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# taz.de -- Diskussion um Strafen für Freier: Sexkauf nicht in Illegalität dr…
> Ein Prostitutionsverbot wäre nur Symbolpolitik, die sich gegen die Frauen
> selbst wendet. Moral sollte nicht mit Menschenrechten verwechselt werden.
Bild: Sexarbeiter:innen aus dem Blickfeld zu verdrängen, bedeutet nicht mehr S…
Im Sommer wurde Maria Noichl deutlich: „Am Tag von 30 Männern penetriert zu
werden, mag für eine sehr kleine Gruppe von Frauen die Erfüllung sein“,
sagte die Chefin der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF)
im Gespräch mit der taz spitz. Für die übergroße Mehrheit aber gelte:
„Sexarbeit ist weder Sex noch Arbeit. Sexarbeit ist
Menschenrechtsverletzung!“
Abwertend und unversöhnlich: [1][Nicht nur Noichl] nimmt in der seit
einigen Monaten vor allem in der SPD hochgekochten Debatte um ein
Sexkaufverbot eine rigide Haltung ein. Ob Freier bestraft werden sollten,
nicht aber die Prostituierten selbst, wird extrem emotional diskutiert. Die
einen, darunter neben Noichl die eklärte Abolitionistin Leni Breymaier und
der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, sehen in Prostitution eine
[2][grundsätzliche Entwertung von Frauen] in einer von Männern dominierten
Gesellschaft – die anderen, darunter Verbände von Sexarbeiter*innen, eine
selbstgewählte Arbeit wie andere auch. Doch für die vielen Zwischentöne ist
kein Platz.
Sexarbeit ist eine Kampfzone um Macht, Moral und Menschenrechte. Aber es
lohnt sich, zu prüfen, ob die Argumente, die in die Arena geworfen werden,
auch greifen: Werden Frauen in die Prostitution gezwungen? Wird diese durch
ein Sexkaufverbot aus der Welt geschafft? Und: Ist ein Verbot von Sexarbeit
ein Schritt hin zu egalitären Geschlechterverhältnissen?
Wie viele Frauen der Sexarbeit hierzulande freiwillig nachgehen und wie
viele tatsächlich dazu gezwungen werden, dazu gibt es keine belastbaren
Zahlen. [3][Die Anmeldung von Prostitutierten], wie sie in Deutschland
Pflicht ist, funktioniert nicht – weil viele Angst vor Stigmatisierung
haben und andere sich nicht anmelden können, zum Beispiel, weil ihnen eine
Aufenthaltsgenehmigung fehlt. Zwischen selbstbestimmten High-End-Dominas
und verelendeter Beschaffungsprostitution gibt es eine ganze Bandbreite
weiterer Formen von Prostitution: Bordelle, Laufhäuser,
Wohnungsprostitution, den Straßenstrich, Camper auf Parkplätzen oder
Sexclubs.
Für einen großen Teil der Frauen ist Sexarbeit dabei zumindest eines: eine
Möglichkeit, Geld zu verdienen, wo ihnen andere Möglichkeiten zum Beispiel
aus sprachlichen Gründen oder wegen fehlender Bildungsabschlüsse nicht zur
Verfügung stehen. Dass die Arbeit belastend sein kann, steht außer Frage –
aber das kann für einen Job in der Pflege oder auf dem Bau genauso gelten.
„Freiwilligkeit“ ist ohnehin eine schwierige Kategorie: Wer fragt schon
eine Putzfrau, ob sie die siebte Nachtschicht die Woche freiwillig macht?
Sofern sich eine Person aufgrund ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten dafür
entscheidet, eine bestimmte Arbeit zu machen, ist eine Option besser als
keine.
Menschenhandel und Zwangsprostitution hingegen sind schon strafbar, dafür
muss nicht erst Prostitution als solche verboten werden. Ebenso ist auch
[4][Gewalt in der Prostitution] wie in allen anderen gesellschaftlichen
Bereichen unter Strafe gestellt. Ob diese Gesetze durchgesetzt werden,
hängt vor allem davon ab, wie viele Ressourcen die Polizei dafür aufwendet.
Aber den Kauf von Sex zu verbieten, um Menschenhandel zu verhindern,
entspräche einem Verbot der Bauindustrie mit demselben Ziel. Auch auf dem
Bau gibt es Menschenhandel.
Was nun passiert, wenn Freier bestraft werden, sobald sie Sex kaufen
wollen, ist kein Ratespiel. Aus skandinavischen Ländern und Nordirland
liegen Studien vor, die genau das erforscht haben. Prostitution, zeigen
diese, verschwindet nicht. Zwar schrumpft ein kleiner Teil tatsächlich: der
sichtbare, der auf der Straße statt findet. Doch der Rest wird in die
Illegalität gedrängt.
Dass mehrere Frauen an einem für sie sicheren Ort wie einer Wohnung
zusammen arbeiten, ist dann nicht mehr möglich. Wer zu Freiern ins Auto
steigt, muss sich beeilen und kann den Kunden nicht in Ruhe prüfen, weil
der Angst hat, ertappt zu werden. Was deshalb zunimmt, ist das Risiko,
Gewalt zu erfahren oder nicht bezahlt zu werden. Denn eine rechtliche
Handhabe, die vereinbarte Bezahlung einzufordern, gibt es dann auch nicht
mehr.
Weil Frauen sich nicht mehr auf die [5][gesetzliche Kondompflicht] berufen
können, steigt zudem das Risiko sexuell übertragbarer Krankheiten – es ist
laut Metastudien doppelt so hoch wie ohne Verbot. Und schließlich wird der
Zugang der Frauen zu Gesundheits- und Sozialberatungen erschwert. Wozu
sollten die auch noch angeboten werden, wenn es Prostitution zumindest auf
dem Papier doch gar nicht mehr gibt?
Um Frauen zu stärken, die zumindest zum Teil ohnehin mit schwierigen
Arbeitsbedingungen kämpfen, müssen ihre Rechte gestärkt werden – ihre
Menschenrechte. Sie brauchen eine gut ausgebaute Gesundheitsversorgung, die
sie freiwillig und vertrauensvoll in Anspruch nehmen können. Sie müssen
dabei unterstützt werden, sich vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen, und
die bestehende Strafgesetzgebung muss angewendet werden.
Wer tatsächlich aussteigen will, braucht Beratung und die Möglichkeit zu
Fortbildungen. Und schließlich sollten wir als Gesellschaft darauf
hinarbeiten, das Stigma abzubauen, mit dem Sexarbeiter*innen noch immer
gebrandmarkt sind. Dieses aber würde mit dem Verbot eines Kaufs von Sex nur
größer: Eine Normalität für Sexarbeiter*innen kann es dann nicht geben.
Genau das ist es, was viele Befürworter*innen eines Sexkaufverbots wollen:
Keine Normalität. Sobald zwei Erwachsene einvernehmlich Sex haben, eine
Person aber dafür bezahlt, sei es kein Sex mehr, sagt die AsF-Chefin und
Befürworterin eines Verbots, Maria Noichl – und auch keine Arbeit. Wie die
Prostituierten selbst steht Prostitution schlicht außerhalb dessen, was für
Noichl und andere innerhalb einer moralisch integren Gesellschaft
vorstellbar ist.
Bei einem Sexkaufverbot geht es deshalb nicht um den Schutz und die Rechte
von Prostituierten – sondern um die Kontrolle von Körpern, um die
„richtige“ Sexualität und um Moral. Wer den Kauf von Sex verbieten will,
will ein reines Gewissen. Er oder sie handelt aber nicht im Sinn von
Frauen, die in der Prostitution arbeiten. Ein Verbot von Prostitution wäre
nichts als Symbolpolitik, die sich gegen die Frauen selbst wendet. Aber
Moral sollte gegenüber Menschenrechten nicht die Oberhand gewinnen.
1 Jan 2020
## LINKS
[1] /Verschaerfung-des-Prostitutionsrechts/!5604544
[2] /Diskussion-um-Strafen-fuer-Freier/!5647022
[3] /Prostituiertenschutz-ohne-Wirkung/!5594171
[4] /Aktivistin-ueber-Sexkaufverbot/!5644525
[5] /Neues-Prostitutionsgesetz/!5021465
## AUTOREN
Patricia Hecht
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