# taz.de -- Pfleger über Tarifvertrag Entlastung: „Das bedeutet: Ich bleibe�… | |
> Tobias Wendker macht eine Ausbildung zum Pfleger in Münster. Über elf | |
> Wochen streikte er mit Kolleg*innen für einen Tarifvertrag Entlastung | |
> – mit Erfolg. | |
Bild: Auszubildende in NRW haben mitgestreikt, denn die Probleme sind von Anfan… | |
taz: Nach [1][über elf Wochen Arbeitskampf] an den Unikliniken in | |
Nordrhein-Westfalen steht nun [2][die Einigung] auf einen von Verdi | |
geforderten Tarifvertrag Entlastung (TV-E). Was nehmen Sie mit? | |
Tobias Wendker: Der Streik war kräftezehrend, aber sehr wertvoll. Es bleibt | |
das Gefühl, dass man den strukturellen Problemen im Gesundheitswesen und | |
der Arbeitslast auf der Station nicht nur ausgeliefert ist. Ich habe | |
dadurch Menschen und Bereiche im Krankenhaus kennengelernt, die mir sonst | |
in meiner Ausbildung nicht begegnet wären. Ich bin jetzt besser vernetzt | |
und kenne Kolleg*innen über das gesamte Uniklinikum hinaus. Erst jetzt | |
kann ich tatsächlich einschätzen, was die Arbeit im Krankenhaus wirklich | |
bedeutet. | |
Sie waren als Auszubildener Teil der Verdi-Tarifkommission. Warum war Ihnen | |
das wichtig? | |
Im Bereich Pflege haben wir in der [3][Ausbildung eine sehr hohe | |
Abbruchquote.] 25 Prozent meines Kurses haben bereits abgebrochen und das | |
vor der Hälfte der Ausbildung. Auch für mich stellt sich jetzt zum Ende der | |
Ausbildung die Frage, ob ich in einer auf Profitlogik beruhenden | |
Krankenversorgung im Gesundheitssystem arbeiten möchte. Inwieweit kann ich | |
das mittragen, inwieweit bin ich der Arbeitsbelastung gewachsen? Ich habe | |
durch den Streik und die Verhandlungen für mich die Möglichkeit gesehen, | |
selbst was an den Arbeitsbedingungen zu ändern. Sowohl für mich als auch | |
für die Menschen, für die ich im Krankenhaus Verantwortung trage. | |
Wie beeinflusst die Einigung zum Tarifvertrag Ihre Entscheidung? | |
Das kann ich sehr simpel beantworten. Der TV-E bedeutet, dass ich bleibe. | |
Die Perspektive auf Arbeitsbedingungen, die eine [4][menschenwürdige | |
Patientenversorgung] zulassen, führt dazu, dass ich jetzt eine dieser | |
Personen bin, die diesen Beruf nicht verlassen wird. | |
Viele Menschen haben dem Gesundheitswesen [5][den Rücken gekehrt]. | |
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hofft darauf, dass durch [6][die | |
neue Pflegepersonal-Regelung (PPR 2.0)] mehr Menschen in den Beruf | |
zurückkehren. Haben Sie die Hoffnung, dass das auch der TV-E bewirken kann? | |
Definitiv. Es gibt ja ein großes Potenzial an Menschen, die diesen Beruf | |
gelernt haben und sich aus [7][nachvollziehbaren Gründen] dagegen | |
entschieden haben, darin zu bleiben. Die müssen wir jetzt überzeugen. Ich | |
habe es gerade an meinem Beispiel schon deutlich gemacht: Mich überzeugt | |
dieser Tarifabschluss, in diesem Beruf weiterhin tätig sein zu wollen. Ich | |
glaube, dass es anderen ähnlich geht. | |
Im Zuge des Streiks waren viele Beschäftigte aber auch wütend, wie mit | |
ihren Forderungen umgegangen wurde. Ein 100-Tage-Ultimatum musste | |
verstreichen, bevor die Klinikleitungen reagiert haben. Außerdem wurden | |
juristische Schritte gegen die Streiks unternommen. | |
Während der Verhandlungen war auch viel Frust dabei. Seit Ende Mai haben | |
wir bereits verhandelt. Und dass sich dann Mitte Juni, nach bereits zwei | |
Wochen Verhandlungen, die Arbeitgeberseite aus Bonn entschieden hat, die | |
Legitimität unseres Streiks und unserer Forderungen grundsätzlich | |
anzuzweifeln, das hat mich sehr verärgert. Schlussendlich hat uns sowohl | |
das Arbeitsgericht Bonn als auch das Landesarbeitsgericht Köln recht | |
gegeben. Das hat uns noch mal Aufwind gegeben. Mir ist es dabei wichtig zu | |
betonen, dass eben nicht nur die Pflege im Streik war, sondern alle | |
Bereiche am Uniklinikum. Sprich Kitas, Boten- und Transportdienste, Küche, | |
Therapeut*innen, alle. | |
In dem Eckpunktepapier zum TV-E in NRW sind bundesweit zum ersten Mal | |
konkrete Regelungen für die Entlastung von Auszubildenden in den Kliniken | |
festgehalten. Wie wichtig war Ihnen das? | |
Wir hatten uns drei Kernpunkte auf die Fahne geschrieben: Personalaufbau, | |
Entlastung und eine Verbesserung der Ausbildungsqualität. Ich finde, gerade | |
beim dritten Punkt haben wir ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Denn eine | |
Neuschaffung von Stellen, um [8][dem fehlenden Personal] entgegenzuwirken, | |
funktioniert nur, wenn durch eine gute und ansprechende Ausbildung Menschen | |
auch nachrücken. | |
Bei aller Freude über die Einigung: Gibt es auch Kritikpunkte an den | |
verhandelten Eckpunkten? | |
Es gibt natürlich noch Luft nach oben. Das, was wir jetzt erreicht haben, | |
ist, wie immer in Tarifrunden, ein Kompromiss. Es ist ein erster Schritt in | |
Richtung grundsätzlicher Veränderung des Gesundheitswesens. Die endet nicht | |
mit diesem Eckpunktepapier. Es gibt Bereiche, die sich nicht in | |
angemessenem Umfang in diesem Abschluss wiederfinden. Hauptsächlich handelt | |
es sich dabei um Kolleg*innen aus den nicht-refinanzierten Bereichen. | |
Etwa für die Ambulanzen und die Radiologie wollen wir in zukünftigen | |
Entlastungsrunden bessere Ergebnisse erzielen. | |
Insgesamt bewerte ich den Abschluss allerdings als überwiegend positiv. Der | |
Kampf um ein Gesundheitswesen, in dem Kliniken keine schwarzen Zahlen | |
schreiben müssen, sondern ausschließlich der öffentlichen Daseinsvorsorge | |
dienen, geht aber weiter. In einer Uniklinik, die sich über ihre | |
Jahresbilanz definiert, möchte ich nicht arbeiten. Deswegen werden wir die | |
Strukturen nutzen, die wir in den letzten Monaten aufgebaut haben, um | |
weiter Druck auszuüben. | |
## Wird der Streik in NRW Vorbild sein für weitere Kliniken? | |
Ja, auch andere Unikliniken, etwa Gießen/Marburg, Frankfurt und Dresden | |
haben sich auf einen ähnlichen Weg begeben. Sie können sich vielleicht von | |
dem, was wir in den letzten Monaten erreicht haben, inspirieren lassen und | |
auch Kraft mitnehmen. So wie wir uns von der [9][Bewegung in Berlin] haben | |
inspirieren lassen. | |
Und jetzt geht es zurück an die Arbeit? | |
Dienstag waren wir erstmal alle emotional und sehr erschöpft. Ich glaube, | |
nach fast zwölf Wochen belastendem Arbeitskampf mit Freude und Verzweiflung | |
ist da sehr viel von uns abgefallen. Aber ja, jetzt geht es wieder an die | |
Arbeit – und das ist auch gut so! Alle, die sich im Streik engagiert haben, | |
fühlen sich ihren Berufen sehr verpflichtet und üben sie gerne aus. Sonst | |
hätten wir den Stress und den enormen Arbeitsaufwand in den vergangenen | |
Monaten nicht auf uns genommen. Außerdem steht jetzt die Phase an, in der | |
wir die Einhaltung der neuen Regelungen aktiv begleiten müssen. | |
Sie können also weiterhin die positiven Seiten in Ihrem Beruf sehen? | |
Auf jeden Fall! Es ist ein sehr menschlicher, sehr schöner Beruf. Ich habe | |
vor der Ausbildung zwei Jahre im Bereich Pflege gearbeitet und da | |
festgestellt, dass das etwas für mich ist. Es bleibt ein Beruf mit vielen | |
erfüllenden Glücksmomenten, aber großen strukturellen Problemen. Wenn man | |
diese Probleme beseitigt, bleibt eine Arbeit, die daraus besteht, für | |
Menschen mit einem Unterstützungsbedarf da zu sein. Das ist etwas sehr | |
Schönes. | |
22 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Linda Gerner | |
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