# taz.de -- Unterhauswahlen in Japan: Blaues Auge für Premier Kishida | |
> Die Unzufriedenheit mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik ist hoch. | |
> Doch die Opposition profitiert davon weniger als erhofft. | |
Bild: Premierminister Fumio Kishida nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse | |
Tokio taz | Der in Japan erst seit Anfang Oktober amtierende | |
Premierminister Fumio Kishida hat bei der Parlamentswahl am Sonntag weniger | |
Federn lassen müssen als [1][erwartet]. Die Koalition aus seiner | |
Liberaldemokratischen Partei (LDP) und der buddhistischen Komei-Partei, die | |
Japan wieder seit Ende 2012 regiert, verlor nur 14 ihrer 305 Mandate. Damit | |
erreichte Kishida sein Minimalziel des Machterhaltes. | |
Zugleich erhielt die LDP eine komfortable eigene Mehrheit von 259 Sitzen, | |
könnte also auch alleine regieren. Anders als bei den vorangegangenen drei | |
Wahlen stellt die LDP, die das Land mit Ausnahme weniger Jahre fast | |
durchgängig seit dem Zweiten Weltkrieg regiert, jedoch weniger als 60 | |
Prozent der Abgeordneten und verzeichnete damit ihr schlechtestes Ergebnis | |
seit zehn Jahren. | |
Dabei wirkte sich in erster Linie die verbreitete Unzufriedenheit mit der | |
neoliberalen Wirtschaftspolitik der Abenomics aus. Ihre aggressive Geld- | |
und Fiskalpolitik der vergangenen fast neun Jahre konnte weder das Wachstum | |
noch die Einkommen erhöhen, nur die obersten zehn Prozent der Japaner | |
profitierten von gestiegenen Aktien- und Immobilienpreisen. | |
Zugleich verdoppelte der Abenomics-Premier Shinzo Abe die Mehrwertsteuer | |
auf zehn Prozent. Zusätzlich verschärfte die Pandemie die sozialen | |
Gegensätze, da fast 40 Prozent der Erwerbstätigen keinen festen Job haben. | |
## Die größte Oppositionspartei verlor sogar Stimmen | |
Doch von der negativen Stimmung konnte die größte Oppositionspartei, die | |
Konstitutionelle Demokratische Partei (CDP), überraschend gar nicht | |
profitieren. Sie verlor sogar 14 ihrer 110 Mandate, obwohl sie mit drei | |
anderen Oppositionsgruppen, darunter den Kommunisten, ihre Kandidaturen | |
koordiniert hatte, um die Stimmen der LDP-Gegner zu sammeln. | |
Die meisten Protestwähler entschieden sich vielmehr für die | |
neoliberal-konservative Restaurationspartei Japans (Nippon Ishin no Kai). | |
Die Regionalpartei aus Osaka, die sich als konservative Alternative zur LDP | |
verkauft, trat diesmal außerhalb von Westjapan an und vervierfachte ihre | |
Mandate nahezu. | |
Der Wahlausgang unterstreicht, wie konservativ und risikoscheu die | |
japanische Wählerschaft ist. Zum Großteil verlässt sie sich darauf, dass | |
die LDP ordentlich regiert. Auf diese treuen Stammwähler und die | |
Unterstützung der Wirtschaft kann sich die Volkspartei, die ein breites | |
politisches Spektrum abdeckt, verlassen. | |
„Linksliberale Parteien wie die CDP, die sich für die Einführung von | |
gleichgeschlechtlichen Ehen und mehr Geschlechtergerechtigkeit einsetzt, | |
haben es weiterhin schwer“, meint der Japan-Experte Axel Klein von der | |
Universität Duisburg-Essen. | |
## Ausgerechnet die Jungwähler stimmen für die LDP | |
Wie zur Bestätigung erreichte die LDP ihren höchsten Anteil von rund 40 | |
Prozent ausgerechnet in der jüngsten Altersgruppe der 18- bis 29-jährigen | |
Japanerinnen und Japaner. In dieses Bild passt, dass es in Nippon keine | |
nennenswerte Fridays-for-Future- oder Umweltbewegung gibt. | |
„Die konservative Einstellung und generell der Trend zum Apolitischen bei | |
jungen Menschen ist vor allem auf die fehlende politische Bildung an den | |
Schulen zurückzuführen“, meint die Soziologin Barbara Holthus, | |
Vizedirektorin des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio. | |
Premier Kishida muss sich nun entscheiden. Nimmt er den Dämpfer ernst, dann | |
korrigiert er die neoliberale Wirtschaftspolitik und achtet stärker auf | |
soziale Gerechtigkeit. Dabei könnte er jedoch die Unterstützung des | |
mächtigen Abenomics-Namengebers verlieren. | |
Abe hielt Kishida bei dessen [2][Wahl zum Parteivorsitzenden Ende | |
September] die Steigbügel. Doch der Premier steht unter Zeitdruck, bis zur | |
Oberhauswahl im Sommer 2022 bleiben ihm nur wenige Monate. Sollte er dabei | |
erneut patzen, drohen die Machtkämpfe in der LDP wieder auszubrechen. Dann | |
dürften seine Tage an der Spitze von Partei und Regierung gezählt sein. | |
1 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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