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# taz.de -- Sexarbeiterin zu Corona und Berührungen: „Ich habe Spaß am Flir…
> Vor sieben Jahren stellte Josefa Nereus fest: Der Sex, den sie hatte,
> reichte nicht aus. Sie wurde Sexarbeiterin.
Bild: Josefa Nereus in ihrem Studio in Hamburg.
Josefa Nereus lebt in Hamburg, in einem Stadtteil jenseits der hippen oder
gar gutbürgerlichen Viertel, aber gut erreichbar mit öffentlichen
Verkehrsmitteln. Über ihre in einem Hochhaus, „von außen potthässlich“
gelegene Wohnung sagt sie: „Es gibt einen videoüberwachten Fahrstuhl, das
war mir bei der Anmietung wichtig.“ Die Nachbarschaft ist anonym, aber:
„Man ist schnell im Grünen.“ Das Gespräch fand per Videofonie statt.
taz am wochenende: Frau Nereus, als Sexarbeiterin sind Coronazeiten keine
guten Zeiten, oder?
Josefa Nereus: Mein Geschäft ist: Ich tausche Sexualität gegen Geld. In den
meisten Fällen beinhaltet das penetrativen Sex, wie man ihn sich vorstellt:
Schwanz und Möse. Ich biete aber vielfältige Dienstleistungen an. Es gibt
Menschen, die kommen nur zum Kuscheln, andere möchten ihre diversesten
[1][Fetische] befriedigt wissen. Rollenspiele habe ich auch im Angebot. Das
Spektrum ist weit gefächert, so ist eben mein Geschäft. Und, ja,
Coronazeiten sind für mich wie für fast alle anderen keine guten Zeiten.
Sie haben auch ökonomische Hilfe beantragt?
Ja. In Hamburg heißt es Soforthilfe: einmal 2.500 Euro für jeden
Selbstständigen und die Betriebskosten für die ersten drei Monate.
Wurden Ihre Anträge bewilligt?
Nach sechs Wochen Arbeitsverbot wurde mein Antrag bewilligt. Voll ist mein
Konto aber nicht.
Würden Sie auch andere Arbeit annehmen?
Klar, im Zweifelsfall würde ich mich auch bei Penny an die Kasse setzen.
Ich muss ja irgendwie meinen Lebensunterhalt bestreiten, wenn ich das mit
[2][Sexarbeit] nicht tun kann. Ich würde mich nicht in Schulden stürzen.
Vielleicht kümmer ich mich um mein zweites Standbein, Videos auf meinem
Youtube-Kanal. Die Supermarktkasse wäre nicht meine erste Wahl, aber ich
bin nicht wählerisch – das Leben geht weiter, und ich muss Geld verdienen.
Was haben Sie ursprünglich mal gelernt?
Ich bin Mediengestalterin für Bild und Ton.
Wie sind Sie zur Sexarbeit gekommen?
Durch den Wunsch, mehr Sexualität in meinem Leben zu haben. Das ist mir
neulich auch wieder bewusst geworden. Ich war als Jugendlicher ein
ziemlicher Nerd, was Sexualität anging. Sex hat mich schon damals
fasziniert. Ich habe das Kamasutra …
… eine alte indische Weise von Vatsyayana Mallanaga, überliefert seit dem
dritten Jahrhundert unserer Zeit.
Wie alt die Schrift ist, wusste ich nicht, heute denken bei ihr alle an die
Bilder der Sexstellungen – aber es ist ein Buch über die Philosophie, einen
Lebensstil mit Sexualität zu gestalten. Das fand ich damals schon spannend.
Dann macht man halt, was man so macht, sucht sich einen anständigen Job und
irgendwann … hab ich halt gesehen: Hey, Sexualität hat keinen Stellenwert
in meinem Leben. Vielleicht hast du einmal die Woche Sex, wenn’s hochkommt
zwei Stunden, und ja, das war’s dann. Das war nicht erfüllend. So kam dann
die Idee: Wie kann ich Sexualität sonst ausleben? Und Sexarbeit, die
Prostitution, bot da genau etwas, das für mich relevant war.
Im moralischen Sinn war das nicht gerade eine gewöhnliche Berufswahl.
Wenn man sich meine Biografie ansieht, auch in sexueller Hinsicht, dann war
ich noch nie ein Kind von Unschuld. Das begann mit der Pubertät. Ich bin
ein promiskuitiver Mensch, ich habe viel Spaß daran, zu flirten und zu
kommunizieren. Kommunikation ist ein Grundstein von Sexualität, ohne sie
geht es nicht. Ich habe dann gemerkt: Okay, du bist da anders als andere
Menschen. Habe das aber irgendwann hingenommen und mich, Gott sei Dank,
nicht so sehr davon irritieren lassen. Ich kannte auch all diese
Geschichten von gefallenen Mädchen. Aber irgendwie habe ich in meinem Leben
schon so oft festgestellt, dass das, was besonders über weibliche
Sexualität publik wird, nichts mit dem zu tun hat, was ich tatsächlich
erlebe. Deswegen war es dann auch nicht mehr dieser Riesenschritt zu sagen:
Okay, dann probierst du das jetzt mal aus.
Hat Sie jemand zu diesem Schritt ermutigt?
Es gab einen Partner, der mit mir und meinem Wunsch, mehr Sexualität haben
zu wollen, konfrontiert war. Und bei diesem Prozess – von der Idee, mehr
Sexualität zu haben, bis zur Sexarbeit – hat er mich sehr unterstützt.
Nicht so: Yeah, Superidee. Nicht bekräftigt, aber meine Wünsche
respektiert, das hat er.
Haben Sie als Sexarbeiterin auch schlimme Erfahrungen gemacht?
Definieren Sie: schlimme Erfahrungen.
Kund:innen oder Freund:innen, die Sie geldlich übervorteilen wollten,
geizig waren, aggressiv – bis hin zu subtilen Formen des Paternalisierens.
Solche Situationen gab es. Kunden und Kundinnen – da nehmen sich die
Geschlechter nichts – probieren, einen zu verarschen, um Geld zu betrügen,
zu klauen. Das passiert und ist sehr unangenehm. Gewalterfahrung hab ich
innerhalb der Sexarbeit aber keine gemacht, jedenfalls keine, die nicht
klar abgesprochen und kommuniziert wurde.
Das Geschäft liegt ja jetzt brach.
Ich bin weiterhin mit Stammkunden in Kontakt, einfach um sie zu halten. Das
wird jeder Dienstleister jetzt machen: telefonieren. Und wenn jemand
schreibt, natürlich auch mal antworten. Das führt allerdings nicht dazu,
dass das vergütet wird. Ich habe nicht wirklich die Ambition, in das
Cam-Geschäft einzusteigen.
Das ist was?
Cam-Sex, Sexualität vor der Kamera praktizieren. Ich drehe inzwischen
Fetischsoftpornos, bekleidet. Aber ist nur ein Taschengeld, ein Witz. Das
reicht noch nicht mal für die Miete.
Masken werden bei so nahen Kontakten wie den sexuellen womöglich bald
zwingend sein.
Ich muss da ehrlich sagen, ich bin da nicht Fachfrau genug. Müsste man mit
Medizinern und Spezialisten besprechen, aber ich könnte mir tatsächlich
durchaus vorstellen, dass Formen von Sexualität mit Schutzmasken möglich
sind. Das mag sicherlich eingeschränkt sein, das mag vielleicht auch nicht
so sexy sein, wie man es sich denkt oder es gewohnt ist – doch angesichts
dessen, dass das jetzt nicht einfach so zack! mit Corona vorbei ist, sehe
ich Masken als eine Möglichkeit, die Umstände zu überbrücken.
Sexarbeit wurde ja nicht als systemrelevant eingeschätzt. Ihre Kolleginnen
aus Rumänien oder Bulgarien mussten nach Hause fahren. Fanden Sie das
angemessen?
Die Art und Weise, wie das gehandhabt wurde, war miserabel. Viele haben ja
von sich aus gemerkt: Das Geschäft läuft nicht, es passiert irgendetwas, es
liegt buchstäblich etwas in der Luft. Viele sind ohne Aufforderung nach
Hause gereist. Katastrophal war die Kombination aus Übernachtungsverbot und
das schnelle Schließen von Bordellen. Die Frauen landeten über Nacht auf
den Straßen. Unser Berufsverband musste erst beim Bundesfamilienministerium
von Franziska Giffey anfragen, das Übernachtungsverbot zu überdenken. Die
Bundesländer haben daraufhin diesen Bereich gelockert – nach zwei Wochen
konnte wieder in den Bordellen gewohnt werden.
Was erfahren Sie in dieser Coronazeit von Ihren Kund:innen. Wie kommen die
ohne Sie klar?
Das ist eine gute Frage. Einige kommen ja auch, weil sie keine andere
Möglichkeit finden, Kontakt, Berührung und Zuwendung zu erfahren. Zu mir
kommen natürlich auch Menschen, die mit Vorerkrankungen oder dem
Immunsystem zu kämpfen haben. Das sind fürchterliche Situationen für diese
Menschen. Und das tut mir tatsächlich auch im Herzen weh. Die Treffen, das
war etwas, worauf sie sich gefreut haben. Und was ihnen Mut gegeben hat, im
Alltag weiterzukommen. Denken wir an alte Männer, bei denen die Frauen
gestorben sind. Die haben nicht großartig Menschen um sie herum, die sie
mal in den Arm nehmen, geschweige denn ein Gespräch mit ihnen führen.
Die Aidsepidemie, die in den 80er Jahren begann, veränderte die
Sexualitäten erheblich – das Kondom als Schutzinstrument. Was wird Corona
verändern?
Das weiß ich nicht so genau, das weiß niemand genau. Die [3][Aidskrise] hat
nicht nur den schwulen Sex beeinflusst. Das Thema Sex und Sex mit Kondom –
das ist ja eh der erlaubte und legitime Sex in unserer Gesellschaft. Ich
habe Vermutungen, ja, Befürchtungen, dass sich wegen Corona die Art und
Weise, wie wir Menschen uns begegnen, verändern wird. Darin liegt
allerdings auch eine Chance.
Welche denn?
Dass wir mal bewusster darüber nachdenken, welchen Kontakt wir überhaupt
wollen. Ich genieße es gerade, schon seit einiger Zeit, Berührung nur ganz
bewusst zuzulassen. Uns ist ja gar nicht bewusst, wie selbstverständlich
wir uns im Alltag anfassen. Von wem lasse ich mich eigentlich berühren?
Wieso, weshalb, warum? Das würde sich lohnen, darüber mal nachzudenken.
Klar, momentan gibt es viel Angst. Angst soll aber nicht siegen.
Das Berühren von erwachsenen Menschen ist ja eine neue Kulturtechnik, wenn
man so will. Vor einem halben Jahrhundert war das, abgesehen vom
Händeschütteln, unüblich.
Aber wieso lasse ich das zu? Warum schütteln wir uns die Hände?
Ein Zeichen des friedlichen Einvernehmens vielleicht?
Ja, mag sein. Aber muss das wirklich mit jedem sein? Muss es tatsächlich
sein, dass Kinder ungefragt angefasst werden? Oder können die nicht auch
für sich selbst stehen? Und wenn die Nein sagen, dann lässt man das bitte
auch so stehen, und zwingt sie nicht dazu, Küsschen zu geben oder ein
anderes Kunststück zu vollführen. Ich möchte nicht andeuten, dass das
Händeschütteln nicht mehr geschehen soll. Sondern einfach nur, dass wir
bewusster damit umgehen: Was tun wir da eigentlich den lieben langen Tag?
Warum tun wir das? Ich nenne es: Achtsamkeit, die uns ohnehin viel zu oft
fehlt.
Dass man einander berührt, vom Händeschütteln bis zur Umarmung, wie sie
heute üblich ist, ist doch eine freundliche Änderung unseres Alltags, oder?
Und ich finde den Gedanken interessant: Wieso ist das eigentlich immer am
Anfang einer Begegnung? Warum nähern wir uns gleich so schnell an? Es gibt
ja so diese touchy people, die einen viel anfassen, was einem sehr
unangenehm ist. Manchmal sind Berührungen ganz herzlich gemeint, die
Motivation eine sehr freundliche, so eine
Ich-möchte-dich-kennenlernen-Einstellung. Aber manchmal wäre es vielleicht
ganz cool, wenn man sich erst zwei, drei Minuten unterhält, und dann dazu
übergeht, sich zu berühren, etwa mit den Händen. Das wäre einfach schöner.
Ich habe neulich eine Freundin getroffen. Ich befinde mich nicht in
24-Stunden-Quarantäne, brauche Körperkontakt und möchte Freunde treffen.
Und ja, diese Freundin habe ich auch in den Arm genommen. Das werde ich mir
auch nicht nehmen lassen. Sich so intensiv von Menschen fernzuhalten, das
führt zu nichts. Es nützt nichts, wenn unser Körper gesund bleibt, unser
Geist dabei aber auf der Strecke bleibt.
Vermissen Sie Sex inzwischen?
Oje, ja. Ich vermisse Sexualität unheimlich. Es ist ja nicht einfach nur
der Sex. Ich vermisse auch die Menschen, den Kontakt zu vielen
verschiedenen Menschen. Das macht mir zu schaffen, tatsächlich. Sexualität
nicht leben zu können, mit anderen, da helfen ja die eigenen Hände und
Tools im Zweifelsfall, die müssen dann herhalten. Aber tatsächlich ist es
einfach schön, mit Menschen zu arbeiten, Menschen zu erleben, Sexualität zu
erleben. Das fehlt mir!
Corona möge endlich passé sein?
Unbedingt! Klar, das soll schon alles sicher bleiben. Der Lockdown auch in
unserem Berufsfeld hatte ja im Großen und Ganzen seinen Sinn. Aber ich
freue mich auf die Zeit, wenn alles rum ist und ich endlich wieder arbeiten
darf. Denn noch ist die Verordnungslage ja vielfach unklar – von Bundesland
zu Bundesland verschieden. Hier in Hamburg ist, wie es behördlich heißt,
Prostitution nach wie vor verboten. Und kein Politiker traut sich, offen
zu fordern: Macht die Puffs wieder auf.
Bundestagsabgeordnete wie Karl Lauterbach fordern sogar, dass
Sexarbeiter:innen nie mehr aus dem Lockdown kommen – Prostitution
verboten gehört.
Das wäre eine Katastrophe, es wäre unsolidarisch, gerade für einen
Sozialdemokraten – denn diese Corona-Situation auszunutzen, um unser
Berufsfeld auszulöschen, ist fies. Sexarbeit sollte nicht in die
Illegalität abgedrängt werden. Unsere Arbeit gehört genauso zum
gesellschaftlichen Leben wie die anderer auch.
Sie sind eine kämpferische, fast gewerkschaftlich orientierte
Sexarbeiterin. Typisch deutsch, oder?
So bin ich. Aber anderswo in der Welt kämpfen meine Kolleginnen auch um die
Wertschätzung ihrer Arbeit. Ich lege auf Pünktlichkeit extremen Wert, und
ich bin wahnsinnig ordentlich. Ich bin urspießig. Eine Kartoffel durch und
durch. Und ich liebe meine Arbeit. Wenn jemand Prostitution scheiße
findet: Ist okay. Aber ich bin trotzdem ein Mensch, möchte nicht
angepöbelt, sondern respektvoll behandelt werden.
1 Jun 2020
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## AUTOREN
Jan Feddersen
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