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# taz.de -- Angst vor Spinnen überwinden: Willkommen im Netz!
> Mit dem Herbst kommen die Spinnen ins Haus. Früher graute es unserer
> Autorin vor ihnen – heute lässt sie sie sogar im Schlafzimmer wohnen.
Bild: Die Hauswinkelspinne, auch bekannt als Kellerspinne
Es ist Abend, zwei Fenster im Wohnzimmer stehen zum Lüften etwas offen,
leicht bauschen sich die Vorhänge im Wind. Ich knipse das Licht an und da
sehe ich sie: die Spinnen. Eine große dunkle hockt in einer Ecke, eine
hellbraune [1][mit extra langen Beinen] hängt an der Decke und eine kleine
zarte direkt über dem Sofa. Ups – so viele, schon wieder? Was wollen diese
Spinnen hier bei mir?
Im Herbst, wenn die Tage kühler und die Nächte rauer werden, [2][kommt die
Spinne häufig in unsere Häuser] und Keller, Garagen und Schuppen. Auf acht
Beinen huscht sie durch Fenster und Türen. Mit ihren vier Augenpaaren
bleiben ihr auch kleinste Mauerritzen nicht verborgen. Geschwind schlüpft
sie hindurch und sitzt danach gerne dort, wo es noch etwas feucht ist, mit
etwas Glück haben sich hier auch Insekten eingenistet. Auf sie hat es die
Spinne abgesehen.
Uns Menschen gegenüber lässt die Spinne niemals auch nur eine kleinste
Freundlichkeit oder ein Zeichen des Wunsches nach Kontakt erkennen. Ob sie
als neue Mitbewohnerin willkommen sei, danach fragt sie nicht. Mit ihrer
stillen unbekümmerten Frechheit hat sie es geschafft: Die Spinne ist unser
häufigstes Haustier.
Ich hole ein Trinkglas und ein Stück festes Papier, platziere einen Stuhl
unterhalb der Spinne in der Ecke und steige hinauf. Mit der rechten Hand
stülpe ich das Glas über sie, mit der linken schiebe ich vorsichtig die
Pappe zwischen Wand und Glas. So setze ich die Spinne fest. Den Fang in
Händen steige ich, ohne mich irgendwo festhalten zu können, zurück zum
Boden. Geschafft! Heil auf meinen beiden Beinen wieder angekommen, schaue
ich genauer hin.
Da ist ihr dunkelbrauner, ungefähr einen Zentimeter großer Körper. Auf
ihren dicht behaarten Beinen rast sie aufgescheucht im Glas umher. Es ist
eine Winkelspinne. Wir Menschen haben ihr diesen Namen verpasst, weil sie
oft in Ecken sitzt. Gerne auch im Keller, wo sie in feuchter Umgebung auch
Asseln zum Verzehr findet. Das helle Licht und die Enge im Glas – da will
sie nur eines: Raus hier! Ich ziehe mir Schuhe an, gehe in den nächtlichen
Garten und leere das Glas über einem Strauch aus. Tschüss!“ rufe ich
hinterher. Zweimal noch gehe ich so in den Garten, danach sind alle Spinnen
raus. Zumindest für heute.
Nicht immer war mein Verhältnis zu Spinnen im Haus entspannt. Als
Jugendliche schauderte es mich, wenn eine Spinne überm Bett saß. Dann
überkam mich die Vorstellung, die Spinne könnte sich im Dunkeln an ihrem
Faden herablassen und mir mit stachligen Beinen fies übers Gesicht
krabbeln. Ich rief meine Mutter um Hilfe, sogar spät nachts, wenn sie schon
schlief. Die stöhnte müde, stand aber auf und kam die Treppe hoch in mein
Zimmer. Genervt ließ sie sich die Spinne zeigen und grummelte dann oft:
„Das ist doch gar keine Spinne, das ist ein Weberknecht.“
## Etwa jede:r Zwanzigste hat Arachnophobie
Angst und Ekel vor Spinnen ist eine weit verbreitete Phobie. [3][Nach
Schätzungen der AOK] sind hierzulande fünf Prozent der Bevölkerung
betroffen, vor allem Frauen. Psycholog:innen vermuten, dass auch bei
der Arachnophobie – so der Fachausdruck – ein Verhaltensmuster vorliegt,
das im sozialen Kontakt mit anderen nachgeahmt und erlernt wird. Ein Grund
für Spinnenangst sei, so wird gemutmaßt, dass wir seit dem industriellen
Zeitalter fernab der Natur leben und im Gegenzug romantische Gefühle und
Vorstellungen für sie hegen und pflegen. Spinnen aber eignen sich mit ihrer
Gestalt und ihrem Verhalten nicht dafür, verniedlicht zu werden, wie wir es
mit kleinen Tieren sonst gerne machen. Bei Naturvölkern ist Arachnophobie
übrigens nicht bekannt. Obwohl es vor allem in tropischen Gegenden große
Giftspinnen gibt, deren Biss einen Menschen tatsächlich verletzen kann.
Aus meinem kleinen Dorf am Waldrand mit vielen Spinnen zog ich für Studium
und Beruf nach München und nach Berlin. Mal zweites, mal fünftes Stockwerk,
immer Innenstadt. In diese Wüsten aus Stein, Beton und Glas verirrte sich
niemals eine Spinne zu mir. Irgendwann wurde diese Umgebung aber auch für
mich zu öde. Mein Mann und ich gingen nach Norddeutschland, hier leben wir
am Rande einer Stadt und haben uns einen naturnahen Garten rund ums Haus
angelegt. Unser edles Motiv: einen Lebensraum schaffen nicht nur für uns
allein. Wir dachten dabei an Vögel, Wildbienen, Igel und andere
possierliche Tierchen – und es kamen die Spinnen.
Wenn in unserem Garten im Morgensonnenschein Tautropfen in langen Ketten in
den fein gesponnen Netzen glitzern, gehe ich in die Hocke und betrachte das
faszinierende Werk. Mit etwas Glück entdecke ich die Spinne, die am Rand
sitzt und regungslos wartet. Bis es vibriert – das ist für sie das Zeichen.
Lautlos bewegt sie sich zu dem Insekt, das an ihrem Netz reißt, weil es
sich darin verfangen hat. Spinnen spritzen mit ihren beiden Kieferklauen
ein wenig Gift ins Beutetier, wickeln es mit ihrem elastischen, etwas
klebrigen Faden ein und schleppen es an den Rand des Netzes um es in Ruhe
zu verzehren. Spinnen sind Raubtiere.
Mehr als 46.000 Spinnenarten haben Wissenschaftler bisher auf der ganzen
Welt entdeckt. Rund 1.000 [4][davon leben in Deutschland]. Nur wenige
kommen auch ins Haus, am bekanntesten sind dabei die Große Winkelspinne und
die Zitterspinne. Welche und wie viele Spinnen genau in unseren Wohnungen
ihren Lebensraum gefunden haben, weiß man allerdings nicht, denn es gibt
dazu keine systematische Forschung und keine gesicherten Daten. Für
Spinnenarten, die ans Leben in der Wohnung nicht angepasst sind, wird es
jetzt auch gefährlich: Wenn die Heizung läuft, kann es geschehen, dass sie
vertrocknen und sterben.
So gerne ich meine Beobachtungen im Garten machte, im Haus konnte ich
Spinnen lange Zeit weiterhin nicht leiden. Genervt fing ich sie ein,
schaute sie kaum an und warf sie leicht angewidert in den Garten. Ich
wusste ja, die Tiere zu verletzen oder zu töten ist nach dem
Bundesnaturschutzgesetz verboten. Sie sind ein Teil des großen Netzwerks
und fressen Insekten, Milben, Asseln und vielerlei mehr und werden auch
selbst zu Futter. Für Vögel, Fledermäuse – und andere Spinnen.
## Kunst und Mythos der Spinnen
Neu geordnet wurde mein Verhältnis zu Spinnen in Mettingen. Am Rande des
kleinen Ortes in Westfalen, zwischen biederen Einfamilienhäusern und
offenen Wiesen, liegt eine großzügige moderne Kunsthalle, die Draiflessen
Collection, gestiftet von der hier ansässigen
Unternehmer:innenfamilie Brenninkmeijer auf dem ehemaligen
Produktionsgelände ihrer Firma C & A. Mit meinem Mann besuchte ich dort vor
einem Jahr die Ausstellung „Fäden“. Ich erwartete Werke der vor allem von
Frauen betriebenen Kunst des Webens – und entdeckte Kunst und Mythos der
Spinnen.
Ich sah die Eisenskulptur „Spider“ der französisch-US-amerikanischen
Künstlerin Louise Bourgeois. Sie zeigte die Spinne groß, angriffslustig,
stark und doch auch bewahrend, mit drei Eiern aus Marmor, die sie im Bauch
trägt. Dazu erklärt die Künstlerin: „Die Spinne ist ein Loblied auf meine
Mutter, die meine beste Freundin war. Wie die Spinnen war auch meine Mutter
Weberin. Und sie war schlau wie eine Spinne.“
In der Ausstellung wurde auch ein mehr als 2.000 Jahre alter griechischer
Mythos erzählt, doch hier aus der Perspektive der Weberin Arachne. Sie,
eine Frau aus armen Verhältnissen, hat in eigener harter Arbeit ihre
Webfertigkeiten perfektioniert, aber immerfort muss sie sich anhören, ihre
Kunstfertigkeit habe sie der Gnade Athenes zu verdanken, der Göttin der
Weisheit, des Krieges und der Webkunst. Das will Arachne nicht länger
hinnehmen und sie fordert die mächtige Athene zum Wettkampf heraus. Beide,
Göttin und sterbliche Frau, weben mehrere Bilder. Arachne wagt es, mit
ihren Motiven Willkür und Machtmissbrauch der Götter anzuklagen. Voller Wut
zerreißt Athene diese Bildnisse, bespritzt Arachne mit einem Gift und
verwandelt sie so zur Spinne. Aus Arachne und ihren Nachkommen soll ein
Faden quellen, den sie auf ewig weben müssen. Bis heute heißen Spinnentiere
in der Wissenschaftssprache Arachniden.
## Für menschliche Zwecke lassen sie sich nicht nutzen
Diese Erzählung beeindruckt mich, und sie lässt mich anders auf Spinnen
blicken. Ich kann in ihnen Wesen sehen, die Eigensinn, Unangepasstheit und
hohes Können verkörpern. Aus dem eigenen Leib einen Faden zu erzeugen, der
extrem dünn, leicht, elastisch und reißfest ist und daraus Netze weben –
das ist Kunst! Bislang sind auch alle Versuche gescheitert, Spinnen und
ihre Fäden für menschliche Zwecke zu nutzen. Spinnen geben ihr Geheimnis
nicht preis. Das finde ich stark.
Wenn ich nun eine Spinne in Keller, Treppenhaus oder Zimmer entdecke,
betrachte ich sie freundlich. Zitterspinnen wackeln, wenn sie im Glas
gelandet sind. Das ist ihr Trick: Wenn ihre Umrisse verschwimmen, kann ein
Fressfeind sie nur noch schlecht erkennen. Ich muss jedes Mal lächeln, wenn
ich den Tanz des Tieres auf seinen langen grazilen Beinen sehe. Meistens
entferne ich jetzt die Spinnweben erst dann, wenn sich nur noch eine Hülle
darin findet, wenn die Spinne sich gehäutet hat und, größer geworden,
längst anderswo sitzt. Im Schlafzimmer lasse ich Spinnen ruhig hängen,
sorgen sie doch für meinen guten Schlaf. In ihren Netzen fangen sie die
Stechmücken, die meine Ruhe stören könnten. So ist die Spinne auch ein
eigenwilliges, immer wieder verblüffendes Nutztier.
22 Oct 2025
## LINKS
[1] /Kinder-fragen-die-taz-antwortet/!5850465
[2] /Spinnen-im-Haus/!6039513
[3] https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/warum-haben-mensch…
[4] https://www.sielmann-stiftung.de/natur-schuetzen/tierwelt/spinnen
## AUTOREN
Gunhild Seyfert
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