| # taz.de -- Japans ermordeter Ex-Premier Abe: Rechtskonservativer mit Ausdauer | |
| > Japans früherer Premier Shinzō Abe wurde bei einem Attentat erschossen. | |
| > Seine Politik war umstritten, doch seinem Land brachte er lange | |
| > politische Stabilität. | |
| Bild: Umstritten wegen seiner rechtskonservativen Politik: Shinzō Abe (1954-20… | |
| Berlin taz | Stellen wir uns vor, es hätte ein Attentat auf | |
| Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel gegeben – und sechs Stunden später ist sie | |
| tot. Es gäbe einen Aufschrei. Alle Medien würden sich tagelang nur darauf | |
| konzentrieren. So ähnlich ergeht es derzeit Japan. | |
| Das Land ist in einem Ausnahmezustand. Der öffentlich-rechtliche Sender NHK | |
| berichtet in Dauerschleife über den Anschlag auf den Ex-Premierminister | |
| Shinzō Abe. Der [1][Politiker wurde bei einer Wahlkampfrede in Nara | |
| angeschossen] – ausgerechnet in der Stadt, die bekannt ist für ihre | |
| zahlreichen Tempel und friedlich herumlaufenden Hirsche. Mehr als fünf | |
| Stunden später wird er im Krankenhaus für tot erklärt. Abe wurde 67 Jahre | |
| alt. | |
| Der Ex-Regierungschef wurde am Vormittag des 8. Juli von hinten von zwei | |
| Schüssen getroffen, einer davon traf ihn am Hals. Das Attentat sorgt auch | |
| deshalb für Entsetzen, weil es in Japan kaum Waffengewalt gibt. Der Täter, | |
| ein 41-jähriger ehemaliger Berufssoldat, soll noch am Tatort gesagt haben, | |
| dass er unzufrieden mit Abes Politik gewesen sei. | |
| Politische Unzufriedenheit ist in Japan nicht außergewöhnlich, aber kaum | |
| jemand bringt sie zum Ausdruck. Öffentliche Demonstrationen gelten als | |
| Ruhe- und Verkehrsstörung, Teilnehmer:innen werden eher kritisch | |
| beäugt. Wenn Arbeitnehmer:innen ihren Unmut zum Ausdruck bringen | |
| wollen, versuchen sie dabei, die Gesellschaft nicht zu belasten. Ein | |
| Beispiel: Busfahrer:innen streiken, arbeiten aber weiter und halten den | |
| ÖPNV aufrecht – verlangen allerdings keine Fahrkosten von Passagier:innen. | |
| Die Wahlbeteiligung, insbesondere bei jüngeren Menschen, ist niedrig. Die | |
| Bevölkerung ist unpolitisch und die Hoffnung auf Veränderung haben die | |
| meisten aufgegeben. Es besteht ein gesellschaftlicher Konsens: Die | |
| Politiker sind alle korrupt, [2][die LDP wird sowieso an der Macht bleiben] | |
| und Bürger:innen haben keinen Einfluss. Mit dem Attentat rückt das | |
| politische Geschehen wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. | |
| ## Rechtskonservative und korrupte Politikführung | |
| Der LDP – Abkürzung für liberaldemokratische Partei Japans – gehörte auch | |
| Abe an. Schon sein Vater war Politiker der LDP, Vetternpolitik ist in Tokyo | |
| keine Seltenheit. Abe galt als rechtskonservativ: Eine Aufarbeitung der | |
| japanischen Kriegsverbrechen wie die [3][Zwangsprostitution der sogenannten | |
| Trostfrauen] oder das [4][Massaker von Nanjing] stand nicht auf seinem | |
| Programm. Stattdessen flirtete Abe mit den USA und konzentrierte sich auf | |
| wirtschaftliche Bündnisse. | |
| Bekannt war er für seine Politik namens Abenomics, dem Schachtelwort aus | |
| Abe und economics, mit dem er versuchte, die japanische Wirtschaftskrise | |
| anhand von Konjunkturpolitik und Geldschwemmen zu bekämpfen. Nach der | |
| [5][Naturkatastrophe im März 2011] rund um die Region Iwate, Miyagi und | |
| Fukushima, die 20.000 Menschen das Leben kostete und eine | |
| Nuklearkatastrophe auslöste, hielt Abe weiter an Atomkraftwerken fest. Ein | |
| Ausbau erneuerbarer Energien verlief schleppend. | |
| Im Jahr 2017 sanken Abes Beliebtheitswerte drastisch, als bekannt wurde, | |
| dass er und seine Frau womöglich in Korruption involviert waren. Auslöser | |
| war der Bau des nationalistisch geprägten Kindergartens [6][„Moritomo | |
| Gakuen“], dessen Betreiber auf Wunsch von Abe einen erheblichen Rabatt beim | |
| Grundstückskauf erhalten hat. | |
| Ferner wurde dem Finanzministerium vorgeworfen, entsprechende öffentliche | |
| Dokumente zum Fall Moritomo Gakuen gefälscht zu haben. So wurde der Name | |
| Akie Abe, Frau von Shinzo Abe, die eine Million Yen (damals 8.200 Euro) | |
| gespendet haben soll, nachträglich überschrieben. Bis zu seinem Tod | |
| bestritt Abe jegliche Beteiligung an dem Skandal, der einen Beamten des | |
| Finanzministeriums in den Suizid trieb. | |
| ## Am längsten durchgehalten | |
| So kritisch man Abes Politik auch finden mochte: Eine Eigenschaft, für die | |
| ihn viele Menschen sehr wertschätzen, war seine Festigkeit im Amt als | |
| Premierminister. Während seine Vorgänger jedes Jahr mit einem Rücktritt das | |
| Amt freigaben, hielt Abe ab seiner zweiten Amtszeit im Jahr 2012 an seiner | |
| Position als Premierminister fest. Mit ihm als Regierungschef wirkte Japan | |
| endlich politisch stabil. Aus gesundheitlichen Gründen trat Abe im | |
| September 2020 von seinem Amt zurück. | |
| Wenn für die Welt Merkel das Gesicht Deutschlands war, war Abe das Gesicht | |
| Japans. Die beiden [7][pflegten ein gutes Verhältnis]: Als sie damals von | |
| seinen Rücktrittsabsichten erfuhr, wünschte sie ihm „eine rasche und | |
| vollständige Genesung und persönliches Wohlergehen“. | |
| 8 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Shoko Bethke | |
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