| # taz.de -- Urteilsverlesung im Nürburgring-Prozess: Monument pfälzischer Pha… | |
| > Die Privatfinanzierung des Freizeitparks an der Rennstrecke war ein | |
| > filmreifes Desaster. Dem früheren Finanzminister Deubel drohen nun vier | |
| > Jahre Haft. | |
| Bild: Wegen Lebensgefährlichkeit inzwischen geschlossen: Die Achterbahn Ring R… | |
| WIESBADEN taz | Der Judoka Ingolf Deubel trägt den schwarzen Gürtel. Man | |
| könnte meinen, sogar unter dem Anzug. Die Leidenschaft für Kampfsport ist | |
| dem früheren Finanzminister von Rheinland-Pfalz selbst im Gericht | |
| anzumerken. Auch wenn er den mit 64 nicht mehr ausüben mag: Kämpfen kann | |
| Deubel noch. | |
| Seit 2012 ist der Sozialdemokrat Hauptangeklagter im Koblenzer | |
| „Nürburgringprozess“. Am Mittwoch werden gegen ihn und eine Reihe weiterer | |
| Angeklagter die Urteile verlesen. Die Staatsanwaltschaft fordert eine | |
| Freiheitsstrafe von vier Jahren, Deubel und seine Anwälte plädieren auf | |
| Freispruch – und haben bereits angekündigt, im Falle einer Verurteilung in | |
| die Revision zu gehen. Dabei würde es um seinen Ruf und eine bedrohte | |
| Pensionsberechtigung gehen. Um mehr nicht. Denn politisch ist Deubel längst | |
| erledigt. | |
| Dabei war der Mann mal eine wichtige Stütze im Kabinett des | |
| Ex-Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck (SPD). Deubel, | |
| gelernter Volkswirt, war Referent bei der Westdeutschen Landesbank in | |
| Düsseldorf, Honorarprofessor für Wirtschaftspolitik und | |
| Verwaltungsmodernisierung an der Universität Münster, saß im Vorstand des | |
| Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes, leitete den Finanzausschuss des | |
| Deutschen Städtetages in Nordrhein-Westfalen. | |
| Zuvor hatte Deubel zuerst als Staatssekretär und dann als Finanzminister in | |
| Mainz kreativ und umtriebig an der Konsolidierung des Haushalts gearbeitet. | |
| So lagerte er die Bilanzen landeseigener Betriebe aus, sicherte die | |
| Ruhestandszahlungen für Landesbeamte über staatliche Darlehen und schuf | |
| finanzielle Konstrukte, die es dem Land ermöglichten, sich ohne Abstriche | |
| bei der Bonität selbst Geld zu leihen. Er war der Herr der Zahlen, sein | |
| Drang zu belehrenden finanzpolitischen Monologen im Landtag gefürchtet. | |
| Weil ihm kaum jemand folgen konnte. | |
| Zweiflern trat sein Dienstherr Beck einmal mit dem feierlich-kuriosen | |
| Bekenntnis entgegen, er habe die Konstrukte des Herrn „Professors“ durchaus | |
| verstanden. Noch vor Gericht, wo er im Dezember vergangenen Jahres als | |
| Zeuge aussagen musste, verteidigte der Ex-Ministerpräsident seinen | |
| ehemaligen Minister mit einer Wette darauf, dass die „wirtschaftlichen | |
| Effekte“ der Angelegenheit in einigen Jahren wesentlich positiver bewertet | |
| würden. Was damit zusammenhängen könnte, dass die „Angelegenheit“ | |
| ursprünglich ein Herzensprojekt Becks war. | |
| ## Zyklopische Neubauten | |
| 2007 wurde mit einem symbolischen Spatenstich der Umbau der ebenso | |
| traditionsreichen wie defizitären Rennstrecke in der Eifel zum Freizeitpark | |
| „Nürburgring 2009“ in Angriff genommen. Geplant waren eine Arena für bis … | |
| 3.600 Besucher, zyklopische Neubauten sowie ein Indoor-„Boulevard“ mit | |
| Themenparks und einem Hallen-Motocross-Parcours, Gastronomie, Karaoke-Bar, | |
| modernem 4D-Kino sowie verschiedenen Übernachtungsmöglichkeiten, darunter | |
| ein nachgebautes Eifeldorf namens „Grüne Hölle“ – der Spitzname der | |
| Rennstrecke. Hinzu kam der „Ring Racer“, die weltschnellste Achterbahn der | |
| Welt, die wegen erwiesener Lebensgefährlichkeit keine Betriebsgenehmigung | |
| erhielt. | |
| Trotzdem war das Projekt nicht unbedingt unlogisch. Der „Ring“ steht laut | |
| einer Forsa-Umfrage vor der Münchener Allianz-Arena und hinter dem | |
| Loreley-Felsen auf Platz 9 einer Liste von „Deutschlands beliebtesten | |
| Monumenten“. Ein Mythos, der zum Konjunkturmotor für eine strukturschwache | |
| Landschaft ausgebaut werden sollte. Ein Ferienziel auch außerhalb der | |
| Saison, ganzjährig unabhängig von „Monstertruck-Events“, Open-Air-Konzert… | |
| der Kastelruther Spatzen und sogar der Formel 1. | |
| Wer aber sollte all die bizarren Neubauten bezahlten, die heute wie | |
| Monumente eines pfälzischen Pharaonen vor sich hin modern? Hier kam Ingolf | |
| Deubel ins Spiel, hier wollte er sein Meisterstück abliefern. Er, Deubel, | |
| wollte private Investoren anwerben. Und wenn ein solches Unterfangen | |
| jemandem zuzutrauen war, dann ihm, Deubel. | |
| ## Parade der Gauner und Scheckbetrüger | |
| Was in den folgenden zwei Jahren passierte, könnte dem Drehbuch einer | |
| grotesken Wirtschaftsklamotte entnommen sein. Denn Deubel und seine | |
| Manager, Controller und Geschäftsführer gingen einem windigen Betrüger nach | |
| dem anderen auf den Leim. Als „Investoren“ oder „Vermittler“ wurden | |
| nacheinander ein früherer Autohändler, ein gescheiterter Bauunternehmer | |
| oder der ehemalige Assistent des Direktors des Zirkus Sarrasani | |
| vorgestellt. | |
| Gekrönt wurde die Parade der Gauner, Hochstapler, Insolvenzverschlepper und | |
| Scheckbetrüger vom Auftritt des Schweizers Urs Barandun, der sich den | |
| Verantwortlichen am Nürburgring als Mann mit den besten Kontakten in die | |
| Hochfinanz präsentierte. Barandun führte Deubel & Co mit leeren | |
| Versprechungen und immer abenteuerlicheren Ausreden an der Nase herum. Auf | |
| Nachfragen, ob der fragliche Investor, ein Öl-Erbe aus den USA, überhaupt | |
| solvent sei, lieferte er gefälschte Kontoauszüge. Anstatt diese zu prüfen, | |
| verteidigte Deubel seinen Goldjungen, und auch Kurt Beck schwärmte | |
| öffentlich, demnächst würde „ganz großer Milliardärsadel“ am Ring | |
| einsteigen. Der hatte am Schluss keine 138 Millionen, sondern nur 57 Dollar | |
| auf dem Konto. | |
| Das Warten auf den erlösenden Scheck von einer Beteiligungsgesellschaft, | |
| einem Scheich oder einem Diamantenminenbesitzer zog sich hin. Und während | |
| immer wieder Unvorhergesehenes dazwischenkam – ein Autounfall in den USA, | |
| ein Segeltörn in der Karibik, ein Prozess in Dubai –, erholten sich die | |
| Verantwortlichen mit Luxusaufenthalten in Zürich. | |
| Inzwischen hat ein Untersuchungsausschuss ans Licht gebracht, dass zwei | |
| Nürburgring-Manager, Barandun und zwei weitere Provisionsschwindler dabei | |
| sogar Bordellbesuche bei der Nürburgring GmbH abrechneten. Es wurde alles | |
| beglichen, Rechnungen, Spesen, Reisen, Vorschüsse auf Provisionen. Auch | |
| dann noch, als Barandun einen – natürlich ungedeckten – Scheck ausstellte | |
| und binnen 48 Stunden seine Provision in Millionenhöhe kassieren wollte. | |
| Deubel, so die Staatsanwaltschaft, habe die Zahlung prompt angewiesen. Sie | |
| sei nur durch einen glücklichen Zufall nicht erfolgt. | |
| Im Juli 2009 endlich wurde evident, dass Deubel und seine Kollegen einer | |
| Reihe von Betrügern aufgesessen waren. Der Ausbau des Nürburgrings wurde | |
| anschließend über einen Kredit der Landesbank ISB finanziert. 330 Millionen | |
| Euro auf Kosten der Steuerzahler. Das Projekt erhielt private Betreiber, | |
| die 2012 in Insolvenz gingen. Im März 2014 wurde der Ring an einen | |
| Autozulieferer verkauft. Für 77 Millionen Euro. | |
| Die Anklage wirft Deubel zwar keine persönliche Bereicherung vor – aber | |
| Untreue aufgrund von Zahlungen, Zahlungsverpflichtungen und Bürgschaften, | |
| die das Land in seinem Namen eingegangen war, ohne die Bonität der | |
| Begünstigten ausreichend geprüft zu haben. Neben der Gefahr eines | |
| „Vermögensschadens“ für das Land werden dem Ex-Finanzminister auch konkret | |
| Provisionszahlungen in Höhe von 385.000 Euro zur Last gelegt, die | |
| keineswegs durch vertragliche Verpflichtung gedeckt waren. | |
| ## Klare Verteidigungslinie | |
| Für den damaligen Geschäftsführer des Rings, Walter Kafitz, fordert die | |
| Staatsanwaltschaft ein Jahr und zehn Monate auf Bewährung, für den | |
| damaligen Ring-Controller Michael Nuß zehn Monate auf Bewährung. Wegen | |
| Beihilfe zur Untreue sollen zudem der Ex-Geschäftsführer der Förderbank ISB | |
| und der Chef einer ISB-Tochter Bewährungsstrafen erhalten. | |
| Ingolf Deubel selbst soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft für vier | |
| Jahre hinter Gitter. Aber er kämpft. Seine Verteidigungsschrift umfasste | |
| beinahe 300 Seiten, seine Verteidigungslinie ist klar. Er sei nie | |
| weisungsbefugt gewesen, habe aber als pflichtbewusster Finanzminister das | |
| Projekt persönlich betreuen wollten. Dass ihm dies nun zur Last gelegt | |
| werde, empfindet Deubel als böswillig. Er sei von Barandun „mit großer | |
| krimineller Energie getäuscht worden“, sein Konzept sei „wirtschaftlich | |
| sehr attraktiv“ gewesen. Es scheint fast, als habe es nicht an Geld, | |
| sondern nur an Geduld gemangelt. | |
| Und der Kern der Marke selbst, der Nürburgring? 2013 fand mal wieder ein | |
| Formel-1-Rennen in der Eifel statt. Es gewann Sebastian Vettel. 120.000 | |
| Besucher fasst das Areal. 50.000 waren da. | |
| 16 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Arno Frank | |
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