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# taz.de -- Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke: Mehr Kompromisse wagen
> Trotz Energiekrise schließen die Grünen längere Laufzeiten für
> Atomkraftwerke aus. Doch ihre Prinzipientreue ist nicht souverän, sondern
> stur.
Bild: Die Forderungen der Grünen sind nicht neu, wie hier auf dem Parteitag 20…
Wecke eine Grüne nachts um halb vier, reiße sie aus dem Schlaf und frage
nach, ob die letzten deutschen [1][Atomkraftwerke] vielleicht einen Tag
länger laufen dürfen. Oder zwei. Die Antwort ist klar, egal wie viele
Aperol Spritz am Abend die Sinne der Grünen vernebelt haben mögen: „Nein,
auf keinen Fall! Niemals! Atomkraft, nein danke!“ Diese
Prinzipienfestigkeit ist richtig, wenn man jedes nukleare Restrisiko
ausschließen will, wie es alle im grünen Milieu verinnerlicht haben, das ja
inzwischen ziemlich groß ist.
Auch der Autor dieser Zeilen wurde durch die Angst vor der Atomkraft
politisiert, hat sich von der Polizei durch den Taxöldener Forst bei
Wackersdorf jagen lassen, für Demonstrationen gegen die WAA sogar auf
Spiele des FCN verzichtet und später mit kleinem Kind auf den Schultern
instagramtauglich gegen Merkels Laufzeitverlängerung protestiert, obwohl es
damals noch gar kein Instagram gab, aber die feste Überzeugung: Jeder Tag
mit Atomkraft ist ein Tag zu viel. Das bleibt richtig, keine Frage. Eine
andere Frage ist, ob [2][kompromisslose Prinzipienfestigkeit politisch
wirklich schlau ist.]
Indem Wirtschaftsminister Robert Habeck mitteilen ließ, er rechne noch mal
nach, ob der Weiterbetrieb der AKWs vielleicht eventuell doch noch möglich
sei, hat er Zeit gewonnen, darüber nachzudenken, welche Position für die
Grünen realistischerweise haltbar ist. Es geht nicht nur um Zahlen.
Zum gefühlt tausendsten Mal werden die Grünen gerade mit Forderungen
konfrontiert, die ihren innersten Reflexen widersprechen – und die von
Lobbygruppen ebenso aus purem Eigennutz vorangetrieben werden wie von
Konkurrenzparteien. Wieder einmal gilt es abzuwägen: eisern bleiben oder
nachgeben.
## Keine Zugeständnisse ohne Gegenleistung
Logischerweise fällt der Anti-Atom-Partei die Zustimmung zu längeren
Atomlaufzeiten besonders schwer. Ohne politische Gegenleistung sollten sie
auch kein Zugeständnis machen. Mit Blick auf die weitere Bewältigung der
Energiekrise im Winter wäre eine kategorische und absolut kompromisslose
Fixierung auf den exakten Ausstiegstermin 31. 12. 2022 jedoch albern.
Wer in der Aufgabe dieses [3][einst politisch gesetzten Datums] einen
unverzeihlichen Sündenfall sieht, hätte schon längst aus der Partei
austreten müssen. Als die Grünen mit Gerhard Schröder und Jürgen Trittin
den ersten Atomausstieg beschlossen, stimmten sie zu, dass viele Meiler
noch mehr als zwanzig Jahre laufen durften. Und jetzt sollen selbst ein
paar Monate länger völlig unverantwortlich sein?
Auch die ungelöste Endlagerfrage ist kein triftiges Argument. Ungelöst ist
sie tatsächlich. Deshalb sollten auf keinen Fall neue Atomkraftwerke gebaut
werden. Aber ob die Halbwertzeit des Atommülls nun 200.000 Jahre oder bei
einer kurzen Verlängerung der funktionierenden AKWs 200.001 Jahre beträgt,
dürfte für das Schicksal der nachkommenden Generationen eher unerheblich
sein.
Nicht unerheblich ist hingegen, wie die Grünen in dieser Krise die nötige
Kraft für den Umstieg auf erneuerbare Energien und den sozialen
Zusammenhalt sammeln können. Nein, die Atomkraft ist kein Ersatz für Putins
Gas. Sie löst die Krise nicht. Sie ist höchstens ein Tropfen auf den heißen
Stein. Aber das könnte man auch beim Kaltduschen sagen, das Habeck
propagiert. Wenn Habeck weiter täglich zum Sparen aufruft („Jede
Kilowattstunde hilft“) und dabei weiter täglich gefragt wird, warum dann
nicht wenigstens ein bisschen Atomstrom aus funktionierenden Meilern
fließen darf, erleichtert das seine politische Überzeugungsarbeit nicht.
Vorausgesetzt, die Sicherheitsprüfung ergibt die Möglichkeit, würde ein
Nein zu jedem Tag AKW stur und eine Zustimmung souverän wirken. Kohle okay,
ein paar Monate Atomstrom nein? Das lässt sich nicht halten. Und warum
eigentlich keine sachfremden Kompromisse? Die gehören in jeder Koalition
dazu. Als Gegenleistung für eine begrenzte Laufzeitverängerung endlich ein
Tempolimit herauszuholen wäre durchaus ein akzeptabler Deal.
Für die ganze Gesellschaft, aber auch für die Grünen. Dann würde ein grüner
Albtraum kurz verlängert, aber ein grüner Wunschtraum wahr.
21 Jul 2022
## LINKS
[1] /Forderungen-nach-laengeren-AKW-Laufzeiten/!5865699
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## AUTOREN
Lukas Wallraff
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