# taz.de -- Kaum Gas aus Norwegen und Katar: Ausweichländer sind am Limit | |
> Am Weltmarkt zusätzliches Gas zu finden, könnte für Deutschland zum | |
> Problem werden. Norwegen und Katar winken schon mal ab. | |
Bild: Offshore-Gasförderung an der Westküste Norwegens | |
STOCKHOLM taz | Karen Sund hat keine guten Nachrichten für Deutschland. | |
Wenn man hoffe, Gaslieferländer wie Norwegen – dem nach Russland und Katar | |
weltweit drittgrößten Gasproduzenten – könnten einen möglichen Totalausfa… | |
russischer Erdgaslieferungen auch nur ansatzweise ersetzen, dann hoffe man | |
vergebens, erklärte die Gasmarktexpertin am Wochenende [1][in der Osloer | |
Tageszeitung Aftenposten]. Und an den hohen Gaspreisen werde sich in den | |
kommenden drei bis vier Jahren auch nicht viel ändern. | |
Auch aus Katar kommen schlechte Nachrichten: Energieminister Saad Sherida | |
al-Kaabi berichtete in einem Interview mit dem Handelsblatt, die Produktion | |
des Landes sei bereits zu 100 Prozent verkauft, alles sei vertraglich | |
gebunden. Das „umlenkbare Volumen“ könnte lediglich etwa 10 bis 15 Prozent | |
betragen. | |
Auch Norwegens Regierungschef Jonas Gahr Støre erklärte bereits im Mai: Mit | |
rund 10 Milliarden Kubikmetern im Monat liefere Norwegen aktuell seine | |
„volle Produktionskapazität“. Fast die gesamte Menge wird exportiert: 5 | |
Prozent in Form von Flüssiggas, 95 Prozent durch die insgesamt 8.000 | |
Kilometer langen Pipelines nach Deutschland, Großbritannien, Belgien und | |
Frankreich. | |
Mit Inbetriebnahme der neuen Baltic Pipe nach Polen im Spätherbst kommt | |
zwar eine Leitungskapazität von jährlich bis zu 10 Milliarden Kubikmetern | |
hinzu. Doch deren Gas werde vorwiegend auf Kosten der anderen Pipelines | |
gehen. | |
## Verpresst | |
Im laufenden Jahr exportierte Norwegen bereits 5 Prozent mehr als im | |
Schnitt des Jahres 2021 – damals kamen knapp 24 Prozent der | |
EU-Erdgasimporte aus Norwegen und etwa 43 Prozent aus Russland. Zeitweise | |
ließe sich die Produktion laut dem staatlichen Energiekonzern Equinor | |
allenfalls um rund 1 Prozent steigern: Die Öl- und Gasförderung hängt auf | |
vielen Feldern in der Nordsee zusammen. Ein Teil des Gases muss dort zur | |
Ölförderung wieder in die Bohrlöcher verpresst werden. Diese Menge könne | |
man zur Erhöhung der Gasproduktion verringern, was dann aber wiederum die | |
Ölproduktion vermindern werde. | |
Auch Katar sei am Limit seiner Produktionsmöglichkeiten, sagt Thomas | |
O’Donnell, Experte für das globale Energiesystem, der taz. „Erst wenn sie | |
ein neues Gasfeld – das North Field vor der Küste Katars – entwickelt | |
haben, können sie zusätzliches Gas fördern.“ Damit könne aber erst in zwei | |
bis vier Jahren gerechnet werden. | |
Etwa 80 Prozent von Katars Gasexporten gehen nach Asien, gebunden in | |
langjährigen Verträgen. Bisher liefert Katar etwa 5 Prozent des gesamten | |
Gasbedarf Europas, das meiste davon nach Italien und Großbritannien, das | |
zeigen Daten des Finanzdienstleisters S&P Global. | |
## Spot auf den Spotmarkt | |
Nicht das gesamte Gas, dessen Bezahlung nach Katar fließt, wird künftig aus | |
Katar kommen. Gemeinsam mit dem US-Konzern Exxon Mobile entwickelt es | |
Golden Pass LNG, ein Verarbeitungs- und Exportterminal für US-Gas an der | |
texanischen Küste. Erdgas wird in den USA meist durch Fracking gewonnen – | |
ein Prozess, der wegen seiner hohen Umweltbelastung in der Kritik steht. | |
Aus diesem Projekt könne voraussichtlich ab 2024 Gas geliefert werden, | |
schreibt Golden Pass auf seiner Webseite. Es sei „für den europäischen | |
Markt prädestiniert“, so [2][al-Kaabi im Handelsblatt]. | |
Vor allem die USA böten Gas am sogenannten Spotmarkt an, also außerhalb | |
langjähriger Verträge, sagt O’Donnell. Dessen Preise sind aber sehr | |
wechselhaft und statt von vertraglichen Konditionen vor allem von Nachfrage | |
und Angebot abhängig. Am Weltmarkt zusätzliches Gas zu finden, ist eines | |
von zwei Probleme, denen sich Deutschland gegenübersieht: Man muss es auch | |
bezahlen zu können. | |
Eine kurzfristige Lösung können also weder Norwegen noch Katar anbieten. | |
Norwegen hat derzeit selbst ernste Energiesorgen. „Wir müssen uns auf einen | |
schweren Winter vorbereiten“, erklärte Støre am Montag. Nicht nur wegen der | |
europäischen Energiekrise – im Wasserkraftland Norwegen wird infolge | |
schneearmer Winter und der schlimmsten Trockenheit seit 140 Jahren das | |
Wasser knapp. Die Anfang der 2000er Jahre als Reservekapazität gebauten | |
Gaskraftwerke lohnten sich nicht und wurde schon vor Jahren stillgelegt und | |
teilweise wieder abgerissen. | |
Die Strompreise könnten „vollkommen durch die Decke gehen“, warnt | |
Energieminister Terje Aasland: Es könne sogar zu Stromknappheit und | |
Rationierungen kommen. Vor einigen Jahren gab es die Idee, Norwegen könne | |
eine europäische „Strombatterie“ werden. Nun braucht das Land jede | |
Kilowattstunde selbst. | |
21 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.aftenposten.no/verden/i/mrA4dL/frykt-for-gassmangel-i-europa-ty… | |
[2] https://www.handelsblatt.com/politik/international/interview-mit-saad-sheri… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
Lisa Schneider | |
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