# taz.de -- Männer und Monstertrucks: Eine Familie überschlägt sich | |
> Die Franks fahren mit großen Autos über kleine Autos. Ihre Show scheint | |
> dem Untergang geweiht, aber sie wollen nicht aufhören. Oder sie können | |
> nicht. | |
Bild: Großer Auftritt der Familie Frank in Dachau: Autos mit dem Monstertruck … | |
Bevor sich sein roter Citroën überschlägt, sitzt Jeffry Frank ganz ruhig | |
da. Seine Finger umklammern das Lenkrad. Auf dem Messeplatz Max Wille in | |
Magdeburg riecht es nach verbranntem Gummi. Durch das Autofenster kann | |
Jeffry die Elbe sehen. 150 Menschen schauen ihn an. Sein Vater sagt immer, | |
dass sein Sohn den Weltrekord in den meisten „Überschlägen“ hintereinander | |
halte. Jeffry ist sich da nicht so sicher, aber egal. Weltrekord klingt | |
immer gut. Dann gibt er Gas. | |
Er rast auf eine Rampe. Dann reißt Jeffry das Steuer nach rechts. Der | |
Citroën verliert die Bodenhaftung. Er überschlägt sich. Einmal, zweimal. | |
Und bleibt auf den Rädern stehen. Jeffrys Bruder Francesco ist der erste am | |
Wagen. Auf dem Magdeburger Messeplatz ist es still. Ein Kind schlägt sich | |
die Hände vor den Mund. | |
Gerhard Frank, der Vater von Jeffry und Francesco, kennt die erschrockenen | |
Gesichter, er kennt diese Stille. Tausende Male hat er schon gesehen, wie | |
sich seine Kinder in einem Auto überschlagen. Er weiß, was zu tun ist. Auf | |
seinem Mischpult im Popcornwagen neben der Rennstrecke drückt er einen | |
Knopf. Es läuft Musik wie in einem Horrorfilm. Frank fragt ins Mikro, seine | |
Stimme bebt: | |
„Geht es meinem Sohn gut?“ | |
Gerhard Frank ist 45 Jahre alt. Hier nennen ihn alle nur Franky. Er sagt | |
über sich, er sei „das Oberhaupt“. Vom Familienunternehmen | |
„Monstertruckshow Gebrüder Frank“ und von Familie Frank. Die Franks sind | |
eine große Familie. Jeffry ist mit 24 Jahren der älteste Sohn. Francesco | |
ist 21. Insgesamt hat Gerhard Frank zehn Kinder: drei Söhne und sieben | |
Töchter. Die Jüngste gerade mal eineinhalb Jahre alt. Manche Frank-Männer | |
haben wie Jeffry geheiratet. Gerhard Franks zweite Frau heißt Mandy, sie | |
ist 33 Jahre alt. | |
Die Familie arbeitet seit anderthalb Jahrhunderten im Schaustellergeschäft. | |
1861 gründete Gerhard Franks Ur-Ur-Ur-Opa einen Zirkus. Mit dem zog die | |
Familie durch Europa. Aber das ist seit den 1970er Jahren vorbei. Heute | |
machen die Franks eine Monstertruckshow. Sie lassen die Reifen | |
schrottreifer Autos qualmen, rasen mit ihnen über staubige Plätze vor | |
Baumärkten, bauen Unfälle. Am Ende der Show fahren sie das, was von den | |
Wagen übrig ist, mit Monstertrucks platt. Die Zuschauer*innen riechen | |
verbranntes Benzin und sehen grelle Fontänen aus Feuer. | |
Aber ist 2022 noch ein Jahr für Männer, die sich in Autos überschlagen? | |
Zwei Jahre konnten die Franks wegen Corona kaum auftreten. Mehr als einmal | |
brachen Unbekannte die Türen der Monstertrucks auf oder malten | |
„Umweltzerstörer“ auf die Motorhauben. | |
## Vom Zirkus zum Monstertruck | |
Das Geschäft der Franks ist aus der Zeit gefallen. Lange wollten sie den | |
gesellschaftlichen Wandel nicht wahrhaben. Die Menschen hinterfragen | |
inzwischen, warum für Unterhaltung Dreck in die Atmosphäre geblasen wird. | |
Die Franks sagen, dass Menschen, die ihnen vor einem Jahrzehnt noch | |
zugejubelt haben, heute fragen, ob das mit ihrer Show noch sein muss. | |
Warum machen sie trotzdem weiter? | |
„Wir wurden hier hineingeboren“, sagt Mandy Frank. „Wir haben dieses | |
Geschäft von Grund auf gelernt.“ Sie hat mit Gerhard Frank fünf gemeinsame | |
Kinder. Die anderen fünf Kinder kommen aus einer früheren Beziehung. Wie | |
Franky stammt auch Mandy aus einer Schaustellerfamilie. Auch ihr Großvater | |
hatte einen Zirkus, auch der wechselte irgendwann zu den Monstertrucks. | |
Unter den Schausteller*innen kennt man sich. Man bespielt die gleichen | |
Städte, redet miteinander, trinkt zusammen. So trafen sich Mandy und | |
Franky. | |
Während die Männer der Familie die Autos fahren, kümmert sich Mandy um die | |
Kasse, Jeffrys Frau verkauft Tickets. Dass nur die Jungs fahren, habe mit | |
dem Patriarchat nichts zu tun, sagt sie: „Wenn unsere Mädels fahren wollen, | |
dann dürfen sie das.“ | |
Magdeburg im Februar, einen Tag vor der Show, bei der sich Jeffry | |
überschlagen wird. Es nieselt. Ein kalter Wind fegt über die Elbe. Zwei | |
riesige Lkws mit Chrom-Radkappen schieben sich durch die Straßen der | |
Altstadt zum Messeplatz. Sie sind vom Dach bis zur Stoßstange in den Farben | |
der US-Flagge lackiert. Die Familie will auffallen und sie muss. Die Leute | |
sollen sehen: Die Franks sind da, jetzt ist Showtime. | |
Franky trägt schwarze Arbeitsklamotten. Er raucht eine Zigarette. Früher, | |
sagt er, habe so eine Fahrt durch die Stadt als Werbung für die Show | |
gereicht. Weil aber „Stars and Stripes“ alleine nicht mehr ziehen, hat die | |
Familie ein paar Tage vor der Show Lkw-Anhänger mit Monstertrucks vor einem | |
örtlichen Baumarkt abgestellt. „Hier kaufen die Leute ein, die zu uns | |
kommen.“ Heute, an diesem zernieselten Morgen, soll der Anhänger mit den | |
Monstertrucks abgeholt werden. Frankys Neffe steuert den Lkw durch | |
Wohngebiete und enge Straßen. Die linke Hand am Lenkrad, die rechte am | |
Schalthebel. Franky sitzt in der Mitte, in der linken Hand eine Zigarette. | |
In der rechten hält er eine leere Bierdose als Aschenbecher. Ein Schild | |
warnt vor einer niedrigen Unterführung. „Das kann eng werden“, sagt Franky | |
und ascht ab. | |
Am nächsten Tag zerren Franky und seine Söhne Bauzäune über den Platz. Die | |
Stimmung ist schlecht oder wie Franky die Situation zusammenfasst: | |
„Scheiße.“ Er zeigt auf den komplett verbogenen Lkw-Anhänger. Eine Brücke | |
war dann doch zu niedrig. Der Anhänger ist Schrott. | |
„Das kostet wieder viel zu viel Geld“, schimpft Franky. Dann winkt er ab. | |
„Naja, immerhin kein menschlicher Schaden.“ | |
Halb elf, noch eine halbe Stunde bis Showbeginn. Die Wolken am Himmel | |
werden weniger. In der Sonne wird es warm. Besucher*innen laufen über | |
den Messeplatz zum Eingang. Sie kaufen Popcorn, stellen sich vor die | |
Absperrungen, machen Fotos. Frankys Blick scannt den abgesperrten Bereich | |
mit den Zuschauer*innen. Er wird nervös: „Sieht ein bisschen mager aus.“ | |
Etwa 150 Leute werden es um 11 Uhr sein. Zu wenig, um richtig Geld zu | |
verdienen. | |
## Früher füllten sie Stadien | |
Dabei waren sie mal richtig erfolgreich. Vor sieben Jahren zum Beispiel, da | |
füllte seine Familie ein ganzes Stadion im polnischen Lubin. „Das waren die | |
glorreichen Zeiten“, sagt Franky. Beifall und Standing Ovations von den | |
1.500 Zuschauer*innen. Solche Shows spielen die Franks heute nicht mehr. Es | |
fehlen die Menschen, die sie sich angucken wollen. | |
Die Stunts, die seine Söhne heute fahren, hat Franky früher selbst gemacht. | |
In den 90er Jahren fuhr er in sogenannten Helldriver-Shows durchs Feuer. | |
Seine Königsdisziplin: der Kamikaze. Ungebremst, mit durchgetretenem | |
Gaspedal, in ein anderes Auto reinfahren. „Meine Söhne sagen oft, dass sie | |
auch mal die Kamikaze machen wollen“, sagt Franky. Doch er verbiete das. Zu | |
groß sei die Angst, dass ihnen etwas passiert. Dass sie irgendwann mal wie | |
er im Krankenhaus landen. Franky ruinierte sich bei der Kamikaze den | |
Rücken. Bandscheibenvorfall. Seitdem fährt er nicht mehr. | |
Für Franky war das hart. Das Steuer abzugeben, nicht mehr der Star zu sein. | |
Das sei das Schwierige, wenn man Arbeit und Familie vermische: „Du musst | |
deine Rolle kennen“, sagt Franky. „Irgendwann meinten meine Kinder, ich | |
solle nur noch ans Mikrofon gehen.“ Er hörte auf sie. | |
Seitdem überschlagen sich seine Söhne mit bis zu 80 Stundenkilometern in | |
Autos und Franky kommentiert das im Verkaufswagen für die Zuschauer*innen. | |
Einmal krachte sein Sohn Jeffry bei einem Stunt mit dem Kopf gegen die Tür | |
seines Autos. | |
„Er war eine Minute bewusstlos“, sagt Gerhard Frank. Wenn sein Sohn heute | |
ins Auto steige, dann müsse er immer an diese Minute denken. „Aber das ist | |
halt unser Job“, sagt Franky, „damit verdienen wir unseren | |
Lebensunterhalt“. | |
Franky ist nicht nur der Kommentator der Shows, er organisiert sie auch. Er | |
bezahlt die Rechnungen, bucht Festplätze, kämpft mit den Ämtern um | |
Genehmigungen. Die Monstertruckshow ist sein Erbe. Das Vermächtnis der | |
Familie Frank. Er will sie erhalten. Eine Alternative zum | |
Schaustellerdasein sieht er nicht, ebenso wie seine Söhne. „Sie haben | |
nichts anderes gelernt“, sagt Franky. „Wir können Publikum begeistern und | |
das können wir sehr, sehr gut.“ | |
In Magdeburg hat sich Jeffry gerade zweimal mit dem Auto überschlagen. Noch | |
immer sitzt er regungslos in der Fahrerkabine. Wegen des Helms sieht das | |
Publikum sein Gesicht nicht. Francesco steckt seinen Kopf in den verbeulten | |
Citroën. Er lässt sich Zeit. Er weiß, worauf es ankommt: Spannung aufbauen, | |
die Zuschauer*innen zittern lassen. | |
Jetzt fragt Franky wieder über das Mikrofon: „Kann ich bitte einen Daumen | |
sehen? Francesco, kannst du mir bitte einen Daumen hoch geben, wenn es | |
meinem Sohn gut geht?“ | |
## Monstertrucks sind Liebe | |
Francesco wartet noch mal ein paar Sekunden. Dann zieht er seinen Kopf aus | |
dem Auto, richtet sich auf, schaut zum Publikum und hebt ganz langsam | |
seinen Daumen in den Himmel. Applaus. Die Kinder jubeln. „Jeffry Frank, | |
meine Damen und Herren“, schreit Gerhard Frank in sein Mikrofon. | |
Den ersten Monstertruck der Familie hat sein Vater gebaut. Er sei im Urlaub | |
in Amerika gewesen, da kam ihm die Idee. Damals war Franky sieben Jahre | |
alt. Vater Frank fing an, Teile von Allradfahrzeugen zu nehmen und zusammen | |
mit großen Rädern an ein Auto zu schrauben. Stoßdämpfer und Federn gingen | |
bei den Stunts aber immer wieder kaputt. Bis Fahrwerk und Federn aus | |
Amerika kamen. Stück für Stück wuchs der Monstertruck. Und Franky schaute | |
dabei zu. „Für mich war das bloß ein Ding mit großen Rädern.“ Aber dann | |
durfte er selbst fahren. | |
Monstertrucks sind für Franky Tradition, Vertrautheit und Liebe. Der Geruch | |
von Benzin, die Vibration, wenn die Fahrzeuge gestartet werden, der Lärm | |
der Motoren lösen ein Gefühl aus, für das er vor der Show in Magdeburg nur | |
schwer Worte findet. Dann vergleicht er es mit dem Geruch einer Schule. „Du | |
weißt, dass du hier zu Hause bist und gleichzeitig deinen Job machen | |
musst.“ Um das zu verstehen, müsse man in das Umfeld reingeboren werden. | |
Es ist ein bisschen wie bei einem CD-Geschäft oder einer Videothek. Die | |
Franks führen ein Geschäft, das wahrscheinlich verschwinden wird oder das | |
sich radikal ändern müsste, damit eben das nicht passiert. Es kommen | |
weniger Menschen zu ihren Shows, das Benzin wird teurer, die Mieten, alles | |
eigentlich. Und dann sind da noch die Leute, die ihnen das mit der Umwelt | |
auf die Autos schreiben. | |
Aber die Menschen, die ihnen zujubeln, die gibt es eben auch noch. Auch und | |
vielleicht gerade, weil das, was die Franks machen, so aus der Zeit | |
gefallen ist. | |
Monstertrucks sind ein ur-amerikanisches Männerding. 1974 schraubte der | |
Autohändler Bob Chandler im Bundesstaat Missouri an seinem Pick-up herum. | |
Er zog dem Wagen Traktorenreifen auf und stellte ihn in sein Autohaus, | |
sodass Kinder etwas zum Schauen hatten, während ihre Eltern sich einen | |
neuen Wagen aussuchten. Bald wurde der Truck nur noch Bigfoot genannt. | |
Heute heißt das Autohaus in Missouri „Bigfoot 4x4“ und ist die berühmteste | |
Monstertruck-Werkstatt der Welt. | |
Als der erste Bigfoot 1981 fahrtüchtig war, ging Bob Chandler mit ihm auf | |
ein Feld und fuhr aus Spaß über Schrottautos. Ein Promoter sah das und | |
sagte, dass man daraus eine Show machen könnte. Die erste Monstertruckshow | |
wurde 1982 in Michigan gefahren, im Pontiac Silverdome. Einem mittlerweile | |
abgerissenen Stadion, in dem sonst Football gespielt wurde. Auf | |
Filmaufnahmen kann man sehen, wie Chandler mit seinem Bigfoot vor 68.000 | |
rotgesichtigen Amerikanern Autos zu Schrott fährt. | |
Bob Chandler, der Erfinder der Monstertrucks, ist inzwischen ein alter | |
Mann. Wenn er in Dokumentationen von Bigfoot erzählt, dann schaut er drein, | |
als spreche er über sein Kind. Im mittleren Westen der USA sind Autoshows, | |
wie sie die Franks in Ostdeutschland veranstalten, immer noch große | |
Attraktionen. In der Sommerpause der großen Sportligen werden die | |
Football-Stadien mit Sand aufgeschüttet. Tausende Menschen sind da. Es | |
werden tonnenweise Autos zu Schrott gefahren. Bigfoots Nachfolger rasen | |
über Erdhügel und springen dabei über 50 Meter weit. | |
## Knochensalat zum Abendbrot | |
So spektakulär ist die Show der Franks nicht. Dafür heizt die Familie, | |
bevor die Monstertrucks anrollen, mit Stunts ein. So wie heute in | |
Magdeburg. | |
Während der Pause läuft Franky mit Zigarette im Mund über den Festplatz. | |
Der Umbau geht nicht so schnell voran, wie er es sich vorgestellt hat: „Die | |
Leute langweilen sich, die wollen was sehen.“ | |
Vor dem nächsten Stunt geht er zu Jeffrys Auto. | |
„Bist du ready?“, fragt Franky. | |
„Ja“, sagt Jeffry. | |
„Oder muss der Papa wieder fahren?“, fragt Franky. | |
„Dafür bist du viel zu alt“, sagt Jeffry. | |
Franky lacht sein kehliges Lachen und schlägt mit der Hand zweimal auf | |
Jeffrys Autodach. | |
Dann ist Francesco dran und gibt Gas. Er hat sein Handwerk auf einer | |
Stuntmen-Schule in Toulouse gelernt: Driften, auf zwei Rädern fahren, sich | |
überschlagen. Vor ihm ist eine Rampe aufgebaut. Er fährt mit zwei Reifen | |
drauf, die andere Seite seines Autos schnellt in die Höhe, Francesco fährt | |
jetzt auf zwei Rädern. Er dreht sogar eine Kurve. Die Kinder auf dem | |
Magdeburger Festplatz klatschen. | |
Ganz ohne Angestellte kommt das Familienunternehmen Frank nicht aus. | |
Deshalb hat Franky irgendwann mal den Stuntman Maurice „aufgegabelt“, wie | |
er es nennt. Maurice hat sich die meisten Haare abrasiert, bis auf den | |
dünnen Streifen in der Mitte, da stehen sie hoch wie die gezackte Flosse | |
eines Fisches. Er ist dünn, erst der Rennanzug aus Leder lässt seine | |
Schultern breit wirken. Maurice schnippt seine Zigarette weg. Dann setzt er | |
den Helm auf. Die Brüder schnallen ihn unter Applaus auf das Dach eines | |
schwarzen BMW. Jeffry soll ihn beim Fahren abschütteln. Franky kommentiert | |
ins Mikrofon: „Sollte ihm das gelingen, dann gibt es zum Abendbrot | |
Knochensalat.“ | |
Maurice lässt sich nicht abschütteln. Aber die Menschen in Magdeburg lachen | |
und klatschen, wenn Jeffry mit seinem BMW versucht, Maurice vom Dach zu | |
kriegen. Er fährt mit Vollgas, bremst ab, zieht Schleifen. Maurice wird | |
herumgeschleudert wie eine Socke in der Waschmaschine, aber er hält sich | |
fest. | |
Danach liegt Maurice noch einmal für einen Stunt auf dem Autodach. Jeffry | |
steckt ein Holzgestell in Brand. Die Flammen schlagen meterhoch. Jeffry | |
schüttet noch einen Eimer Benzin hinterher. Für den Effekt. Damit der Stunt | |
noch gefährlicher wirkt. Francesco im BMW gibt Gas und rast durch das | |
Holzgestell. Das Auto zerschmettert die Bretter, es gibt eine Stichflamme. | |
Maurice springt vom Dach. Als er seinen Helm abzieht, streckt er beide Arme | |
in die Luft und lacht. Das Publikum jubelt. | |
## Der älteste Sohn soll übernehmen | |
Einen Eimer Benzin für eine einzige Stichflamme. Vor 20 Jahren hätte das | |
niemanden gekümmert. Heute sagt Franky ins Mikrofon, dass es sich um | |
„gereinigtes Benzin“ handele – wegen der Umwelt. Das verbrenne sauberer. | |
Monstertrucks, die 30 Liter pro 100 Kilometer verbrauchen, passen nur | |
schwer in eine Zeit, in der junge Menschen sich für mehr Klimaschutz auf | |
den Asphalt deutscher Großstädte kleben und sagen, sie seien die letzte | |
Generation, die den Weltuntergang noch aufhalten könne. | |
„Ich kann doch keine Monstertrucks mit Batterie bauen“, sagt Franky. Warum | |
nicht? Das Konzept lebe nun mal von Lärm, Dreck und Abgasen. Er findet es | |
„Schwachsinn, wenn die uns Umweltverschmutzung vorwerfen. Die 90 Minuten, | |
die wir hier eine Show veranstalten, davon sterben nicht noch mehr Bäume“. | |
Städte und Gemeinden sehen das anders. Viele erteilen den Franks erst gar | |
keine Genehmigung für Festplätze. Und wenn doch, muss die Familie strenge | |
Umweltauflagen einhalten. Öle müssen aus den Fahrzeugen abgelassen werden | |
und der Tank der Monstertrucks darf nur bis zu einem bestimmten Maß gefüllt | |
sein. | |
Trotzdem will Jeffry die Karambolageschau der Familie Frank mindestens | |
ebenso sehr in die nächste Generation führen wie sie Gerhard Frank an seine | |
Söhne vererben will. In diesem Geschäft gibt es genau die gleichen | |
Erwartungen wie in der Schreinerei oder im Friseursalon: Der älteste Sohn | |
soll einmal übernehmen. Viele Kinder wollen mit dieser Erwartung brechen, | |
Jeffry nicht. „Mein Vater ist mein Vorbild“, sagt er. „Er kann tausendmal | |
besser fahren als ich.“ Sein jüngerer Bruder Francesco sagt fast wörtlich | |
das Gleiche: Dass er alles dafür tun würde, dass die Show der Gebrüder | |
Frank immer weitergeht. Dass er alles, was er gelernt hat, von seinem Vater | |
weiß. Dass der sein größtes Vorbild sei. | |
Haben die beiden Angst, wenn sie ihr Leben für die Show riskieren? „Nein“, | |
sagt Jeffry. Seine größte Angst sei, dass er beim Driften die Kontrolle | |
über den Wagen verliere und in die Kinder im Publikum rase. Bei den Shows | |
könne immer etwas passieren. Jeffry kostet die Momente aus, wenn Menschen | |
ihm applaudieren oder fragen, wie gefährlich seine Stunts sind. Dann | |
krempelt er schon mal sein Hosenbein hoch und zeigt auf eine eigroße Narbe | |
an seinem rechten Unterschenkel. Bei einer Show bohrte sich die Stange | |
eines Lenkers durch sein Bein. Er sagt: „In der Stange ist mein Fleisch | |
drinnen gesteckt.“ | |
## King Kong und Jack Sparrow | |
Noch eine letzte Pause in Magdeburg. Dann kommt das Finale. Mit einer Hand | |
am Türgriff und einem Bein am Reifen abgestützt, schwingt sich Jeffry auf | |
den Fahrersitz seines gelben Monstertrucks. Auf den Seiten der Karosserie | |
ist der Schriftzug „Kong“, daneben ein Bild von King Kong lackiert. | |
Francesco fährt mit der Black Pearl, einem blauen Monstertruck, bemalt mit | |
Johnny Depp als Captain Jack Sparrow. | |
Francesco und Jeffry fahren kaputt, was nach den Stunts noch von den | |
Schrottautos übrig ist. Der Citroën, in dem sich Jeffry vorhin noch | |
überschlagen hat, wird von den zwei Meter hohen Reifen der Black Pearl | |
zusammengedrückt. Die Scheiben splittern und fliegen in tausend Scherben | |
über den Platz. Als Francescos Monstertruck vom Citroën herunterrollt, ist | |
der nur ein flacher Wust Blech. | |
Im Kong presst Jeffry den Schalthebel bei jeder Beschleunigung mit Gewalt | |
von Gang zu Gang. Zwischen Fahrer- und Beifahrersitz ist ein etwa 30 | |
Zentimeter großes Loch, durch das man das Getriebe und den Boden sehen | |
kann. Gibt Jeffry Gas, ist es so laut, dass nicht mal mehr die Musikanlage | |
von draußen zu hören ist. Fünf Mal fahren Francesco und er immer wieder | |
über dieselben zwei Autos. | |
Nach der Show unterschreiben Jeffry und seine Brüder Plakate. Kinder | |
klettern auf die Monstertrucks und lassen sich von Vätern mit Smartphones | |
fotografieren. Hinter dem Popcornwagen bestellt Franky Pizza. Bald steht | |
die ganze Familie um die Motorhaube eines BMW und isst. Am Abend fahren sie | |
zurück ins sachsen-anhaltische Stendal. Dort ist im Februar ihr Zuhause, | |
dort stehen ihre Wohnwagen bis heute. | |
Anruf bei Franky, drei Monate nach der Show in Magdeburg. Es geht darum, | |
ein Treffen zu vereinbaren. Franky hebt ab. Ein schnelles „Ja“ zur | |
Begrüßung. Termin? „Gerade schlecht.“ Vielleicht in Nürnberg, Anfang Jul… | |
Es stehe ein großer Umzug mit den Wohnmobilen bevor. An seiner Stimme hört | |
man schon, dass es vorerst nicht klappen wird. Dieser Umzug nicht und das | |
Treffen auch nicht. | |
Die großen Plätze in der Stadt sind häufig belegt oder die Platzmiete ist | |
zu teuer. Und die Franks sind schwer zu fassen. Unter der Woche sitzen die | |
Männer öfter im Lkw als zu Hause am Esstisch. Sie besorgen Schrottautos für | |
die Show und Altmetall ist wertvoll. Deshalb tingeln sie durch ganz | |
Deutschland. Franky erzählt, dass er für Getriebeteile bis nach Spanien | |
gefahren sei. | |
Er sagt das in einer Sprachnachricht, geschickt um 2.22 Uhr in der Nacht, | |
von irgendeiner Autobahn, irgendwo in Deutschland. An einem Juniwochenende | |
fahren die Franks eine Show in Dachau, knapp 600 Kilometer südlich von | |
Stendal. Es ist wie Magdeburg. Das Driften. Der Überschlag. Der Jubel der | |
Kinder. Das Erschrecken der Erwachsenen. Am Sonntagabend geht es wieder | |
zurück nach Stendal. Dann Show in Garbsen, 200 Kilometer in Richtung | |
Westen. Die Woche darauf wieder Dachau. Bei den derzeitigen Spritpreisen | |
ein finanzielles Desaster. Die Franks machen Verluste. „Sobald man ins Auto | |
steigt und den Zündschlüssel umdreht, verbraucht man Geld“, sagt Franky. | |
## Sie gönnen sich einen Whirlpool | |
Aber nicht nur der Preisanstieg an den Tankstellen macht Franky Sorgen. | |
Während der Zeit der strengen Coronamaßnahmen waren Shows verboten. Es kam | |
gar kein Geld mehr rein. Frankys Kinder suchten sich Nebenjobs, um die | |
Familie über Wasser zu halten. Sie schnitten Hecken, sammelten alte Autos | |
in der Gegend, übten ihre Stunts und verkauften den dabei entstehenden | |
Schrott dann an Händler. Die laufenden Kosten blieben trotzdem. | |
Versicherungen mussten bezahlt werden. | |
Und auch jetzt ist nie sicher, ob genug Geld reinkommt, wie viele | |
Besucher*innen bei den Shows auftauchen. Bis zu 3.500 Euro Miete zahlen | |
die Franks für einen Baumarktparkplatz. Manchmal können sie mit den Städten | |
handeln und müssen nur 500 Euro zahlen. In Magdeburg kamen im Februar aber | |
noch 1.000 Euro Kaution dazu, Strom und Wasser ebenso. Die städtischen | |
Genehmigungen kosten extra. Die Plakate und Werbung. In Bayern muss in | |
manchen Städten die Feuerwehr vor Ort sein. 1.800 Euro habe ihn das in | |
Ingolstadt gekostet, sagt Franky. Und nochmal 300 Euro für die Sanitäter. | |
Ihn halten die Geldsorgen nachts manchmal wach, wenn er darüber nachdenkt, | |
wie er für neue Shows sorgt, um seine Familie zu ernähren und den Kindern | |
Gehalt zu zahlen. Wie viel das ist, verrät er nicht. Er sagt nur, er | |
kümmere sich um seine Familie. | |
Sie würden sich das Leben so schön machen, wie es geht. „Die meisten Leute | |
denken, wir leben in kleinen Wohnwagen, wie auf dem Campingplatz“, sagt | |
Franky. „Aber wir gönnen uns auch.“ Sie hätten die großen Wagen, die zu | |
zwei Seiten ausfahrbaren. Luxusversion. Einen Wagen für den Sohn mit seiner | |
Frau. Einen für den anderen erwachsenen Sohn. Einen für die Töchter. Einen | |
für die Söhne. Einen für die Angestellten, mit Waschmaschine und Dusche. | |
Einen Mannschaftswagen. Ein kleines Dorf, Luxusversion. Frankys Badewanne | |
hat einen Whirlpool. | |
Im August wollen sie dann endlich wirklich umziehen. Ein bis zwei Monate | |
bleiben die Wagen normalerweise an einem Ort. Bis die Region „abgespielt“ | |
ist. In Stendal sind es mittlerweile sechs Monate. Niedersachsen und | |
Sachsen-Anhalt hatten damals die wenigsten Coronabeschränkungen für | |
Veranstaltungen. Von dort aus spielen sie Shows in Sachsen-Anhalt, Bayern, | |
Baden-Württemberg. | |
Die Franks werden ihr Dorf nach Nürnberg verlegen, auf den Parkplatz einer | |
Moschee. Eine Woche werden sie brauchen, um die Wohnwagensiedlung in den | |
Süden zu verfrachten. Alle werden mit anpacken. Fast jeder hat einen | |
Lkw-Führerschein. Sie müssen sparen, wo es geht. Umzugshelfer*innen zu | |
engagieren, ist nicht drin. | |
Die Familie reist quer durch Deutschland. Und wenn die Nachfrage da ist, | |
auch durch Europa. Mit Mädchen war es deshalb nie leicht, mit Freunden aber | |
auch nicht, sagt Francesco. Manchmal kommen sie nach ein paar Jahren in | |
eine Stadt, in der sie schon einmal waren. Da treffen sie dann Mechaniker | |
wieder, die sie von früher kennen, das ist dann so etwas wie Freundschaft. | |
Sich irgendwann einmal fest niederzulassen, können sich die beiden Brüder | |
nicht vorstellen. „Ich bin ja von Kind auf immer rumgereist“, sagt Jeffry. | |
„Sobald ich zu lange an einem Ort bin, werde ich nervös“, sagt Francesco. | |
## Reisen mit Lehrer | |
Beide wussten früh, was sie begeistert. Der Vater raste mit schrottreifen | |
Autos über Festplätze oder schraubte an den Monstertrucks. Das wollte | |
Jeffry lernen. Francesco saß mit fünf Jahren das erste Mal auf einem Quad. | |
Die Schule war für sie und die anderen Frank-Jungen Nebensache. Wie sollte | |
es auch anders sein? Alle paar Wochen wurden sie in andere Klassen gesteckt | |
und nach verschiedenen Lehrplänen unterrichtet. Und die Lehrer:innen, so | |
erzählt es Jeffry, wussten auch nicht so recht, was sie mit ihm und | |
Francesco anfangen sollten. „Meistens haben die gesagt: ‚Kommt, setzt euch | |
hin und malt‘.“ | |
Später reiste ein Lehrer zusammen mit der Familie umher und brachte den | |
Kindern Lesen und Schreiben bei. | |
„Das war cool, weil du immer mit deinen besten Freunden in der Schule | |
bist“, sagt Francesco und schaut zu seinen Brüdern. | |
Er sagt, ihnen würde er jederzeit sein Leben anvertrauen. Sein Geld anders | |
zu verdienen, seine Zeit anders zu verbringen, das möchte er sich nicht | |
vorstellen. „Ich brauche diese Show“, sagt Francesco. Die Frage ist auch, | |
ob sie überhaupt die Möglichkeit hätten, ein anderes Leben anzufangen in | |
Deutschland, in dem jemand mit einem Hauptschulabschluss oft nicht viel | |
gilt. | |
Man könnte es auch so formulieren: Die Kinder und die Alten der Familie | |
Frank haben einen Vertrag abgeschlossen, der nirgendwo auf Papier | |
geschrieben steht. „Es gibt uns, solange die Kinder noch fahren wollen“, | |
sagen Mandy und Franky. „Wir wollen das Werk des Vaters fortführen“, sagen | |
Jeffry und Francesco. | |
Nächster Auftritt: Mühldorf am Inn. | |
31 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Niko Kappel | |
Florian Kistler | |
Tiana Zorić | |
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