# taz.de -- Diskriminierung von Sexarbeiter*innen: Schluss mit Hurenhass | |
> Sexarbeiter*innen können folgenlos diskriminiert werden. Das darf so | |
> nicht bleiben. Ein Plädoyer für Gleichstellung aus Hurenperspektive. | |
Bild: Bald bietet sich die Chance, Sexarbeitsfeindlichkeit ins Allgemeine Gle… | |
Vor Kurzem besuchte ich eine Ausstellung. Von den sorgsam aufgehängten | |
Fotos in einem weißen, sonst leeren Raum ging eine Würde aus, die mich | |
beeindruckte. Sie zeigten Szenen aus dem Leben queerer Sexarbeiter*innen, | |
eine Tonspur spielte ihre Zitate ein. Solche Würde ist sehr selten in einer | |
Gesellschaft, die Sexarbeitenden mit Verachtung, Scham und manchmal mit | |
Hass begegnet. | |
Seit zehn Jahren bin ich in der Sexarbeit tätig. Aber der Satz „Ich bin | |
Hure“ geht mir nicht leicht von den Lippen. Ich sperre mich gegen die | |
Klischees und Zuschreibungen, die damit einhergehen. Darum setze ich mich | |
schon lange für das Recht auf Nichtdiskriminierung von | |
Sexarbeiter*innen ein. Aber der Hass auf Huren ist tief in das Handeln | |
und Denken dieser Gesellschaft eingeschrieben. | |
Was ist Sexarbeitsfeindlichkeit? Der Begriff beschreibt die | |
Diskriminierung, der Sexarbeitende ausgesetzt sind. Von | |
Sexarbeitsfeindlichkeit getroffene Personen erleben Kriminalisierung, | |
Andersmachung und Abwertung in kultureller, institutioneller, materieller | |
und individueller Hinsicht. | |
Kulturelle Sexarbeitsfeindlichkeit zeigt sich unter anderem in einer | |
Alltagssprache, in der Bezeichnungen für Sexarbeiter*innen als | |
Schimpfworte für nicht-sexarbeitende Personen dienen. Medien bebildern | |
Beiträge zu Sexarbeit mit sexualisierenden und rassifizierenden Stockfotos. | |
## Änderung des Gleichstellungsgesetzes | |
Gleichzeitig zitiert Mode und Popkultur Symbole und Attribute der | |
Sexarbeit, ohne dafür das Stigma jener zu ernten, deren Ästhetik sie sich | |
aneignen. Institutionelle Sexarbeitsfeindlichkeit besteht in zusätzlichen | |
Pflichten, entzogenen Rechten (z. B. Unverletzbarkeit der Privatwohnung) | |
sowie einer Vielzahl von Gesetzen, die nur Sexarbeitende betreffen. Vielen | |
Menschen – auch in Medien und Politik – ist nicht bewusst ist, dass sie | |
sexarbeitsfeindlich handeln. | |
Bald bietet sich die Chance, Sexarbeitsfeindlichkeit ins [1][Allgemeine | |
Gleichstellungsgesetz (AGG)] aufzunehmen – das wäre ein Game-Changer. Das | |
AGG soll 2023 evaluiert und novelliert werden. Seit Jahren fordern Verbände | |
und NGOs seine Erweiterung und Modernisierung. Unter dem Stichwort | |
„Diskriminierung aufgrund von sozialem Status“ könnte auch | |
Sexarbeitsfeindlichkeit bald anerkannt werden – als Diskriminierung von | |
Sexarbeiter*innen, weil sie Sexarbeiter*innen sind. Die | |
zivilgesellschaftliche Ergänzungsliste des Antidiskriminierungsverbands | |
Deutschland denkt dies mit: „Der Begriff sozialer Status betrifft z. B. | |
stigmatisierte Berufsgruppen, wie Sexarbeiter*innen.“ | |
Welches Veränderungspotential darin liegt, zeigt ein Blick in meine | |
Biografie: 2015 erlebte ich ein erzwungenes Outing, durch das bekannt | |
wurde, dass ich mir mit Sexarbeit etwas dazuverdiente. Ich suchte | |
Unterstützung bei der Unabhängigen Antidiskriminierungsstelle des Bundes, | |
erntete aber Kopfschütteln und Ablehnung. „Sie haben sich doch selbst | |
ausgesucht, in der Sexarbeit zu arbeiten, also sind Sie selbst | |
verantwortlich.“ | |
## Die ganz normale Täter-Opfer-Umkehr | |
Heute weiß ich: Das ist Victimblaming, also Täter-Opfer-Umkehr. So ein | |
Verantwortungs-Pingpong ist möglich, weil es kein Bewusstsein für | |
Sexarbeitsfeindlichkeit als Diskriminierung in Politik, Behörden oder | |
gesamtgesellschaftlich gibt. Für mich hieß das: Rechtliche Schritte gegen | |
die outende Person oder meine ehemaligen Arbeitgeber waren aussichtslos. | |
Die erheblichen Verletzungen und Nachteile durch das Outing galten nicht | |
als Diskriminierung. | |
Wenn ich heute, Jahre später, an diese Zeit zurückdenke, steigen immer noch | |
Hilflosigkeit und Kontrollverlust gepaart mit einer Erkenntnis in mir hoch: | |
In den Augen der meisten war ich ab dem Moment, als sie wussten, dass ich | |
anschaffe, zu einer anderen, schlechteren Person geworden. Und das war für | |
die wichtigste deutsche Antidiskriminierungsinstitution vollkommen okay so. | |
Meine Erfahrung veranschaulicht, wie Sexarbeitsfeindlichkeit funktioniert. | |
Sexarbeitende zu benachteiligen und ihr Dasein als Störung oder Bedrohung | |
zu empfinden ist gesellschaftlich normalisiert. Somit ist ein massives | |
Umdenken in Verbindung mit sensibilisierender Bildungsarbeit erforderlich. | |
Die unter Sexarbeitenden weit verbreitete Mehrfachdiskriminierung hat | |
zahlreiche strukturelle Auslöser: Migrationsbiografien, Armut oder | |
Diskriminierung aufgrund sexueller Identität, Behinderung, Alter oder | |
Aussehen. Doch das Feindbild, zu dem Sexarbeiter*innen erklärt werden, | |
ist nicht auf diverse Mehrdimensionalität ausgelegt. Im Gegenteil, es wirkt | |
über komplexitätsreduzierende Zuschreibungen. | |
## Anspruch auf Nicht-Diskriminierung | |
Huresein beinhaltet unter anderem die Zuschreibungen Krankheit, | |
Kriminalität und Bildungsferne. Wenn Rassismus, Transfeindlichkeit oder | |
Ableismus hinzukommen, entsteht ein Strudel aus Benachteiligungen und | |
Abwertung, der als Mehrfachdiskriminierung bezeichnet wird. Auch deswegen | |
ist die Erwähnung von Sexarbeiter*innen im AGG überfällig. | |
Denn dann könnten Sexarbeiter*innen zivilrechtlich gegen | |
Benachteiligungen und Diskriminierungen vorgehen. Damit ließe sich auf | |
Befähigungs- oder Verwirklichungsgerechtigkeit bei der Wohnungs- oder | |
Jobsuche auswirken oder falls sie Opfer von Hasskriminalität werden. Das | |
Recht auf Nichtdiskriminierung ist übrigens bereits seit 2012 in Artikel 21 | |
der [2][Grundrechte-Charta der Europäischen Union] verankert. | |
Es wird höchste Zeit, dass Sexarbeiter*innen nicht nur als | |
Problemstellung oder Schlagzeile gesehen werden. Sexarbeiter*innen | |
haben Anspruch auf Nichtdiskriminierung. Manche möchten gehört und gesehen | |
werden, andere einfach unbehelligt ihrer Arbeit nachgehen. Am 17. 12. ist | |
[3][Internationaler Tag zur Beendigung der Gewalt an | |
Sexarbeiter*innen]. Diskriminierung ist Gewalt. Diskriminierung von | |
Sexarbeiter*innen ist Gewalt an Sexarbeiter*innen. Ein AGG, in dem | |
Sexarbeitsfeindlichkeit steht, trägt dazu bei, Gewalt an | |
Sexarbeiter*innen zu beenden. | |
Bald bietet sich die Chance, Sexarbeitsfeindlichkeit ins [4][Allgemeine | |
Gleichstellungsgesetz (AGG)] aufzunehmen. | |
16 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.html | |
[2] https://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf | |
[3] http://www.bufas.net/17-12-internationaler-tag-zur-beendigung-von-gewalt-an… | |
[4] https://www.gesetze-im-internet.de/agg/BJNR189710006.html | |
## AUTOREN | |
Ruby Rebelde | |
## TAGS | |
Gleichstellungsgesetz | |
Gleichstellung | |
Sexarbeiterinnen | |
Prostitution | |
Antidiskriminierung | |
Antidiskriminierungsstelle | |
AGG | |
Sexarbeit | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Reeperbahn | |
AGG | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Sexarbeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Serie über Sexarbeit: Die Dialektik des Online-Sex | |
Die ZDF-Serie „WatchMe – Sex sells“ über Erotik-Plattformen zeigt: | |
Paid-Content wie von OnlyFans führt nicht automatisch zu Selbstbestimmung. | |
Debatte um Prostitutionsgesetz: Sexarbeit oder Menschenhandel? | |
Die Unionsfraktion stellt eine Anfrage zu Menschenhandel und | |
Zwangsprostitution. Die Grüne Denise Loop kritisiert, dass die Union nicht | |
differenziere. | |
Amazon-Serie „Luden“: Außen nett, innen böse | |
Die Miniserie „Luden“ über die Hamburger Reeperbahn zeigt, zu was Männer | |
fähig sind. Sie blendet aber aus, dass sich Frauen und Queers wehren | |
können. | |
Schutz vor Diskriminierung: Das AGG muss reformiert werden | |
Wer Diskriminierung erfahren hat, kommt nur schwer zu seinem Recht – und | |
manche gar nicht. Wie das Antidiskriminierungsgesetz verbessert werden | |
kann. | |
Corona und Prostitution: Große Sorgen in der Sexarbeit | |
Städte und Bundesländer schließen Bordelle und verbieten vorerst | |
Prostitution. Vielen Sexarbeitenden droht nun Obdachlosigkeit. | |
Feministische Positionen zu Sexarbeit: Gehört Sexarbeit abgeschafft? | |
Prostitution bringt Feminist*innen in eine verzwickte Lage: Die damit | |
verbundene Ausbeutung lehnen sie ab, wollen die Frauen aber nicht | |
bevormunden. | |
Mitarbeiterin der Hurenorgansiation Hydra: "Sexarbeit ist eine Dienstleistung" | |
Ohne die Lobbyarbeit des Vereins Hydra wäre Sexarbeit heute immer noch | |
illegal. Die erste Hurenorganisation Deutschlands wird 30 Jahre alt. Ein | |
Grund zum Feiern – und für ein Interview. |