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# taz.de -- Globale Schuldenkrise: Etliche Länder vor der Pleite
> Erst kam die Pandemie, dann Krieg und Inflation: Vielen Staaten droht die
> Zahlungsunfähigkeit. Ohne China sind sie nicht zu retten.
Bild: Nur wenige Investoren lassen ihr Geld im Globalen Süden: Coca-Cola-Anlag…
Basel taz | „Es sind noch mehr Sri Lankas auf dem Weg“, sagte Carmen
Reinhart in der vergangenen Woche. Die Chefökonomin der Weltbank meinte
damit Länder, die wahrscheinlich ihre Schulden nicht mehr bedienen können.
Tatsächlich zeigen Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF), dass
bereits mehr als die Hälfte der ärmsten Länder der Welt faktisch pleite
sind oder kurz davor stehen.
Viele Entwicklungsländer sind geschwächt in das Jahr 2022 gestartet. Die
Coronapandemie hatte zwei Jahre lang die Einnahmen aus dem Tourismus
wegbrechen und die Gesundheitsausgaben steigen lassen. Dazu kommt nun, dass
die Preise für Lebensmittel und Energie – nicht zuletzt wegen des
russischen Überfalls auf die Ukraine – stark ansteigen und so die Inflation
befeuern. Um dieses Feuer auszutreten, erhöhte die US-Zentralbank Fed die
Zinsen: [1][Von 0,25 Prozent Anfang 2022 kletterten sie so auf zuletzt 2,5
Prozent], also das Zehnfache.
Die höheren US-Zinsen wirken sich in verschiedener Hinsicht auf die
Entwicklungsländer aus: Investoren ziehen ihr Kapital schon seit fünf
Monaten von dort ab und bringen es wieder in die USA. Dem Institute of
International Finance zufolge ist das die längste je beobachtete Periode
von kontinuierlichen Abflüssen. Das wiederum stärkt den Dollar und schwächt
alle anderen Währungen, was die Zahlung von Zinsen auf Kredite verteuert.
Und wenn die Kredite auslaufen, müssen sich die Entwicklungsländer auf
deutlich höhere Refinanzierungskosten gefasst machen.
Mittlerweile gehen daher viele Investoren davon aus, dass einige Länder
diesem Druck nicht standhalten können. Erkennbar ist das am „Spread“, also
der Zinsdifferenz zwischen den Anleihen eines Landes und vergleichbaren
US-Anleihen. Diese Differenz liegt oft bei über zehn Prozentpunkten. Das
gilt derzeit für Papiere im Wert von über 400 Milliarden Dollar.
## Die lange Liste der gefährdeten Länder
Die Liste der gefährdeten Länder ist lang. Der Libanon, Sambia, [2][Sri
Lanka] und Surinam sind bereits pleite. Russland ist zumindest „technisch“
bankrott, weil es seine Zinsen auf Dollaranleihen in Rubel begleichen will
– was aus Sicht der Finanzmärkte allerdings nicht sonderlich dramatisch
ist. Anders ist es bei den Ländern an der Schwelle zum Staatsbankrott.
Hierzu zählen auch große Staaten.
In Afrika haben Ägypten, Äthiopien, Kenia und Nigeria sowie Tunesien und
Ghana einen Spread von mehr als 10 Prozentpunkten. In Asien gilt das
Gleiche für Pakistan, und auch Bangladesch hat bereits den IWF um Hilfe
angefragt. Kritisch sieht es auch in Argentinien aus: Argentinische
Anleihen sind für ein Fünftel ihres Nennwerts zu haben, der Spread liegt
bei 28 Prozentpunkten. In Südamerika könnten zudem El Salvador und Ecuador
in Kürze zahlungsunfähig sein.
Selbst in Europa könnte dieses Schicksal zwei Länder ereilen: Sowohl die
Anleihen der Ukraine als auch die des Nachbarn Belarus haben massiv an Wert
verloren. Und dann ist da noch die Türkei mit einer Inflationsrate von 80
Prozent.
Diese Liste ließe sich fortsetzen. Von den 70 ärmsten Ländern haben mehr
als die Hälfte Probleme: 7 sind bereits de facto pleite und bei 30 weiteren
ist die Wahrscheinlichkeit „hoch“, dass sie es demnächst sind, wie eine
Zusammenstellung des IWF zeigt.
Diese Situation könnte sich noch verschlimmern, wenn es gleichzeitig zu
einer Rezession in den drei größten Volkswirtschaften der Welt kommen
sollte. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht – in den USA wegen der
Inflation, in der EU wegen des russischen Gasembargos und in China wegen
der Coronapolitik und der Immobilienkrise. [3][Vor diesem Hintergrund wären
vorsorgende Maßnahmen sinnvoll.]
## China ist größter Kreditgeber für Entwicklungsländer
Bei ihrem Treffen im Juli konnten sich die G20-Finanzminister allerdings
nicht einigen. Auch Weltbank-Ökonomin Reinhart glaubt nicht, dass sich
schnell eine Lösung finden lässt: „Meine Befürchtung ist, dass es lange
dauern wird, bis ein umfassendes Konzept vorliegt, das tatsächlich zu einem
substanziellen Schuldenabbau führt. Jahre.“
Die entscheidende Frage ist, wie sich China verhält. Das Land ist in den
letzten Jahren zum größten Kreditgeber für Entwicklungsländer aufgestiegen.
Folglich ist die Umstrukturierung von Schulden in den meisten Fällen nur
möglich, wenn China mitzieht. Das Problem ist, dass China im Gegensatz zu
den westlichen Gläubigerstaaten keine Erfahrung mit überschuldeten
Kreditnehmern hat.
Dabei wäre das wichtig, denn 60 Prozent des chinesischen Kreditportfolios
besteht aus Krediten an Länder in finanziellen Schwierigkeiten. Hier gab es
allerdings eine positive Entwicklung: Vergangene Woche einigten sich
Sambia, dessen Gläubiger und der IWF auf eine Umstrukturierung.
Ausgehandelt wurde diese Vereinbarung unter dem Vorsitz Frankreichs – und
Chinas.
5 Aug 2022
## LINKS
[1] /Galoppierende-Inflation-in-den-USA/!5864484
[2] /Unruhen-in-Sri-Lanka/!5863909
[3] /Kampf-gegen-Hunger-weltweit/!5870857
## AUTOREN
Christoph Müller
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