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# taz.de -- Comics: Neue deutsche Novelle
> Hamburg ist die heimliche Hauptstadt des Comics: Die Szene an der Elbe
> arbeitet hart und hat mit Anke Feuchtenberger eine inspirierende
> Hochschulprofessorin. Wie gut die Hamburger Zeichner sind, ist ab
> Donnerstag beim internationalen Comic-Festival Hamburg zu sehen.
Bild: Menschliche Tiere: Torben Petrinas "Amselpost".
Hamburg taz | Die Zeit gezeichneter Kurzgeschichtchen ist vorbei, selbst im
popkulturell gern spät zündenden Deutschland. Es lebe die große Erzählung!
Dafür reichen schon zwei Schritte abwärts in den gemütlichen Laden „Strips
& Stories“ auf dem Hamburger Kiez.
Zu Hunderten, wohl Tausenden stehen sie hier dicht gedrängt in Regalen,
liegen fein säuberlich auf Tischen, zieren schicke Aufsteller zwischendrin:
Comics. Aber nicht bloß Klassiker von Hergé über Disney bis Uderzo. Nein:
neue Comics, frische Comics, lange Comics, oft epische Comics.
Bei „Strips & Stories“ findet man ersteres kaum, dafür umso mehr von
Letzterem. Nur dass die „Stories“ nun „Graphic Novels“ heißen: Romane …
Bildform statt Bildgeschichten mit Rahmenhandlung.
Fast vier Jahrzehnte nach dem Aufkommen des Begriffs und knappe drei nach
Art Spiegelmans epochaler Holocaust-Fabel „Maus“ gelten die betexteten
Illustrationen als Heilsbringer einer Subkultur auf dem Weg Richtung
Mainstream. Die amerikanische Klammer verhelfe seiner Branche schließlich
durchaus zu Popularität, sagt auch Sascha Hommer inmitten der pittoresken
Bilderwelt nahe der Reeperbahn. Doch sein gequältes Lächeln deutet ein
großes „Aber“ an: „Graphic Novel sagt über den Stil rein gar nichts aus…
Was es im Riesenreich der Bandes Dessinées, wie Comics im frankophonen
Kerngebiet heißen, darüber hinaus noch zu entdecken gibt, in welchem Ausmaß
auch hiesige Werke gegenüber der französischen bis belgischen Elite langsam
aufholen, wohin die gezeichnete Reise derzeit geht – all dies will der
versierte Comiczeichner ab diesem Wochenende abermals unters Publikum
bringen.
Vor sieben Jahren hat der gebürtige Schwarzwälder mit dem Kunstkollegen
Heiner Fischer das „Comic Festival Hamburg“ gegründet, eine Plattform von
Künstlern für Künstler und ihr stetig wachsendes Abnehmerfeld, wie der
34-Jährige mit der modernen Groß(-stadt-)brille betont. „Bei uns stehen
nicht die Verlage im Zentrum wie auf den Großveranstaltungen von Erlangen
oder München“, sagt er, „sondern unser eigener Geschmack, unsere
Leidenschaft.“ Und natürlich die Leser.
Denen wird ab Donnerstag im Großraum St. Pauli der ganze Kosmos globalen
Comic-Schaffens präsentiert. Es gibt Workshops und Ausstellungen, Symposien
und Gespräche, Filme, die obligatorische Abschiedsparty und selbstredend
viel zu kaufen. Comics sind schließlich auch ein Geschäft. Vor allem aber,
beteuert der Verleger, Verfasser und Fan in Personalunion, ist es eine
kreative Ausdrucksform, die längst mehr ist als die Summe ihrer „Panel“
genannten Einzelbilder.
Um das zu zeigen, hat sich Sascha Hommers Festival zudem Zeichner von
grenzübergreifendem Ruf eingeladen, genauer: Zeichnerinnen. Dass mit Rutu
Modan aus Israel, der Französin Peggy Adam und ihrer kanadischen Kollegin
Geneviève Castrée drei international angesehene Autorinnen ihre neuesten
Werke in Hamburg vorstellen, belegt dabei zweierlei: Die Szene hat sich von
den Wurzeln männlicher Zeichner für männliche Nerds gelöst. Und Hamburg
kann trotz des anhaltenden Braindrains arrivierter Künstler nach Berlin
seinen Ruf als heimliche Hauptstadt des Comics bewahren. Und das liegt auch
an Anke Feuchtenberger.
Die Design-Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften gilt
seit den 90er-Jahren als zentrale Figur der örtlichen Gemeinde. Mit ihrem
artifiziellen, zuweilen als spezifisch deutsch bezeichneten Zeichenstil
jenseits klarer Figürlichkeit hat die 50-Jährige Ost-Berlinerin eine ganze
Generation junger Künstler beeinflusst, darunter Sascha Hommer selbst.
Der nennt allerdings noch einen anderen Grund, warum Hamburg nach wie vor
bedeutsam ist für die deutsche Comic-Landschaft: Ein „fast calvinistisches
Arbeitsethos“ sorge dafür, dass viele seiner Kollegen „wie im Hamsterrad
produzieren“, also aufopferungsvoll zeichnen, bis die Finger bluten. „Das
kommt dieser aufwendigen Kunstform sehr entgegen.“
Kein Wunder, dass sich auch Hommer selbst und seine zehn Mitstreitenden im
Hamsterrad ihres aktuellen Projekts aufopfern. Ehrenamtlich haben sie dem
einstigen No-Budget-Festival einen Etat verschafft und verglichen mit den
Vorjahren auch deutlich mehr Programm. In Vorbereitung auf die vier
Haupttage am kommenden Wochenende gibt es breit gestreute
Zusatzveranstaltungen, „Satelliten“ genannt, Anlaufpunkte für Interessierte
aller Art, um Comic-Kultur 2013 in all ihren Facetten zu erleben.
Im Mittelpunkt aber stehen dennoch die drei, nun ja: Stars des
literarischen Independent, der es zwar längst auf die Kulturseiten von
Süddeutsche und Zeit schafft, aber selbst als zugkräftige „Graphic Novel“
noch immer eine Randexistenz im Schatten des geschriebenen Romans führt.
Peggy Adam etwa spricht über ihr schwarzweißes Drama „Luchadoras“, in dem
es zu grob verfremdeten Bildern um ganz reale Männergewalt gegen
mexikanische Frauen geht. Ruto Modan erklärt ihre schattenlos kolorierte
Holocaustaufarbeitung „Das Erbe“, was ihr etwas leichter fallen dürfte als
Geneviève Castrée, deren autobiografische Familienstory mit abstraktem
Strich mehr Fragen offen lässt als beantwortet.
Es sind Stoffe zwischen harter Historie, soziokulturellem Irrsinn und
bildgewaltigen Tagträumen. Eine Mischung, die auch das Festival, ja die
Comicszene insgesamt kennzeichnet. Geschichtchen waren gestern.
## Comic-Festival Hamburg: 3. bis 6. Oktober. Programm unter
29 Sep 2013
## AUTOREN
Jan Freitag
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