| # taz.de -- Feministische Positionen zu Sexarbeit: Gehört Sexarbeit abgeschaff… | |
| > Prostitution bringt Feminist*innen in eine verzwickte Lage: Die damit | |
| > verbundene Ausbeutung lehnen sie ab, wollen die Frauen aber nicht | |
| > bevormunden. | |
| Bild: Im Rotlichtviertel: Die wenigsten Frauen arbeiten ohne Zuhälter | |
| Hamburg taz | Eigentlich ist es einfach: Sex ist immer dann okay, wenn er | |
| einvernehmlich geschieht, und nie, wenn das nicht der Fall ist. Was so | |
| einfach klingt, wird spätestens beim [1][Thema Sexarbeit] kompliziert. Wie | |
| einvernehmlich ist der Sex, wenn die Arbeiterin in der ganzen Nacht noch | |
| keinen Freier hatte, dem Zuhälter am nächsten Morgen aber nicht mit leeren | |
| Händen unter die Augen treten kann? | |
| Okay, das Problem liegt dann nicht beim Sex, sondern im | |
| Ausbeutungsverhältnis. Und Lohnarbeit ist immer Ausbeutung. Aber Sexarbeit | |
| ist kein Beruf wie jeder andere. Sonst wäre es nicht schambehaftet, den | |
| Nachbar*innen oder den Kita-Eltern vom Arbeitstag zu erzählen; sonst müsste | |
| auch das Jobcenter Arbeitssuchenden den Beruf vorschlagen. | |
| Aber das gesellschaftliche Stigma, das auf dem Beruf lastet, ist nicht das | |
| einzige Problem, das mit Sexarbeit einhergeht. Neben den [2][schlechten | |
| Arbeitsbedingungen] steht die Branche wie keine andere für das Patriarchat. | |
| Nicht, weil die Freier sich der Körper der Frauen bemächtigten – das ist | |
| Quatsch. Das Machtverhältnis bei der sexuellen Dienstleistung ist klar: | |
| Ein besoffenes Würstchen oder ein einsamer Manager steht vor einer Frau, | |
| die ihm Befehle gibt und ihn dann sehr wahrscheinlich versucht, innerhalb | |
| kurzer Zeit maximal auszunehmen. „Ach, du willst mit Anfassen? 50 Euro | |
| extra. Du willst ihn reinstecken? 60 Euro extra. So, und jetzt raus hier.“ | |
| Aber null Mitleid. | |
| ## Keine Männer im Laufhaus | |
| Das patriarchale, das den Beruf prägt, liegt in der geschlechtsspezifischen | |
| Besonderheit des Ausbeutungsverhältnisses: In den allermeisten Fällen sind | |
| es Frauen, die für Männer arbeiten, indem sie sexuelle Bedürfnisse anderer | |
| Männer befriedigen. Umgekehrt ist die Geschlechterrollenverteilung nicht | |
| denkbar: Weibliche Zuhälterinnen, die männliche Sexarbeiter beschäftigen, | |
| gibt es ebenso wenig wie es mit Männern beschickte Laufhäuser oder | |
| Straßenstriche gibt, die sich an Kundinnen richten. | |
| Ja, es gibt Zuhälterinnen, aber ihre Zahl ist verschwindend gering. Und ja, | |
| es gibt Sexarbeiterinnen, die selbstbestimmt arbeiten, aber auch sie sind | |
| absolute Ausnahmen. In Hamburgs größtem Rotlichtviertel St. Pauli dürfte | |
| keine einzige Frau ohne Zuhälter arbeiten. In den allermeisten Fällen sind | |
| die Frauen von den Männern abhängig – finanziell und emotional. | |
| Traditionelle und konservative Feminist*innen etwa von Terre des Femmes | |
| oder Emma-Fans haben sich seit Jahrzehnten am Thema Prostitution | |
| abgearbeitet, aber ihre Haltung ist oft so stumpf wie hilflos: Sie fordern, | |
| [3][Sexarbeit zu verbieten]. Doch das bedeutet, sie zu kriminalisieren und | |
| die Arbeiterinnen aus dem Stadtzentrum ins Industriegebiet zu verdrängen. | |
| In einem Wohnwagen an einer Durchfahrtsstraße für Lastwagen zu arbeiten, | |
| ist nicht nur einsamer, sondern auch gefährlicher als im Rotlichtviertel. | |
| Was aber ist dann die Lösung? Darauf hat auch die junge Generation | |
| intersektional ausgerichteter, also immer mehrere | |
| Diskriminierungsverhältnisse thematisierender Feminist*innen heute keine | |
| Antwort. Es ist auch gar nicht ihr Thema. Diese junge Generation befasst | |
| sich mit der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, mit Pflegearbeit, | |
| mit der Bedrohung von Frauen, Queers und Transpersonen durch sexualisierte | |
| und rassistische Gewalt sowie mit der Gewalt, die das kapitalistische | |
| System insbesondere auf Frauen ausübt. | |
| Die aktuelle Welle feministischer Bewegungen organisiert Festivals, | |
| Demonstrationen und Kongresse, unterstützt den Kampf der Frauen in Rojava, | |
| Argentinien und Syrien. Das ist alles sehr wichtig und richtig. Es gibt | |
| aber einen blinden Fleck: Vor die eigene Haustür, ins Rotlichtviertel, | |
| gucken die Feminist*innen nicht. | |
| ## Keiner will sich mit Rockern anlegen | |
| Die Gründe dafür sind schlicht. Erstens will sich niemand mit den Rockern | |
| anlegen, die in norddeutschen Rotlichtvierteln die Straßenstriche | |
| kontrollieren. Nicht mal die Polizei wagt das. Zweitens fragen die | |
| Sexarbeiter*innen nicht nach Unterstützung. Für sie einzutreten, ohne dass | |
| sie das wollen, wäre ein paternalistischer Übergriff. Und drittens: Was | |
| genau wäre überhaupt die Forderung? Solange die Sexarbeiterinnen, die in | |
| Abhängigkeit von Zuhältern arbeiten, nicht selbst ihre Stimme erheben, ist | |
| das schwer zu sagen. | |
| Es liegt da schon nahe, zu fordern, der Staat solle endlich entschlossen | |
| gegen Zuhälterei vorgehen – und das müsste er auch, wenn er seine eigenen | |
| Gesetze ernst nehmen würde. Aber was ist dann mit dem Schutz vor | |
| gewalttätigen Freiern oder solchen, die die Zeche prellen wollen? | |
| Die Sexarbeiterinnen könnten eigene Schutzstrukturen aufbauen, aber wollen | |
| sie das? Und wer bezahlt sie dafür? Es wäre schließlich Arbeitszeit. Und | |
| wer sind die Feminist*innen, den Sexarbeiterinnen vorzuschreiben, was sie | |
| zu tun oder zu fordern haben? Eben – und deshalb tun sie es nicht. | |
| Trotzdem bleibt es ein blinder Fleck und ein Armutszeugnis für den | |
| aktuellen feministischen Diskurs, dass er keine Position zu dem | |
| offensichtlichsten, dem brachialen männlichen Gewaltverhältnis findet, das | |
| sich Nacht für Nacht vor unseren Haustüren manifestiert. Solange die | |
| sexuelle Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft durch den Mann gang und | |
| gäbe ist, sind wir meilenweit von Gleichberechtigung und einer | |
| emanzipierten Gesellschaft entfernt. | |
| Mehr zur Diskussion über ein Verbot von Sexarbeit bzw. Sexkauf in der taz | |
| am Wochenende oder [4][hier] | |
| 6 Dec 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Verschaerfung-des-Prostitutionsrechts/!5604544 | |
| [2] /SexarbeiterInnen-erklaeren-ihre-Arbeit/!5607904 | |
| [3] https://www.emma.de/thema/emma-appell-gegen-prostitution-111249 | |
| [4] /Unser-eKiosk/!114771/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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