| # taz.de -- Oberhauswahl in Japan: Rückenwind fürs Regierungsbündnis | |
| > Nach einem klaren Wahlsieg kann Japans Premier Fumio Kishida vorerst | |
| > durchregieren. Damit rückt die bereits lange schwelende Verfassungsreform | |
| > näher. | |
| Bild: Die Oberhauswahl gewonnen: Japans Premierminister Fumio Kishida | |
| Tokio taz | Die Regierungskoalition in Japan hat die Oberhauswahl am | |
| Sonntag klar gewonnen. Die Liberaldemokratische Partei (LDP) und ihr | |
| kleiner Partner Komeito errangen 60 Prozent der 125 Sitze der zweiten | |
| Parlamentskammer, die zur Wahl standen. Damit sitzt [1][Premierminister | |
| Fumio Kishida nun fest im Sattel] und kann mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit | |
| in beiden Parlamentskammern erst einmal durchregieren. | |
| Jedoch verzichtete Kishida wegen der Ermordung des Ex-Regierungschefs und | |
| [2][Ex-LDP-Vorsitzenden Shinzo Abe] auf jeden Jubel über seinen Wahlsieg | |
| und unterstrich, die Einheit der Partei sei wichtiger als alles andere. Abe | |
| führte die größte Faktion der LDP-Abgeordneten und zog im Hintergrund viele | |
| Strippen, so dass der LDP ein inneres Machtvakuum droht. | |
| Der 67-Jährige war am Freitag bei einem Wahlkampfauftritt in Nara von einem | |
| Einzeltäter [3][mit einer Schusswaffe getötet worden]. Die Trauerfeier für | |
| den Verstorbenen findet am Dienstag statt. Das Attentat scheint sich auf | |
| das Wahlergebnis nur begrenzt ausgewirkt zu haben. Die LDP konnte die Zahl | |
| ihrer eigenen Sitze nur um acht auf 63 erhöhen, eine Steigerung um ein | |
| Siebtel. Die Wahlbeteiligung legte nur um drei Punkte auf 52 Prozent zu. | |
| ## Inflation und Verteidigung dominierten Wahlkampf | |
| Die Rückkehr der Inflation nach Japan hatte den Wahlkampf dominiert. Auch | |
| die Erhöhung der [4][Verteidigungsausgaben] beschäftigte die Wähler. | |
| Kishida erklärte am Montag, er wolle die Verteidigung des Landes „drastisch | |
| stärken“. Bisher diskutiert man eine Verdopplung der jährlichen Ausgaben | |
| auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. | |
| Zugleich kündigte der Premier an, das Erbe seines Vorvorgängers Abe | |
| fortzusetzen. Dazu gehört auch die Änderung der pazifistischen | |
| Nachkriegsverfassung. Das lange schwelende Vorhaben hatte wieder an Fahrt | |
| aufgenommen, als [5][Russlands Angriff auf die Ukraine] eine Debatte über | |
| Japans Sicherheitspolitik auslöste. Nach der Wahl verfügen die Befürworter | |
| dieser Reform über die für Änderungen notwendige Supermehrheit im | |
| Parlament. | |
| Der ermordete Abe träumte sein Leben lang von der ersten Revision der | |
| Verfassung, die er als von den damaligen US-Besatzungstruppen oktroyiert | |
| ablehnte. Dabei geht es vor allem um Artikel 9, der Japan jede | |
| Kriegsführung sowie den Unterhalt von Streitkräften untersagt. | |
| Als Premierminister hatte Abe diesen Artikel bereits uminterpretiert, damit | |
| die Selbstverteidigungsstreitkräfte mit ihrem Sicherheitspartner USA | |
| kooperieren können, wenn Japan nicht direkt angegriffen wird. Doch erst | |
| ihre formale Zulassung würde es Japan ermöglichen, sich Offensivwaffen | |
| zuzulegen und die USA aktiv militärisch zu unterstützen, etwa bei der | |
| Verteidigung von Taiwan gegen einen Angriff aus China. | |
| ## Neuer Premier polarisiert weniger | |
| Das Engagement von Kishida erhöht die Erfolgsaussichten für die Reform. Als | |
| moderater Konservativer polarisiert er die Öffentlichkeit weniger als Abe. | |
| „Die Rechten werden Kishida unterstützen und die Linken tolerieren, weil er | |
| sorgfältig mit dem Thema umgehen wird“, meinte der Historiker Hitoshi | |
| Komiya von der Aoyama Gakuin Universität. Genauso gut könnte der Tod von | |
| Abe jedoch dazu führen, dass die Reformanstrengungen bald wieder versanden. | |
| „Die symbolische Figur für die Änderungsbefürworter ist nicht mehr da“, | |
| meinte der Politologe Masahiro Iwasaki von der Nihon University. | |
| Die Hürden bleiben hoch: Die vielen Befürworter müssen sich noch auf die | |
| Details der Änderungen einigen. Ein anschließendes nationales Referendum | |
| erfordert eine absolute Mehrheit, doch die Öffentlichkeit bleibt trotz | |
| Ukraine-Krieg in dieser Frage tief gespalten. Daher könnte Kishida versucht | |
| sein, sein politisches Kapital anderweitig einzusetzen. „Er wird | |
| Diskussionen abhalten, aber das Ziel weniger enthusiastisch verfolgen als | |
| Abe“, erklärte Iwasaki. | |
| Die Opposition gestand unterdessen ihre neuerliche Wahlniederlage ein. Die | |
| Konstitutionelle Demokratische Partei (CDPJ) verlor sechs ihrer 23 | |
| Oberhaussitze. „Die Wähler wollen uns die Regierung nicht anvertrauen“, | |
| gestand CDPJ-Vorsitzender Kenta Izumi. Anders als zuletzt hatten die | |
| Oppositionsparteien die Aufstellung ihrer Direktkandidaten nicht | |
| aufeinander abgestimmt. | |
| Gleichzeitig fehlte die Unterstützung des Gewerkschaftsbundes Rengo, der | |
| nicht mit der Kommunistischen Partei kooperieren will. „Die | |
| Mitte-Links-Opposition leidet daran, dass ihr niemand einen Wahlsieg | |
| zutraut“, sagte Professor Axel Klein vom Institut für | |
| Ostasienwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. „Ihr Dilemma: | |
| Kooperieren die Parteien, verlieren sie an Identität und programmatischer | |
| Kohärenz, kooperieren sie nicht, nehmen sie sich gegenseitig die Wähler | |
| weg.“ | |
| 11 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Japans-designierter-Ministerpraesident/!5804842 | |
| [2] /Japans-ermordeter-Ex-Premier-Abe/!5866416 | |
| [3] /Attentat-in-Japan/!5866375 | |
| [4] /Premier-will-Praeventivschlaege-erlauben/!5815963 | |
| [5] /Krieg-in-der-Ukraine/!5866257 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Fritz | |
| ## TAGS | |
| Japan | |
| Shinzo Abe | |
| Wahlen | |
| Parlamentswahl | |
| GNS | |
| Japan | |
| Japan | |
| Shinzo Abe | |
| Japan | |
| Japan | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Mögliches Motiv für Attentat: Mord wegen Sekte? | |
| Die Partei und Familie des ermordeten Ex-Premiers Abe soll Verbindungen zur | |
| koreanischen Moon-Sekte gehabt haben. Japanische Medien vernebeln das. | |
| Nach der Oberhauswahl in Japan: Verfassungsreform als Alibi | |
| Nach dem Wahlsieg will Japans Premier Kishida weg vom neoliberalem Kurs | |
| seines Vorgängers Abe. Wen er dazu braucht: die Rechten. | |
| Japans ermordeter Ex-Premier Abe: Rechtskonservativer mit Ausdauer | |
| Japans früherer Premier Shinzō Abe wurde bei einem Attentat erschossen. | |
| Seine Politik war umstritten, doch seinem Land brachte er lange politische | |
| Stabilität. | |
| Unterhauswahlen in Japan: Blaues Auge für Premier Kishida | |
| Die Unzufriedenheit mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik ist hoch. Doch | |
| die Opposition profitiert davon weniger als erhofft. | |
| Parlamentswahlen in Japan: Wenn Habenichtse wählen gehen | |
| Die wachsende soziale Kluft führt in Japan zu Unmut. Bei den | |
| Parlamentswahlen am kommenden Sonntag zeichnen sich Verluste für die | |
| Regierungspartei ab. |