# taz.de -- Serie über Sexarbeit: Die Dialektik des Online-Sex | |
> Die ZDF-Serie „WatchMe – Sex sells“ über Erotik-Plattformen zeigt: | |
> Paid-Content wie von OnlyFans führt nicht automatisch zu | |
> Selbstbestimmung. | |
Bild: Das Smartphone ist für Toni, Tim und Malaika das wichtigste Arbeitsmittel | |
Ex-Schlagerstar [1][Michael Wendler] und seine Frau Laura Müller dürften | |
mittlerweile einen beachtlichen Teil ihres Einkommens damit generieren und | |
die Rapperin Katja Krasavice hat ihr sogar einen Song gewidmet: der | |
Social-Media-Plattform [2][OnlyFans], auf der vorrangig erotische Inhalte | |
gegen Bezahlung angeboten werden. | |
Das ZDF greift das Phänomen in seiner sechsteiligen Serie „WatchMe – Sex | |
sells“ auf. „Nie war es so leicht, erotische Bilder und Videos selbst zu | |
produzieren, hochzuladen und mit anderen zu teilen“, heißt es im | |
Ankündigungstext. „[3][Sexarbeit, so ein Standpunkt, würde dadurch | |
feministischer, da selbstbestimmter]. Doch ist das wirklich so | |
revolutionär?“ | |
Die drei Protagonist*innen verdienen Geld auf der fiktiven Plattform | |
WatchMe. Toni ist alleinerziehende Mutter, vertröstet den Nachhilfelehrer | |
ihres Sohnes beim Thema Bezahlung seit Wochen und sagt Verabredungen unter | |
einem Vorwand ab, weil das Geld zu knapp ist. Als ihr Chef Stellenkürzungen | |
ankündigt, entschließt sie sich verzweifelt, es mal mit Unterwäschefotos | |
auf WatchMe auszuprobieren. | |
Malaika ist länger und professioneller auf WatchMe unterwegs: Sie steht bei | |
einer Managerin unter Vertrag, bezeichnet sich als Sexworkerin und | |
Aktivistin und kann von dem Geld, das ihr Single-Männer auf der Suche nach | |
Sex und Intimität überweisen, ihrer Oma teure Taschen kaufen. Der dritte | |
Protagonist Tim hat immer häufiger Konflikte mit seinem deutlich älteren | |
Freund, weil Tim sich auf seinen Schulabschluss konzentrieren will. Doch | |
die schicke Wohnung und Reisen finanziert das Paar durch seine | |
WatchMe-Community, die ständig neue Inhalte verlangt. | |
## Neues Selbstbewusstsein | |
„WatchMe – Sex sells“ zeigt alltagsnah, mit welch unterschiedlichen | |
Spielarten von Zwang und Selbstbestimmtheit Plattformen wie OnlyFans das | |
Leben von Menschen in unserer kapitalistischen Gesellschaft prägen können. | |
Und wie flüchtig und subtil diese Varianten sein können. | |
Als Vulva-Fotos von Malaika geleakt werden, die sie selbst gar nicht | |
„fühlt“ und nur als Probe an ihre Managerin geschickt hat, muss sie | |
plötzlich Dinge tun, die sie gar nicht möchte. Dabei bleibt offen, ob | |
Malaikas Managerin die Fotos nicht gar absichtlich veröffentlicht hat, um | |
Malaikas Reichweite zu erhöhen. Und die alleinerziehende Mutter Toni findet | |
durch WatchMe zu neuem Selbstbewusstsein, entdeckt ihren Körper wieder. Und | |
sie geht wieder auf Partys, weil sie sich jetzt eine Babysitterin leisten | |
kann. | |
Die Schubladen, in die man die Protagonist*innen zu Beginn gedanklich | |
steckt, lösen sich im Verlauf der Serie auf. Das selbst generierte und | |
verwaltete WatchMe-Geld gibt Toni, die in einer prekären Lage notgedrungen | |
gehandelt hat, ein Stück Freiheit zurück. Und die vermeintlich | |
selbstbestimmte Geschäftsfrau Malaika muss ihre Scham und Unsicherheit vor | |
ihren Fans verstecken, um den Businessplan einhalten zu können. Die Serie | |
verdeutlicht, wie schambesetzt unser Umgang mit Sex und Geld ist. | |
Nach Themen wie Corona-Verschwörungsmythen, Geschlechtsidentität und | |
ukrainische Geflüchtete verarbeitet das ZDF nun also OnlyFans zum „Instant | |
Fiction“-Stoff. Die Idee dahinter: Eine beschleunigte, wenig aufwändige | |
Produktion soll gesellschaftlich relevante Themen möglichst schnell | |
aufgreifen. | |
## OnlyFans wächst und wächst | |
Das funktioniert bei „WatchMe – Sex sells“ gut, denn trotz der kurzweilig… | |
Szenen, die zoomartig nur Schlüsselmomente erzählen, werden Tim, Toni und | |
Malaika schon in der ersten Folge zu Identifikationsfiguren, deren Probleme | |
man gelöst sehen will. Die emotionalen, symbolstarken Dialoge machen wett, | |
dass alle Szenen in Innenräumen spielen und so Abwechslung fehlt. Nur | |
vereinzelt kippen die Dialoge ins Prätentiöse und reißen einen aus der | |
Story, was dem gestauchten Drehbuch geschuldet ist. | |
Das Verfallsdatum einiger ZDF-Instant-Serien, etwa eine Serie über Social | |
Distancing aus dem April 2020, war recht schnell erreicht. Doch die Frage, | |
wie Sexarbeit im digitalen Bereich funktioniert und was das mit uns macht, | |
wird lang relevant sein. OnlyFans, 2016 gegründet, wächst seit Beginn der | |
Pandemie enorm. Mitte Mai verkündete CEO Ami Gan, dass die Zahl der | |
OnlyFans-Creator*innen 2022 um fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr | |
gestiegen sei. Darunter sind die Wendlers und Krasavices – und Millionen | |
andere Tims, Tonis und Malaikas. | |
„WatchMe – Sex sells“, zu sehen in der ZDF-Mediathek | |
22 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Luise Mosig | |
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