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# taz.de -- Prostitution vor Gericht: Kein Job wie jeder andere
> Das Berliner Sozialgericht gibt einer Klägerin Recht, die gegen das
> Jobcenter klagte. Weil niemandem Sexarbeit zugemutet werden könne.
Bild: Arbeit auf dem Straßenstrich – kein Job wie jeder andere
Berlin taz | Die Arbeit als Prostituierte ist grundsätzlich unzumutbar, und
der Staat darf diese Arbeit von niemandem verlangen. Das hat das Berliner
Sozialgericht nun klargestellt. Es gibt damit einer Klägerin recht, die in
Berlin als selbstständige Prostituierte gearbeitet hatte. Sie war gegen
das Jobcenter vorgegangen, weil es ihr Leistungen nicht weiter bewilligt
hatte. Das Jobcenter hatte den Stopp damit begründet, dass die Klägerin
„bewusst und freiwillig“ in die Arbeitslosigkeit gegangen sei. Leistungen
könne das Jobcenter aber nur bewilligen, wenn jemand unfreiwillig
arbeitslos werde.
Die 32-jährige Klägerin war nach Angaben des Gerichts 2014 aus Bulgarien
nach Deutschland gekommen und hatte bis 2019 auf dem Berliner Straßenstrich
gearbeitet. Wegen ihrer zweiten Schwangerschaft habe sie ihre Tätigkeit
„für sich als nicht mehr zumutbar“ empfunden, wie es in der Mitteilung des
Gerichts zu dem Fall heißt.
Im September 2020 hatte das Jobcenter dann alle Leistungen eingestellt und
argumentiert, sie habe ihre Arbeitslosigkeit schließlich selbst
verschuldet.
Das Gericht sah dies anders: In seinem Urteil von Mitte Juni betont es,
dass die Arbeitslosigkeit durchaus unfreiwillig eingetreten sei, denn es
„könne objektiv keinem Menschen zugemutet werden, sich unter den von der
Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten Bedingungen des
Berliner Straßenstrichs zu prostituieren“ [1][(S 134 AS 8396/20)]. Das
Gericht verdeutlichte aber auch, dass Prostitution nicht nur unter
bestimmten Bedingungen unzumutbar ist.
Auch generell „sei die willentliche Beendigung“ der Prostitution keine
freiwillige Aufgabe der Erwerbstätigkeit. Sexuelle Dienstleistungen zu
erbringen, „berühre die Intimsphäre und die Menschenwürde der betroffenen
Person in besonderer Weise“, begründete das Gericht seine Entscheidung. Der
Staat könne von niemandem verlangen, diese Arbeit auszuüben – auch wenn die
betreffende Person diese Arbeit in der Vergangenheit ausgeführt und
„zeitweise ertragen habe“.
Kern der Urteilsbegründung ist damit das Argument, dass [2][Prostitution
eben „kein Job wie jeder andere“] ist.
Ist dieses Urteil damit geeignet, ein Sexkaufverbot nach dem
[3][sogenannten nordischen Modell] zu begründen? Schließlich betonen dessen
Befürworter*innen ebenfalls, dass Prostitution keine Arbeit im
landläufigen Sinn sei. Befürworter*innen von selbstbestimmter
Prostitution und Sexarbeit hingegen sprechen sich für eine Enttabuisierung
aus und wollen ihre Arbeit normalisieren. Doch auch aus dieser Sicht ist
Sexarbeit kein Beruf, der mit jedem anderen Beruf vergleichbar ist. Es sei
verständlich, wenn sich jemand in einer Schwangerschaft umorientiere. Nicht
alle Tätigkeiten in dieser Branche seien in allen Lebensphasen und
Lebenslagen auszuüben, heißt es etwa vom Bundesverband Sexuelle
Dienstleistungen.
Dahinter, dass das Jobcenter die Leistungen zunächst verweigert hat, könnte
auch etwas anderes stecken. Denn es fällt auf, dass besonders EU-Ausländer
oft Probleme haben, ihre Ansprüche durchzusetzen – die sie durchaus
haben, wenn sie erwerbstätig waren. [4][Auch hier bräuchte es noch mehr
Klarheit].
30 Jul 2022
## LINKS
[1] https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/171606
[2] /Feministische-Positionen-zu-Sexarbeit/!5644563
[3] /Nordisches-Modell/!5629886
[4] /Gastkommentar-EU-Auslaender/!5594890
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Prostitution
Jobcenter
Sozialgericht
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Prostitution
Sexarbeit
EuGH
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