# taz.de -- Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke: „Scheindebatte“ auf … | |
> Die FDP verschärft den Ton in der Atomkraft-Diskussion. Neben | |
> inhaltlichen Überlegungen könnte dahinter auch die schlechten | |
> Umfragewerte stecken. | |
Bild: Das Atomkraftwerk in Neckarwestheim | |
BERLIN taz | Welches Thema das Sommerloch im Jahr 2022 beherrschen wird? | |
Die [1][Debatte über die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke] ist | |
zumindest eine heiße Kandidatin. Seit Wochen ist sie im Gespräch, ein Ende | |
der Diskussion ist aber nicht in Sicht. Im Gegenteil: Innerhalb der Ampel | |
hat FDP-Fraktionschef Christian Dürr sie jetzt auf eine neue Stufe gehoben. | |
Der dpa sagte er am Dienstag, es wäre richtig, „die Laufzeiten der | |
Kernkraftwerke über den Winter hinaus zu verlängern“. | |
Kokettiert hatten die Liberalen angesichts der drohenden Gasknappheit zwar | |
schon zuvor mit der Atomkraft. Explizite Forderungen nach einer | |
Laufzeitverlängerung waren aber die Ausnahme. Vornehmlich hatte die FDP | |
bislang nur ergebnisoffene Gespräche über die Zukunft der drei verbliebenen | |
deutschen Atomkraftwerke erbeten. | |
Darüber konnten die Koalitionspartner, vor allem die traditionell | |
atomkraftkritischen Grünen, noch relativ einfach hinweggehen – mit Verweis | |
auf eine vorgeblich ebenfalls ergebnisoffene Prüfung, die Wirtschafts- und | |
Umweltministerium bereits im März durchgeführt hatten. Unmittelbar nach dem | |
russischen Überfall auf die Ukraine kamen die beiden grün-geführten Häuser | |
zu dem Ergebnis, dass der Versuch, russisches Gas durch Atomenergie zu | |
ersetzen, keinen Sinn ergebe. | |
Ein Hauptargument ist dabei, dass Erdgas in Deutschland in erster Linie zur | |
Wärmeerzeugung und in der Industrie eingesetzt wird. Bei der Stromerzeugung | |
spielt es nur eine Nebenrolle. Der Nutzen längerer AKW-Laufzeiten wäre | |
demnach minimal. In Abwägung mit Kosten, Aufwand und Risiken überwiegen | |
auch nach Ansicht vieler Expert*innen die Nachteile. | |
## Strategische Überlegungen | |
Warum die FDP die Debatte dennoch in die Koalition trägt? Abweichende | |
inhaltliche Einschätzungen mögen ein Grund sein, strategische Überlegungen | |
der andere. In Umfragen stagnieren die Liberalen weiter. Den Anschluss an | |
die Union, mit der sie um Wähler*innen konkurriert, will sie nicht | |
verlieren. | |
CDU und CSU haben das Atomkraft-Thema ebenfalls längst für sich entdeckt, | |
ließen einen entsprechenden Antrag in der vergangenen Woche im Bundestag | |
abstimmen und legten am Dienstag in der Bild-Zeitung nach. CDU-Chef | |
Friedrich Merz forderte in einem Gastbeitrag ebenfalls längere Laufzeiten | |
und schrieb an die Grünen adressiert: „Keine Denkverbote! Tut es für | |
Deutschland!“ | |
Das wiederum kann man als Versuch deuten, am neuen Image der Grünen zu | |
kratzen. Deren Umfrage-Hoch wird schließlich unter anderem damit begründet, | |
dass sie nicht dogmatisch an Prinzipien festhalten, sondern – etwa bei | |
Bundeswehr und Kohlestrom – pragmatisch auftreten. In der Atomfrage könnte | |
ihnen die Konkurrenz jetzt wieder den Ideologie-Stempel aufdrücken, zumal | |
sich in Umfragen mittlerweile eine Mehrheit der Deutschen für eine | |
Laufzeitverlängerung ausspricht. | |
## Keine Nervosität | |
Auf der anderen Seite könnte den Grünen gerade die Flexibilität bei anderen | |
Kernthemen jetzt Glaubwürdigkeit verschaffen: Wer grundsätzlich auch mal | |
mit Grundsätzen bricht, dem traut man eher zu, auch bei den Atomkraftwerken | |
anhand der Fakten entschieden zu haben – und nicht nur aus Angst vor der | |
eigenen Basis auf seiner Position zu beharren. | |
Nervös zeigen sich die Grünen am Dienstag zumindest nicht. Die neue | |
Forderung des FDP-Fraktionschefs lassen sie fürs Erste abblitzen. „Das ist | |
eine Phantomdebatte“, sagte am Dienstag Fraktionsvize Julia Verlinden der | |
taz. „Sie zieht nur Aufmerksamkeit ab von den wichtigen Themen.“ Zentral | |
sei es aktuell, beim Gasverbrauch zu sparen, unter anderem im | |
Gebäudesektor. Dafür werde jetzt jede Hilfe gebraucht. | |
Und auch die SPD rückt nicht vom Atom-Aus ab. Fraktionsvize Matthias | |
Miersch verweist auf ein Statement aus dem Juni, mit dem alles gesagt sei: | |
„Wir brauchen jetzt keine Scheindebatten“, [2][sagte in der taz damals auch | |
er]. | |
Eine Absage, die noch ein paar mal auf Wiedervorlage kommen könnte: Die | |
Gasfrage bleibt schließlich akut. Und die FDP hat sich auf ihre Antwort | |
ganz offensichtlich festgelegt. | |
12 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Laufzeitverlaengerung-von-Atomkraftwerken/!5859775 | |
[2] /Diskussion-um-Laufzeitverlaengerungen/!5862943 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Energieversorgung | |
Atomkraftwerk | |
Gasknappheit | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
Anti-Atom-Bewegung | |
Anti-Atom-Bewegung | |
AKW | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Grüne Berlin | |
EU-Taxonomie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Atomkraft-Ausstieg 2022: Grüne in der Atomkraft-Krise | |
Jahrzehnte haben die Grünen für ein Ende der Atomkraft gekämpft. Nun | |
stecken sie zwischen Kurzzeitverlängerung und dem Ausstieg vom Ausstieg | |
fest. | |
Längere Laufzeiten für Atomkraftwerke: Mehr Kompromisse wagen | |
Trotz Energiekrise schließen die Grünen längere Laufzeiten für | |
Atomkraftwerke aus. Doch ihre Prinzipientreue ist nicht souverän, sondern | |
stur. | |
Forderungen nach längeren AKW-Laufzeiten: Atomkraft löst Energiekrise nicht | |
Die Debatte um die Verlängerung der AKW-Laufzeiten schwelt weiter. Dabei | |
sollte auch der themenarmen FDP klar sein, dass Atomkraftwerke Teil des | |
Problems sind. | |
Streit über AKW-Laufzeiten: Neues von der Scheindebatte | |
Eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke wäre laut Experten wenig | |
lukrativ. Nach Druck aus der Opposition wollen die Grünen das trotzdem | |
prüfen. | |
Marode Meiler sorgen für hohe Preise: Frankreichs AKWs heizen Inflation an | |
Wegen Wartung und Pannen steht jeder zweite Reaktor in Frankreich still. | |
Das führt zu höheren Energiepreisen, nicht nur in Deutschland. | |
Streitgespräch über Klimapolitik: „2030 ist ambitioniert, ganz klar“ | |
Muss Berlin bis 2030 klimaneutral werden? Unbedingt, sagt die Initiative | |
Klimaneustart, die einen Volksentscheid anstrebt. Unmöglich, so die Grünen. | |
EU-Ökolabel für Atomkraft und Gas: Greenwashing statt Energiewende | |
Gas und Atomenergie als nachhaltig zu labeln, ist Unsinn, spielt aber für | |
die Energiewende keine Rolle. Investiert wird immer – wenn Profite winken. |