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# taz.de -- Comics mit konsequent weiblichem Blick: Die Schönheit der vielen G…
> Geschichten über Sex, Gender und Identität: Erstmals gibt es alle
> Geschichten um Katrin de Vries' und Anke Feuchtenbergers Hure H in einem
> Band.
Bild: Fantastische hermetische Bilder: Die Hure und „der große moderne Mann�…
Fans wissen es schon lange: Wer die Hure H nicht kennt, verpasst [1][eine
der wichtigsten Comic-Protagonistinnen des späten 20. Jahrhunderts]. Klingt
hochgestochen? Ist es auch, aber das zu Recht! Zu Recht auch, dass die
Kunstfigur von Autorin Katrin de Vries und [2][Zeichnerin Anke
Feuchtenberger] jetzt mit einer Gesamtausgabe beim Reprodukt Verlag geehrt
wird.
Aber noch mal auf Anfang für die Uneingeweihten – wer ist die Hure H? Man
könnte vielleicht sagen: Die Hure H ist ein Wesen, das seinen
Leser:innen vielgestaltig entgegentritt. Mal fast nackt, mager und mit
Hasenohrmütze, mal mit Pagenkopf, Kleid und Bauch. Aber „Die Hure H“ ist
auch Titel einer Trilogie. Neun Geschichten sind es, die über den Zeitraum
von 1993 bis 2004 entstanden und in drei Einzelbänden erschienen sind.
Erstmals wurden sie nun gesammelt veröffentlicht.
Auf knapp 250 Seiten folgt man der Figur über neun Episoden hinweg in eine
Welt, die Ina Hartwig in der Frankfurter Rundschau mal [3][als „gezeichnete
Theoreme“ beschrieb], „in eine geradezu traumlogische Form gegossen“. Kna…
betitelt kommen die Episoden daher. „Die Wäsche“ heißt eine, „Das Fest�…
eine andere.
Erzählt wird aus einer weiblichen Perspektive. Anders als man vielleicht
denken könnte, handelt es sich bei „Die Hure H“ nicht um Berichte aus dem
Leben einer Sexarbeiterin.
## Schmerzenslaute und Blutgeruch
Welchen Beruf die Hure H ausübt, bleibt marginal, im inhaltlichen Zentrum
der Stories steht das Scheitern an vermeintlichen Schlüsselmomenten
heteronormativer Lebensentwürfe: Mal probiert die Hure H ein Brautkleid an,
aber „fühlt nichts“, mal nähert sie sich dem weinenden „Haus der Geburt…
aber Schmerzenslaute und Blutgeruch machen sie fliehen. Und überhaupt hat
sie ihre einzige positive sexuelle Erfahrung mit einer Frau, was sie
wiederum „verwirrt“ zurücklässt.
Dass es manchmal schwer fällt, die Hure H von Geschichte zu Geschichte
äußerlich wiederzuerkennen, liegt allerdings nicht am langen
Entstehungszeitraum des Zyklus, sondern ist Absicht. Ob man die
Vielgestaltigkeit der Figur nun als Vignette diverser weiblicher Biografien
oder als Infragestellung identitärer Kategorien verstehen soll, bleibt
offen.
Dominiert werden die Geschichten von der mal mehr, mal weniger direkten
Beschreibung eines dissoziativen Verhältnisses von Körper und Gefühl, von
gesellschaftlicher Erwartung und Realität. Auch formal wird dieses
Verhältnis spürbar. Paradoxerweise verhalten Text und Bild sich dabei
derart symbiotisch, dass eine interessante Reibung hinsichtlich der Distanz
zwischen Hure H und den Umwelten entsteht, durch die sie sich bewegt.
Im besten Sinne umständlich ist die Sprache von Katrin de Vries, die
Konventionelles seltsam gestelzt von einer unklaren
Sprecher:innenposition aus formuliert. Da fallen Sätze wie: „Einige
Frauen und Männer bewegen sich nach den Regeln des Tanzes.“ Oder es gibt
solche, die fast schon neurotisch wirken und zugleich von einem gekonnten
Einsatz sprachlicher Wiederholung zeugen: „Ich suche jemanden, ich muss ihn
ein wenig suchen gehen.“ Überhaupt ist die Hure H ziemlich oft auf der
Suche beziehungsweise auf dem Weg zu Ereignissen, die mitunter ziemlich
traumatisch sind.
## Projekt mit stabiler Fanbase
Unterwegs ist sie dabei meistens alleine, wenn ihr auch hier und da
groteske Gestalten und verzerrte Alter Egos begegnen, von denen
Feuchtenbergers phantastische wie hermetische Bilder erzählen. Auf jeder
Seite zwei Panels in Grauschattierungen, die mal ins Sepiafarbene kippen,
mal ins Grünliche und in ihren monochromen Ausformulierungen eigene
Perspektiven und Zeitlichkeiten hervorbringen. Darin kann man sich als
Leser:in leicht verlieren und fremdelt in dieser Erfahrung vielleicht ein
bisschen weniger mit der stets etwas entrückt wirkenden Protagonistin.
Aber Vorsicht, wem das jetzt zu kompliziert klingt! Denn dafür, dass wir es
bei der Hure H mit einem Projekt zu tun haben, das in seiner schlauen
Vertracktheit jedes „bemerkenswert“ schnöde klingen lässt, spricht neben
der stabilen Fanbase, die mit Erscheinen der Gesamtausgabe hoffentlich noch
mehr verdienten Zulauf findet, auch Feuchtenbergers Renommee.
Während sie bei Entstehung der frühen Hure-H-Geschichten noch recht am
Anfang ihrer Karriere stand, ist sie mittlerweile Künstlerin von
internationaler Bekanntheit und in verschiedensten Kontexten tätig.
2020 gestaltete sie beispielsweise den riesigen graphischen Altar
[4][„Tracht und Bleiche“ für das LWL-Museum Münster]. Außerdem gründete…
leitete sie einen eigenen Verlag, den Mami Verlag, in dem auch „Die Hure H“
zeitweise erschien. Seit 1997 ist Feuchtenberger an der Hamburger
Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) tätig und wird dort als
Dozentin ebenso geschätzt wie als Künstlerin. Aus ihre Klassen gehen neue
Generationen von Comic-Zeichner:innen hervor, von denen einige mittlerweile
selbst bekannt sind, wie [5][Birgit Weyhe] oder [6][Marijpol].
Kein Wunder also, dass Feuchtenberger – Jahrgang 1963 und eigentlich
ausgebildete Grafikdesignerin – vor zwei Jahren mit dem
Max-und-Moritz-Preis für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde, der
wichtigsten Auszeichnung für graphische Literatur und Comic-Kunst im
deutschsprachigen Raum.
## Genuin feministisch
In der Laudatio heißt es über Feuchtenbergers Anfänge im Berlin der
1980er-Jahre: „Und Frauen, immer mehr Frauen drangen in eine Szene, in der
bislang eher die Jünglingsfantasien dominiert hatten. … Und mittendrin, oft
auch vorneweg, stand Anke Feuchtenberger mit Werken wie ‚Mutterkuchen‘,
‚Somnambule‘ ‚Das Haus‘, ‚Der Palast‘, ‚Die Hure H‘ …“
Insofern ist „Die Hure H“ nicht nur thematisch ein genuin feministisches
Projekt, sondern ist auch in puncto feministischer Comic-Geschichte
wegweisend.
Der Band liest sich mit großem Gewinn und lässt nicht nur das Können der
Autorinnen glänzen, sondern auch die Hure H als Anti-Allegorie
hervortreten. Also als eine, die für vermeintlich „typisch weibliche“
Erfahrungen steht und diese zugleich auseinandernimmt. Als eine, die sich
den ersten Buchstaben eines Begriffs als Namen angeeignet hat, der Frauen,
deren Lebensweise nicht der Norm entsprach, immer schon denunzieren sollte.
Bleibt nur noch die Frage, ob es irgendwann noch einmal weitergeht mit der
Hure H. Fast wäre man versucht, sich ein Sequel zu wünschen.
9 Jul 2022
## LINKS
[1] /!1427794/
[2] /!1384458
[3] https://www.perlentaucher.de/buch/anke-feuchtenberger-katrin-de-vries/die-h…
[4] https://www.ankefeuchtenberger.de/tracht-und-bleiche/
[5] /Comic-Rude-Girl-von-Birgit-Weyhe/!5840690
[6] /Graphic-Novel/!5069662
## AUTOREN
Eva Königshofen
## TAGS
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