| # taz.de -- Diskussion um Strafen für Freier: Ein anderer Blick auf Frauen | |
| > Es geht um Menschenrechte, nicht um Moral. Warum wir beim Thema Sexkauf | |
| > auch in Deutschland das nordische Modell brauchen. | |
| Bild: Sexarbeit ist nicht irgendein Beruf – er kann entfremden und kann sogar… | |
| In Deutschland weiß jeder Mann, dass er für 100, 30 und weniger Euro eine | |
| Frau findet, deren Vagina, Anus und Mund er penetrieren kann. Er weiß, dass | |
| er jederzeit eine Frau mieten kann, die vor ihm niederkniet und ihm einen | |
| bläst – gegen Aufschlag ohne Kondom und mit Spermaschlucken. Er kann dabei | |
| wählen: Will er eine Bulgarin, Rumänin, Ungarin oder lieber eine | |
| kostspieligere Deutsche? Das Recht hat er dabei auf seiner Seite. In | |
| unserem Land ist der Kauf „sexueller Handlungen“ an einem [1][Frauenkörper, | |
| einem Menschenkörper, legal.] | |
| Wie sieht ein Mann in so einer Gesellschaft generell Frauen an? Seine Frau | |
| oder Lebensgefährtin? An jedem Mann – auch an dem, der nicht in ein Bordell | |
| geht – wirkt die Idee, dass er theoretisch die Macht hat, sich die | |
| Körperöffnungen einer Frau zu mieten. Das ist ein katastrophaler | |
| Gesellschaftsentwurf. | |
| „Wie doppelzüngig wirkt da die MeToo-Debatte, in der wir uns empören, wenn | |
| Frauen an Busen und Po gefasst wird, es aber voll in Ordnung finden, wenn | |
| man mit Frauen für 40 Euro weit mehr machen kann!“, sagt Leni Breymeier, | |
| SPD-Bundestagsabgeordnete. „Das macht jahrzehntelange Anstrengungen zur | |
| Geschlechtergleichstellung zunichte!“ Breymeier setzt sich daher zusammen | |
| mit anderen SPD-Frauen für ein [2][Sexkaufverbot nach schwedischem Vorbild] | |
| ein. Dieses bestraft nicht die Prostituierten, sondern die Sexkäufer, also | |
| die Freier. | |
| In bestimmten feministischen Kreisen und von der Lobby der | |
| „selbstbestimmten SexarbeiterInnen“ wird das Sexkauf-Verbot unter den | |
| Verdacht der „Prüderie“ gestellt. Ein Verbot, so die Logik, nähme den Hur… | |
| die sexuelle Selbstbestimmung und stoße sie ins Dunkel, in die Illegalität. | |
| Doch das ist Unfug. Denn dunkler kann es in dieser Branche gar nicht mehr | |
| werden. | |
| ## Deutschland – das Bordell Europas | |
| Ein tiefer Feminismus schaut genauer auf die Situation der Frauen: Seit der | |
| Liberalisierung der Prostitution 2002 ist Deutschland das Bordell Europas | |
| geworden. Hier schaffen geschätzt an die 400.000 Frauen an. Damit liegen | |
| wir weltweit auf Platz sechs, zusammen mit Ländern wie China, Mexiko, | |
| Thailand oder den Philippinen. Die Mehrheit der Prostituierten hier sind | |
| Migrantinnen, größtenteils aus Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Nigeria. | |
| Hierbei überwiegen Frauen aus sozialen Gruppen, die in ihren Heimatländern | |
| besonders von Armut und Ausgrenzung betroffen sind – wie türkischsprachige | |
| Bulgarinnen oder Roma-Frauen. Prostitution ist also eine Alarmglocke, die | |
| Ungleichheit und Ausweglosigkeit anzeigt, sie ist nicht Ausdruck einer | |
| lässigen Haltung zur Sexualität. | |
| Im Windschatten der Legalisierung ist Deutschland eine Drehscheibe für | |
| Frauenhandel geworden, immer öfter mit minderjährigen Opfern. Das | |
| bestätigen aktuelle Lageberichte von Bundeskriminalamt und Europol. Demnach | |
| ist Deutschland auch ein beliebtes Zielland für Zwangsprostitution in | |
| Europa. | |
| Was aber ist nun mit der [3][„selbstbestimmten Hure“], der Lieblingsfigur | |
| der Prostitutionslegalisierer? Nun: Frauen, die ihren Körper verkaufen, | |
| haben überproportional häufig in ihrer Kindheit schwere Traumata erlitten, | |
| oft sexualisierte Gewalt. Ihr Schritt in die Prostitution ist nicht als | |
| Ausdruck innerer Freiheit zu deuten, sondern als Symptom einer | |
| posttraumatischen Belastungsstörung. Das belegen Studien des | |
| Bundesfamilienministeriums von 2004 und 2013, ebenso wie Studien der | |
| US-amerikanischen Psychologin Melissa Farley. Ihren Zahlen zufolge werden | |
| 60 bis 70 Prozent der Prostituierten während ihrer „Arbeit“ vergewaltigt. | |
| ## Sexkäufer immer brutaler | |
| Frauen, denen der Ausstieg gelungen ist, bestätigen gegenüber | |
| Frauenschutzorganisationen, dass die Sexkäufer immer brutaler werden und | |
| Praktiken einfordern, wie sie früher nur in SM-Clubs zu kriegen waren. Man | |
| muss sich nur durch Freierforen klicken, um zu lesen, um was es den meisten | |
| Männern geht: Dass man Thailänderinnen für den blow job wählen sollte, weil | |
| man aufgrund ihrer flachen Nasen den Penis tiefer in den Mund stoßen kann. | |
| Da geht es um die Freude am Gewimmer der Frau bei der analen Penetration. | |
| Oder um die Gangbang-Party mit einer schwangeren Prostituierten. | |
| Die deutsche Juristin Rahel Gugel schreibt in ihrer Arbeit „Das | |
| Spannungsverhältnis zwischen [4][Prostitutionsgesetz] und Art. 3 II GG“, | |
| dass sich Prostituierte während ihrer Tätigkeit in einen mentalen Zustand | |
| versetzen, der ihre Empfindungen von dem Geschehen abkoppelt. Der Konsum | |
| von Drogen und Schmerzmitteln, von Alkohol und Psychopharmaka liegt bei | |
| Prostituierten deutlich über dem anderer Frauen. Ihre Lebenserwartung ist | |
| geringer, die Sterberate dafür 12-mal so hoch als in anderen | |
| Branchen.Sexarbeit | |
| In Schweden zeigt das dort 1999 eingeführte Sexkaufverbot die gewünschten | |
| positiven Erfolge, weil es an gute Ausstiegshilfen für die Frauen gekoppelt | |
| ist, wie Therapien und Berufsausbildungen. Die Zahl der Sexkäufer ist um 80 | |
| Prozent, die der Prostituierten um 60 Prozent gesunken. Kaum ein EU-Land | |
| hat heute weniger Probleme mit Menschenhandel. | |
| Die gängige Behauptung, die Frauen würden nun eben im Untergrund arbeiten, | |
| wies Simon Häggström, Kriminalinspektor und Leiter der Abteilung | |
| Prostitution der Stockholmer Polizei, zurück. „Die Frauen sind absolut | |
| sichtbar, schließlich sollen die Käufer sie ja finden. Mit einem | |
| internetfähigen Telefon und Telefonüberwachung finde ich jede Frau dort, wo | |
| sie angeboten wird.“ Seit 1999 sei zudem kein Anstieg der Gewalt an Frauen | |
| zu verzeichnen. Mit der Einführung des Sexkaufverbots ging in Schweden ein | |
| ganzes Gesetzespaket zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen einher, sowie | |
| eine breite Aufklärungsarbeit zur Gleichstellung der Geschlechter. | |
| In Schweden ist der Paradigmenwechsel also gelungen. Kauf und Verkauf von | |
| Frauen werden dort als Verstoß gegen die Menschenwürde geächtet. Genau | |
| darum geht es: um Menschenwürde, nicht um Moral. Deswegen brauchen auch wir | |
| das nordische Modell. | |
| 27 Dec 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Feministische-Positionen-zu-Sexarbeit/!5644563 | |
| [2] /Aktivistin-ueber-Sexkaufverbot/!5644525 | |
| [3] /Debatte-um-Prostitution/!5643297 | |
| [4] /Nur-wenige-Prostituierte-sozialversichert/!5573866 | |
| ## AUTOREN | |
| Margarete Moulin | |
| ## TAGS | |
| Sexarbeit | |
| Justizpolitik | |
| Schweden | |
| Prostitutionsschutzgesetz | |
| Rotlicht | |
| Prostitution | |
| Sexarbeit | |
| sexuelle Selbstbestimmung | |
| SPD | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Diskussion um Strafen für Freier: Sexkauf nicht in Illegalität drängen | |
| Ein Prostitutionsverbot wäre nur Symbolpolitik, die sich gegen die Frauen | |
| selbst wendet. Moral sollte nicht mit Menschenrechten verwechselt werden. | |
| Feministische Positionen zu Sexarbeit: Gehört Sexarbeit abgeschafft? | |
| Prostitution bringt Feminist*innen in eine verzwickte Lage: Die damit | |
| verbundene Ausbeutung lehnen sie ab, wollen die Frauen aber nicht | |
| bevormunden. | |
| Debatte um Prostitution: Bündnis gegen Sexkaufverbot | |
| Sechs Verbände und Beratungsstellen wie Aidshilfe und Frauenrat wenden sich | |
| gegen Bestrebungen, den Kauf von sexuellen Dienstleistungen zu verbieten. | |
| Forderung nach „nordischem Modell“: SPD-Frauen wollen Sexkaufverbot | |
| Die Koalition unter Schröder hat Prostitution in Deutschland liberalisiert. | |
| Jetzt drängen führende Sozialdemokratinnen auf eine Kehrtwende. |