
Früher nannte man das Dienst- und Fachaufsicht. Heute gehört mehr dazu, zum
Beispiel ein Leitbild, Strategien und Umsetzungsmaßnahmen. Bei der
Qualitätsoffensive in der sächsischen Polizei werden Führungs- und
Prozessqualität, Fehlerkultur sowie Binnenklima im Zentrum stehen. Der
Inspekteur der Polizei wurde bereits beauftragt, ein neues Dienst- und
Fachaufsichtskonzept für die gesamte sächsische Polizei zu erstellen.
Außerdem plane ich, ein Leitbild zu entwickeln, an dem sich die Beamtinnen
und Beamten in Stresssituationen orientieren können. Sie benötigen einen
Kompass.
Ich möchte mit Ihnen über zwei Vorfälle innerhalb der sächsischen Polizei
sprechen. Vorfall eins: Der frühere Leiter des Polizeireviers Zwickau wurde
im Mai von seinen Aufgaben entbunden, weil er Interna an den Chef der
rechtsextremen Kleinstpartei „Freie Sachsen“, Martin Kohlmann,
weitergegeben haben soll – zu einem interkulturellen Fest, das zugunsten
einer rechten Demo im Mai kurzfristig abgesagt werden musste.
Gegen den Beamten läuft ein Disziplinarverfahren. Die Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft laufen noch. Der Leiter der Polizeidirektion hat damals
entschieden, den Revierleiter innerhalb seiner Dienststelle umzusetzen; das
ist auch erfolgt.
Der Beamte wurde in den Stab der Polizeidirektion Zwickau versetzt. In
Anbetracht des Vorwurfs ist das immer noch eine ganz schön hohe Position
mit viel Verantwortung, oder?
Bei einer Entscheidung über die Umsetzung eines Beamten ist stets sein
Anspruch auf amtsangemessene Verwendung als maßgebliches Kriterium zu
berücksichtigen. Für den in Rede stehenden Beamten wurde eine Tätigkeit
gewählt, bei der er keine Führungsverantwortung und im Vergleich zu anderen
amtsangemessenen Dienstposten auch sonst keine besondere Verantwortung
trägt.
Sprechen wir über den zweiten Fall. Anfang April hat das
Oberverwaltungsgericht Bautzen entschieden, dass ein transsexueller
Polizeischüler seine Ausbildung fortsetzen darf, nachdem er diese bei der
sächsischen Polizei im Herbst 2020 als Frau begonnen hatte und rausgeworfen
wurde, weil er erklärt hatte, eine Geschlechtsangleichung anzustreben. Ende
April allerdings, also vier Wochen nach Ihrem Amtsantritt, hatte die
Polizei Sachsen ihm immer noch keine Dienststelle zugewiesen.
Die betreffende Person nahm die Ausbildung in Schneeberg Ende Mai wieder
auf. Und gestatten Sie mir nur eine Ergänzung: Wir werden in der
sächsischen Polizei niemals jemanden ablehnen, weil er oder sie trans ist.
Wichtig ist nur, dass man zum Zeitpunkt der Bewerbung die Wahrheit sagt.
Der Polizeischüler hatte im Sommer 2019 den Einstellungstest inklusive
Sportprüfungen als Frau absolviert. Als er im Laufe der Ausbildung
mitteilte, ein Mann zu sein, hat die Polizei Sachsen ihm „arglistige
Täuschung“ beim Ausfüllen eines Formulars vorgeworfen – und ihn
rausgeschmissen. Halten Sie die Entscheidung für gerechtfertigt?
Ich halte mich an das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes. Darin heißt es,
dass der Polizeischüler die Ausbildung vorerst fortsetzen darf. Die
Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht allerdings noch aus.
Das heißt, Sie distanzieren sich nicht von dem Rauswurf?
Ich habe Ihre Frage bereits beantwortet.
Themenwechsel. Lassen Sie uns über Ihre Demostrategie reden. Gehen Sie bei
rechten Demos anders vor als bei linken?
Nein. Denn das Versammlungsrecht gilt für alle Menschen – insbesondere für
diejenigen, die eine Minderheitenmeinung vertreten. Der Auftrag der Polizei
ist, allen Menschen zu ermöglichen, ihre Meinung kundzutun. Egal ob linke
oder rechte Demos, unsere Devise lautet: Kommunikativ, deeskalierend und
verhältnismäßig agieren.
Sobald Teilnehmer einer Demo Gewalt gegen Sachen oder Menschen ausüben, ist
es unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass die Demo wieder friedlich
verlaufen kann. Nur in Ausnahmefällen fordern wir den Versammlungsleiter
dazu auf, die Demo zu beenden. Die Auflösung der Demo durch die Polizei ist
das allerletzte Mittel.
In Sachsen finden nach wie vor jeden Montag Coronademos statt – organisiert
von den „Freien Sachsen“. Inzwischen geht es aber nicht mehr nur um die
Corona-Politik und die einrichtungsbezogene Impfpflicht, sondern vor allem
um die Gaskrise. Laut den Rechtsextremen drohe Deutschland ein
„Energielockdown“. Wie verlaufen die Demos?
Relativ friedlich. Wir haben die Lage ganz gut im Griff. Wenn es zu
Störungen kommt, schreiten wir ein. Unterstützung von der Bundespolizei und
von anderen Bundesländern brauchen wir momentan nicht.
Sind Sie vorbereitet auf die für den Herbst erwarteten massiven Proteste?
Eine wichtige Fähigkeit, die man als Polizist besitzen muss, ist, aus der
Bewältigung vergangener Herausforderungen zu lernen. Doch nur, weil die
Proteste im vergangenen Herbst und Winter so heftig waren, heißt das nicht,
dass sich das diesen Herbst wiederholen wird. So einfach ist es leider
nicht.
Aber gehen wir mal davon aus, dass die von Rechtsextremen initiierten
Proteste diesen Herbst dasselbe Ausmaß annehmen werden wie im vergangenen.
Wir haben im vergangenen Winterhalbjahr – als in Sachsen aufgrund der hohen
Infektionszahlen völlig nachvollziehbar zeitweise nur Versammlungen mit
zehn Teilnehmern erlaubt waren – eine Reihe von Erfahrungen gemacht, mit
denen wir uns zutrauen, die Proteste im kommenden Winter zu bewältigen.
Aber meine Berufserfahrung sagt mir: Das wiederholt sich nicht so schnell.
Was würden Sie denn anders machen als Ihr Vorgänger, falls die
Demonstrierenden genauso gewaltbereit sein sollten und zum Beispiel
Polizist:innen und Journalist:innen angreifen?
Dann müssen wir als Polizei so stark vor Ort sein, dass wir auch handeln
können. Es reicht ja nicht, nur gegen die gewalttätigen Teilnehmer
vorzugehen. Es geht auch darum, die friedlichen Demonstranten zu schützen.
Deswegen müssen wir so stark sein, dass wir beides können.
Kommen wir zu einem anderen Thema: 37 Prozent der Polizist:innen, die
Berlin im Frühjahr 2022 eingestellt hat, haben eine Migrationsgeschichte.
Sachsen erhebt solche Zahlen nicht. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um
Menschen aus Einwandererfamilien für den Polizeiberuf zu motivieren?
Die Polizei Sachsen stellt sich auf Jobmessen vor, um für den Polizeiberuf
zu werben. Dort bekommen natürlich auch Menschen mit Migrationsgeschichte
die Gelegenheit, mit uns zu sprechen.
Die Berliner Polizei zum Beispiel beteiligt sich an einem Programm, das
Jugendliche mit Migrationshintergrund bei der Berufswahl unterstützt und
Praktika im Öffentlichen Dienst vermittelt…
Die sächsische Polizei wirbt im Rahmen der Kampagne „Verdächtig gute Jobs“
durch entsprechende inhaltliche Gestaltung der Plakate, Werbefilme und
Broschüren um Personen mit Migrationshintergrund. Wir haben Broschüren auf
Polnisch und Tschechisch. Außerdem ist die sächsische Polizei bestrebt, auf
ihren Social-Media-Kanälen die Vielfalt der Polizeibediensteten abzubilden.
Speziell versuchen wir, die bereits vorhandenen Kolleginnen und Kollegen
mit Migrationshintergrund für Öffentlichkeitsmaßnahmen zu gewinnen. Die
Teilnahme ist allerdings freiwillig.
Wieso gibt es die Broschüren nur auf Tschechisch und Polnisch und nicht
auch auf Arabisch, Persisch oder Kurdisch?
Das hat damit zu tun, dass wir ganz eng mit den tschechischen und
polnischen Kollegen zusammenarbeiten.
Fänden Sie es denn gut, wenn sich die Zahl der migrantischen
Polizist:innen in Sachsen erhöhen würde?
Die Polizei ist – und davon bin ich zutiefst überzeugt – kein Spiegelbild
der Gesellschaft. Denn wir stellen nach Eignung, Leistung und Befähigung
ein. Natürlich wird uns Diversität in der Polizei immer besser machen. Ich
persönlich tue mich aber schwer damit, irgendeinen Maßstab festzulegen im
Sinne von: Wenn so und so viel Prozent der Polizisten eine
Migrationsgeschichte haben, dann wäre das so und so.
Aber wir müssen offen sein – so wie wir es vor vielen Jahren in Bezug auf
Frauen in der sächsischen Polizei waren. Polizistinnen waren damals
durchaus etwas Neues für eine männerorientierte Polizei. Und heutzutage ist
es mit Fug und Recht ein Stück Normalität geworden, dass sowohl Männer als
auch Frauen im Streifenwagen sitzen.
Im sächsischen Koalitionsvertrag von 2019 heißt es, dass eine anonymisierte
Kennzeichnung von Polizeibediensteten eingeführt werden soll. Eine solche
Kennzeichnung würde es Bürger:innen erleichtern, Polizist:innen zu
identifizieren, von denen sie sich ungerecht behandelt fühlen. Warum gibt
es diese Kennzeichnung noch nicht?
Wir müssen noch klären, wie wir das mittels digitaler IT-Software in der
Praxis tatsächlich umsetzen können. Die Kennzeichnung soll ja anonymisiert
und nicht wiedererkennbar sein.
Im Koalitionsvertrag steht außerdem, dass Betroffene anlassloser Kontrollen
als Nachweis eine Kontrollbescheinigung bekommen sollen. Zwar kann schon
heute jede Person, die von der Polizei kontrolliert wird, eine schriftliche
Bescheinigung verlangen – das wissen aber die wenigsten. Ist die
Quittierung Pflicht, könnte die Zahl rassistischer Kontrollen eingeschränkt
werden, schließlich müssten Polizist:innen dann jede einzelne
Personenkontrolle schriftlich begründen. Wann werden Sie die verpflichtende
Kontrollbescheinigung einführen?
Wie und wann die Kontrollbescheinigung bei anlasslosen Kontrollen umgesetzt
werden soll, wird derzeit noch diskutiert.
11 Aug 2022
## LINKS
[1] /Polizeipraesident-ueber-Coronademos/!5821120
[2] /Polizeiskandal-um-Gebrauchtraeder/!5697198
[3] /Ermittlungen-gegen-Polizisten/!5763706
## AUTOREN
Rieke Wiemann
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