# taz.de -- Diskussion um Prostituiertenschutzgesetz: Männliche Sexarbeit ist … | |
> Das Prostituiertenschutzgesetz hilft männlichen Sexarbeitern nicht. Sich | |
> ordnungsgemäß anzumelden, wäre für viele lebensfremd. | |
Bild: Auch die Kondomfrage sorgt für Debatten unter Sexarbeitern | |
BERLIN taz | Geballte Männlichkeit, gepresst in winzige quadratische | |
Profilbilder: Brusthaare und blanke Ärsche, glänzende Oberarme und nackte | |
Schenkel, kräftige Lippen, gepflegte Bärte. Dann, statt Körperteilen, nur | |
Männergesichter und ihre Blicke, wie auf einem Bewerbungsfoto. Typen, die | |
stolz schauen, ernst, feixend, manchmal anzüglich. | |
Männliche Sexarbeiter aus aller Welt präsentieren sich so im Internet auf | |
der bekannten Datingplattform GayRomeo für homosexuelle Menschen. Wer hier | |
nach Männern aus Berlin sucht, findet David Emmerich*. Er bedient | |
verschiedene Interessen: Neben Sex lässt er sich zum Beispiel auch für | |
Boyfriend-Experience oder für Rollenspiele buchen. Emmerich posiert in | |
Unterhose und Wolljacke und zeigt sein Gesicht – auch wenn er seine | |
Identität eigentlich kaschieren müsste. | |
Denn Emmerich hat sich bei der Stadt Berlin nicht als Sexarbeiter | |
angemeldet – obwohl das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz das | |
vorschreibt. Infolge des Gesetzes müsste er eigentlich einen Arbeitsausweis | |
bei sich tragen, Buch über seine Termine führen und eine Steuererklärung | |
machen. Seit zweieinhalb Jahren gelten diese Regelungen für rund 400.000 | |
SexarbeiterInnen in Deutschland – und werden von vielen Betroffenen heftig | |
kritisiert. | |
## Unter einem „doppelten Stigma“ | |
Das Gesetz soll vor Zwangsprostitution und Kriminalität schützen und neue | |
Zugänge zur Szene schaffen – aber es dränge viele Frauen und Männer | |
stattdessen in die Illegalität, bemängeln StreetworkerInnen. | |
In der Debatte über die Wirksamkeit und die Folgen des Gesetzes sind | |
bisher vor allem Frauen zu hören. Männliche Sexarbeiter teilen viele | |
Kritikpunkte der Frauen, etwa die drohende Stigmatisierung oder dass die | |
Vorgaben aus dem Gesetz szenefremd seien. Doch zugleich spielt das Gesetz | |
für die männliche Prostitution eine ganz eigene Rolle. | |
[1][Männliche Sexarbeit] funktioniert anders als Sexarbeit von Frauen. | |
Sexarbeiter stehen zum allergrößten Teil nicht auf dem Straßenstrich, | |
Bordelle mit männlichen Sexarbeitern gibt es so gut wie keine. Stattdessen | |
treffen Sexarbeiter und Freier entweder in Kneipen aufeinander oder im | |
Internet auf Datingplattformen. Dass männliche Sexarbeit in der | |
Öffentlichkeit oft unsichtbar sei, liege auch daran, dass Sexarbeiter unter | |
einem „doppelten Stigma“ litten, wie es der Sozialpädagoge Manuel | |
Hurschmann von der Aidshilfe Essen nennt: als Prostituierte und | |
Homosexuelle, die beide zum Teil noch immer um ihre gesellschaftliche | |
Akzeptanz kämpfen müssten. | |
Männliche Sexarbeit führt ein Schattendasein. Ändert das Gesetz das – oder | |
drängt es die stigmatisierten Sexarbeiter noch mehr in den Untergrund? | |
David Emmerich sagt, dass er sich anders verhalte, seitdem das Gesetz in | |
Kraft sei. Mehr Vorsicht in der Wahl seiner Kunden, noch mehr Vorsicht, wie | |
viel er von sich preisgebe. Warum hat er sich nicht angemeldet? „Es ist ein | |
prekärer Job. Müsste ich Krankenkasse und Steuer zahlen, wäre er noch | |
prekärer.“ Das Gefühl von Verstecktsein treibe ihn – obwohl er anderersei… | |
wolle, dass sein Job als normale Tätigkeit angesehen werde. | |
Emmerich beschreibt seine Arbeit ohne Aufregung oder Empfindlichkeit. Wie | |
viele Kunden hat er in der Woche? „Vier bis fünf.“ Wie haben seine Eltern | |
auf seinen Job reagiert? „Sie haben gesagt: Solange du glücklich damit | |
bist, ist das in Ordnung.“ Wie fühlt es sich an, ohne die vorgeschriebene | |
Anmeldung zu arbeiten? Wieder lakonischer Ton: „Ich habe einmal in der | |
Woche eine Nacht, in der ich nicht schlafen kann und mich frage: In welches | |
Ausland könnte ich gehen, wenn ich müsste?“ | |
Es gibt noch einen Unterschied zwischen Männern und Frauen in der | |
Prostitution. SozialarbeiterInnen kritisieren, dass Institutionen wie | |
Polizei, Verwaltung oder Gesundheitsämter oft sehr wenig Erfahrung im | |
Umgang mit Homosexualität hätten – anders als in der Arbeit mit | |
heterosexuellen SexarbeiterInnen. | |
Der Berliner Sozialarbeiter Ralf Rötten unterstützt seit den 1980er Jahren | |
Sexarbeiter. Er sehe in dem Gesetz das Potenzial, einen neuen Umgang mit | |
männlicher Prostitution zu schaffen, mehr Kenntnis und Verständnis für die | |
Szene zu erzeugen. „Es könnte sein, dass sich bald mehr Menschen an uns | |
wenden, weil sie Hilfe und Unterstützung brauchen“, so Rötten. Aber er sagt | |
auch: „Der Zugang wird uns erschwert.“ | |
## Kontrollen in Szenekneipen | |
Was er meint: Sexarbeiter in prekären Lebenslagen könnten sich wegen des | |
Gesetzes zurückziehen, und Sozialarbeiter wie Rötten könnten diese Menschen | |
nicht mehr erreichen. In Frankfurt am Main, wo zwischen 600 und 800 Männer | |
anschaffen, hat es vor ein paar Monaten zum ersten Mal Kontrollen gegeben. | |
Das ärgert die dortigen Streetworker: Würden Kneipen und andere Schauplätze | |
geoutet, könne das die Präventionsarbeit erschweren, heißt es. In anderen | |
Städten berichten SozialarbeiterInnen, dass bisher keine Männer den Kontakt | |
zu ihnen abgebrochen hätten, höchstens vereinzelt. | |
Werden die Männer durch das Gesetz kriminalisiert? Sexarbeiter David | |
Emmerich sagt: Ja. Sozialarbeiter Rötten differenziert: Erst einmal sei | |
Sexarbeit, die nicht bei der Stadt gemeldet sei, eine Ordnungswidrigkeit. | |
Wer wiederholt aufgegriffen werde, müsse mit einem Strafverfahren und dem | |
Entzug der Freizügigkeit rechnen. Sexarbeiter in Berlin seien sehr | |
selbstbewusst, sagt Rötten. Er habe aber Angst, dass dieses | |
Selbstbewusstsein abnehmen werde, wenn langjährige Sexarbeiter nun ihre | |
Onlineprofile löschten. „Eigentlich ist das ein Rollback in Sachen | |
Emanzipation und Sichtbarkeit.“ | |
SozialarbeiterInnen hierzulande sind wenige Fälle von Zuhälterei oder | |
Menschenhandel im Bereich männliche Sexarbeit bekannt. In den meisten | |
Fällen entschieden sich Männer, ähnlich wie Frauen, wegen des Geldes oder | |
aus Armut heraus zur Prostitution. Manche Sexarbeiter suchten aber auch nur | |
eine Bleibe für eine Nacht, manche blieben bei ihrem Freier und erhielten | |
gar kein Geld mehr, manche machten es nur nebenbei, manche lebten als | |
Sexarbeiter in einer Großstadt ihre sexuellen Identitäten aus, manche kämen | |
aus Ländern, in denen sie ihre Homosexualität verstecken müssten. | |
Weil männliche Sexarbeit von einer gewissen Flüchtigkeit geprägt ist, sehen | |
sich viele Männer auch nicht als Prostituierte. Sozialarbeiter Rötten sagt: | |
Weil sich die Formen, etwa Sexarbeit nebenbei oder als | |
Selbstverwirklichung, oft vermischten, sei es für die Institutionen bei | |
Kontrollen vielleicht gar nicht zuzuordnen, welcher Mann tatsächlich | |
Sexarbeiter sei. | |
## Lebensferne Gesundheitsämter | |
„Das Gesetz geht an der Lebensrealität der Männer vorbei“, sagt Rötten. … | |
Anmeldung müssten Sexarbeiter nachweisen, dass sie sich bei den | |
Gesundheitsämtern der Kommunen über Verhütung und Vorsorge informiert | |
hätten. Was die Männer dort erführen, sei aber widersprüchlich zu dem, was | |
Streetworker und Aidshilfen den Männern rieten, sagt Rötten. So werde etwa | |
nicht über die HIV-Präventivmedikation PrEP informiert. „Über 35 Jahre lang | |
haben schwule Männer gelernt, miteinander auszuhandeln, für welche Art von | |
Safer Sex sie sich entscheiden“, sagt Rötten, „jetzt sagt das Gesetz: Nein, | |
das ist nichts Partnerschaftliches, sondern der Kunde muss Kondome | |
verwenden.“ | |
Zumal der Faktor der eigenen Wahrnehmung eine Rolle spielt: Wer sich nicht | |
als Sexarbeiter versteht, sieht vielleicht auch wenig Gründe, sich über | |
seine Sicherheit am Arbeitsplatz zu informieren. Für viele Sexarbeiter | |
brauche es darum niedrigschwellige, anonyme Angebote und keine | |
Zwangsberatung, meint Rötten. | |
Wie ergeht es den Sexarbeitern, die sich anmelden? Tim Häußler*, | |
Lippenpiercing, Ende 20, blond, arbeitet in Berlin. Er bereut, dass die | |
Stadt ihn nun offiziell als Sexarbeiter führt. Auch Häußler will seinen | |
richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. | |
Im Fall von Häußler zeigt sich, dass Männer und Frauen oft auch ähnliche | |
Schwächen des Gesetzes identifizieren. Um Distanz zu seinen Kunden zu | |
halten, verwendet Tim Häußler einen Künstlernamen, den er eigentlich mit | |
seinem bürgerlichen nicht verbinden will. Häußler stört, dass beide Namen | |
jetzt gebündelt als „erpressungsfähige Daten“ bei den Ämtern lägen. „… | |
Art und Weise, wie ich arbeite, ist illegal, weil ich zu Hause arbeite“, | |
sagt Häußler, „und weil ich ohne Kondome arbeite.“ Sein Vermieter wisse | |
nicht Bescheid, er wolle seine Wohnung nicht verlieren, selbst entscheiden, | |
wie er arbeite. Wieder die Unsicherheit: Prostitution, Homosexualität, das | |
vermeintliche Stigma – die echte Gefahr der Ausgrenzung. | |
* Name geändert | |
2 Jan 2020 | |
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[1] /Maenner-bei-der-Sexarbeit/!5022024 | |
## AUTOREN | |
Simon Schramm | |
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