# taz.de -- Sexarbeiter*innen in Hamburg: Die Vergessenen | |
> In drei Bundesländern können Prostituierte bereits wieder ihrem Gewerbe | |
> nachgehen. In Hamburg gibt es noch keine Öffnungsperspektive. | |
Bild: Immer noch im Lockdown: Die Herbertstraße auf St. Pauli, hier im April 2… | |
HAMBURG taz | Während Sexarbeiter*innen in Sachsen-Anhalt, | |
Nordrhein-Westfalen und seit diesem Montag auch in Schleswig-Holstein unter | |
Auflagen wieder ihrer Arbeit nachgehen dürfen, warten ihre Kolleg*innen | |
in Hamburg weiter auf eine Öffnungsperspektive. Der „Sexy Aufstand | |
Reeperbahn“, ein Zusammenschluss von Prostituierten auf St. Pauli, forderte | |
am Montag die sofortige Öffnung für sein Gewerbe. Die | |
Sexarbeiter*innen kritisieren in einer Pressemitteilung, dass es | |
„weder Perspektive noch einen Plan seitens der Regierung“ für die Öffnung | |
in Hamburg gebe. | |
Beim Corona-Briefing des Senats am Dienstag gab es von Bürgermeister Peter | |
Tschentscher (SPD) keine Angaben zur Sexarbeit. Andere körpernahe | |
Dienstleistungen – über Friseure und Fußpflege hinaus – waren bereits im | |
zweiten der aktuell vier geplanten Öffnungsschritte am 22. Mai eingeplant. | |
Auf die Frage, ob die Sexarbeit im nächsten geplanten Öffnungsschritt zum | |
10. Juni dabei sein wird, kann die Sozialbehörde auf taz-Anfrage keine | |
konkrete Auskunft geben. „Die weiteren Schritte werden je nach Entwicklung | |
der epidemiologischen Lage vorgenommen“, sagt Behördensprecher Martin | |
Helfrich. | |
„Auflagen sind sinnvoll, die Pandemie muss eingedämmt werden. Aber es geht | |
nicht, dass wir nicht mitbedacht werden“, sagt Undine de Rivière, die seit | |
2000 freiberuflich als Sexarbeiterin in Hamburg arbeitet und auch im | |
deutschen Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD) | |
und beim Runden Tisch Prostitution in Hamburg aktiv ist. Sie versteht | |
nicht, dass Sexarbeit nicht mit anderen körpernahen Dienstleistungen | |
gleichgestellt wird: „Covid ist ja keine sexuell übertragbare Krankheit, es | |
geht darum, wie nah sich Menschen kommen und wie die Rahmenbedingungen | |
sind.“ | |
Die Sexarbeiter*innen vom „Sexy Aufstand Reeperbahn“ sehen zudem ein | |
„wachsendes Risiko, dass die Frauen, die sich an das Arbeitsverbot halten, | |
durch die entstehende finanzielle Notlage in prekäre Abhängigkeit geraten | |
können“, wie es in der Pressemitteilung heißt. Seit Beginn der Pandemie | |
laufe illegale Prostitution ohne Hygienekonzepte und Kontaktdatenerfassung | |
„unkontrolliert weiter, wodurch sich Sexarbeiter*innen und Gäste in | |
große Gefahr begeben“. | |
„Illegale Sexarbeit findet statt, das muss man klar sagen“, sagt auch | |
Sexarbeiterin de Rivière. „Zum Beispiel auf St. Georg, wo | |
Straßenprostitution eigentlich nicht gestattet ist. Zu einem möglichen | |
Bußgeld für Verstöße gegen die Sperrbezirksverordnung kann nun eben noch | |
eins für Verstöße gegen die Coronaverordnung kommen. Das trifft natürlich | |
diejenigen am härtesten, die sowieso schon prekär arbeiten. Weil viele | |
einfach keine Möglichkeit haben, etwas anderes zu machen.“ Das liege auch | |
an der Stigmatisierung des Berufes, auf die auch der heute stattfindende | |
„Internationale Hurentag“ aufmerksam machen soll. | |
Während Sexarbeiterin de Rivière schon länger online arbeitet, etwa mit | |
erotischer Hypnose, sei dies für andere keine Option: „Kolleg*innen, die in | |
der Pandemie von Sexarbeit eins zu eins auf Onlinesexarbeit wechseln, sind | |
einem wesentlich größeren Outing-Risiko ausgesetzt. Gerade, wenn man für | |
Cam-Portale arbeitet, muss man damit rechnen, dass Mitschnitte davon auf | |
Pornoseiten landen und eine Weile verfügbar sind“, sagt sie. | |
Die Polizei führt keine Statistik zu illegaler Prostitution während des | |
Lockdowns. Die zuständige Fachdienststelle habe aber keinen signifikanten | |
Anstieg wahrgenommen, teilt ein Polizeisprecher auf taz-Anfrage mit. | |
Für von Obdachlosigkeit bedrohte Sexarbeiter*innen hat die Stadt eine | |
eigene Unterkunft angemietet, in der momentan 66 von 68 verfügbaren Plätzen | |
genutzt werden. Die Unterkunft soll zunächst bis Ende Juli betrieben | |
werden, so Sozialbehördensprecher Helfrich. | |
Sexarbeiterin de Rivière appelliert an Hamburger*innen, sich weiter an die | |
Corona-Auflagen zu halten: „Es gibt Menschen wie uns, die beruflich davon | |
abhängig sind, dass die Inzidenzen noch weiter runtergehen und sich nicht | |
nur auf dem aktuellen Level einpendeln“, sagt sie. „Ich hoffe, dass wir bei | |
den nächsten Lockerungen nicht wieder vergessen werden.“ | |
2 Jun 2021 | |
## AUTOREN | |
Kaja Weber | |
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