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# taz.de -- Ratgeber zum Umgang mit der Angst: Heute üben: Angstverwandlung
> In ihrem Buch „Sei stärker als die Angst“ arbeitet die Autorin Sabrina
> Fleisch mit positiven Bildern gegen die Angst – und greift dabei etwas zu
> kurz.
Bild: Weit verbreitet: Angst vor Spinnen
In Europa herrscht Krieg, die Inflation macht alles teurer, wir befinden
uns nach wie vor in einer Pandemie und die Erde erwärmt sich auch immer
weiter. All das sorgt bei vielen für [1][Stress, Panikattacken nehmen zu]
und die Angst wächst.
Letztere zu besiegen, verspricht ein Arbeitsbuch, das laut Eigenaussage
„dein Leben verändern wird“. Geschrieben hat es Sabrina Fleisch, Angst- und
Stressbewältigungstrainerin aus Linz, die bereits mit dem Titel „Meine
Reise zu mir selbst“ auf der Spiegel-Bestsellerliste landete. Dort findet
sich auch ihr aktuelles Buch, das mit seinem verschnörkelten Titel „Sei
stärker als die Angst“ Lösungen sucht, wie wir mit unseren Ängsten umgehen
können.
Hierfür bietet Fleischs Buch durchaus interessante Ansätze. Da ist etwa
eine Aufgabe, mit der ein verbesserter Zugang zu den eigenen Gefühlen
hergestellt werden soll. Diese zu benennen, fällt vielen Menschen
erstaunlich schwer, weshalb Fleisch ihren Leser*innen eine Tabelle mit
allerlei Synonymen zur Verfügung stellt: „Denn alles, was einen Namen hat,
kann besser wahrgenommen, verarbeitet und auch verstanden werden.“ So weit,
so gut.
Man lernt also, dass Traurigkeit nicht immer Traurigkeit sein muss, sondern
auch Enttäuschung oder Bedürftigkeit sein kann, und dass Scham, manchmal
Reue sowie Angst auch mal Hilflosigkeit ist. Das ist hilfreich, denn um zu
verstehen, was uns beschäftigt, ist eine klare Abgrenzung wichtig.
## Stärkung der Selbstwirksamkeit
Habe ich wirklich Angst vor dem Meeting, oder ist es doch eher die Sorge
davor, nicht gut genug zu sein? Sich diese Fragen zu stellen, kann
förderlich sein, um Antworten und Lösungen zu finden. Es stärkt die
Selbstwirksamkeit – die in der Psychologie für das Vertrauen in sich, die
eigenen Kompetenzen und Handlungen steht.
In besagter Tabelle findet sich aber auch das Wort „Depression“. Fleisch
nutzt es synonym für Traurigkeit. Hier wird ein Problem sichtbar, das sich
sprachlich manifestiert. Depressiv sein ist nicht dasselbe wie traurig
sein. Jemand, der traurig ist, kann depressiv werden, und jemand, der
depressiv ist, kann Trauer empfinden. Doch eine [2][„Depression“] geht mit
einer Diagnose einher und die wird von Ärzt*innen oder
Psychotherapeut*innen gestellt. Als „psychische Beraterin“, wie sie
sich selbst nennt, sollte Fleisch dies eigentlich wissen.
Erst bei etwa der Hälfte ihres Buches kommt die Autorin dazu, verschiedene
Arten der Angst zu klassifizieren. Von spezifischen Phobien wie der vor
Spinnen (Arachnophobie) oder Spritzen (Trypanophobie) über die Soziophobie
hin zur generalisierten Angststörung.
## Neoliberale Logik
Mittels Fragebögen und Selbstevaluation soll so herausgefunden werden,
welcher Angsttyp (schizoid, depressiv, zwanghaft, hysterisch) man ist. Das
ist hilfreich für eine erste Einschätzung, doch bleibt man dann mit dem
Erlernten etwas allein. Das Kapitel endet mit einer schiefen
Bergsteigermetapher und der Erkenntnis, dass „sich Ängsten zu stellen
Selbstfindung, Selbstliebe und zugleich Selbstopferung [ist].“ Nun ja.
„Angst wird durch ein negatives Zukunftsbild erzeugt“, schreibt Fleisch
unter „Angstverwandlung“ ein paar Kapitel weiter. Bei der Angstverwandlung
ginge es darum, die Angst erzeugende Vorstellung nun mit positiven Bildern
aufzuladen, „damit die schreckliche Vorstellung verschwindet“. Das mag auf
individuell bedingte Ängste zutreffen. Doch Ängste, ausgelöst durch heutige
Krisen, die automatisch unser Zukunftsbild prägen, lassen sich leider nicht
einfach „modifizieren“, wie hier vorgeschlagen. Sie bedürfen vor allem
struktureller Veränderungen.
Die Auffassung, man selbst sei alles, was man bräuchte, um für seine Ziele
zu kämpfen, wie es Fleisch andernorts formuliert, klingt auf den ersten
Blick ermutigend und motivierend. Im Grunde folgt sie aber auch nur einer
neoliberalen Logik, die die Verantwortung struktureller Probleme auf das
Individuum abzuwälzen versucht.
9 Aug 2022
## LINKS
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[2] /Neue-Literatur-ueber-psychische-Krankheit/!5867286
## AUTOREN
Sophia Zessnik
## TAGS
Ratgeber
Psychologie
Angst
Zukunft
Verantwortung
ADHS
Kolumne Great Depression
Literatur
Alexander Kluge
Pandemie
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