# taz.de -- Interview mit Schriftsteller Najem Wali: Gabbai wollte nie nach Isr… | |
> Ein neues Gesetz in Irak will Kontakte mit Israelis verbieten. Sogar die | |
> Todesstrafe droht. Autor Najem Wali reiste dennoch gerade nach Israel. | |
Bild: Najem Wali bei seinem Aufenthalt im Juni in Israel | |
Ende Mai hat das irakische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Kontakte | |
zu Israelis unter Strafe stellt. Menschen mit Verbindungen zu Israel können | |
mit lebenslanger Haft oder gar dem Tod bedroht werden. Die taz hat den in | |
Berlin lebenden irakischen Schriftsteller Najem Wali bei einer Lesung in | |
Israel getroffen und befragt. | |
taz am wochenende: Herr Wali, kurz nachdem das neue Gesetz im Irak das | |
Parlament passiert hat, sitzen wir hier im Norden Israels bei einer | |
Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen. Sind Sie aus Trotz | |
angereist? | |
Najem Wali: Es ist die beste Antwort auf dieses Gesetz. | |
Sie leben überwiegend in Berlin. Müssen Sie jetzt mit negativen Folgen | |
rechnen, wenn sie Ihre alte Heimat besuchen und in den Irak reisen? | |
Ich muss auf jeden Fall genau überlegen, ob ich den Irak besuche. Ich habe | |
zwar einen deutschen Pass und keinen irakischen mehr, aber die irakische | |
Bevölkerung sieht mich als Iraker. Ich bin als Schriftsteller und Kritiker | |
der Regierungspolitik bekannt und habe dort genügend Feinde. Das Gesetz ist | |
aber noch nicht ganz durch. Es wurde vom Parlament verabschiedet, muss aber | |
noch vom Präsidenten unterzeichnet werden. Gefährlich ist aber die durch | |
das Gesetz losgetretene Hetze auf den Straßen. | |
Was meinen Sie damit? | |
Ich hatte auch zuvor oft Angst, in den Irak zu fahren. Jetzt dürfte es noch | |
wesentlich gefährlicher sein. Schon 2019 wurde ich indirekt im Irak als | |
„Mossadagent“ und negativ als „Normalisierer“ bezeichnet. Ich saß auf | |
dieser Reise damals im Café mit Freunden zusammen. Es gab eine Diskussion | |
mit einem anderen, wenig bekannten Dichter. Es gab Streit. | |
Und dann? | |
Hinterher beschwerte er sich und schrieb meinen irakischen Freunden: „Ihr | |
sitzt mit einem Israelagenten zusammen.“ Sie haben mir das gezeigt. Ich | |
hatte Glück, weil sie auch kritische Menschen sind. Aber so eine | |
Denunziation kann schnell ernste Folgen haben. Im Irak hat jede Partei ihre | |
eigene Miliz, ihr eigenes Gericht und Gefängnis. Was man aber auch sagen | |
muss: Gerade viele junge Leute machen sich über dieses antiisraelische | |
Gesetz jetzt lustig. Sie posten Witze dazu auf Facebook. | |
Was bezweckt das Parlament mit dem Gesetz? | |
Der Irak ist ein Schlachtfeld der Stellvertreterkriege. Die Emirate haben | |
hier ihre Leute, die Katarer, die Türken, Saudi-Arabien, die Amerikaner – | |
und dann sind da die Iraner. Das irakische Gesetz ist Irans Antwort an | |
alle, die wie einige Golfstaaten eine Normalisierung mit Israel wünschen. | |
Iran will dies um jeden Preis verhindern. Im Irak wurde Parlamentspräsident | |
Mohamed al-Halbusi, der an der Seite der Vereinigten Arabischen Staaten | |
steht, vorgeworfen, für eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel zu | |
sein. Durch das Gesetz versucht er nun, diese Vorwürfe abzuschütteln. | |
Israel ist immer ein Instrument, um Politik zu machen. | |
Wofür dient Israel als Instrument? | |
Schauen Sie, es hat gerade 50 Grad Hitze im Irak. Doch seit 2003 gibt es | |
kein vernünftig funktionierendes Elektrizitätsnetz mehr. Der Strom fällt | |
stundenlang aus und damit auch die Klimaanlagen. Statt für solche | |
Missstände Verantwortung zu übernehmen, stellt man den Kampf gegen einen | |
äußeren angeblichen „Feind“ an erste Stelle. Israel wird dafür immer | |
funktionalisiert, auch von den Ländern, die gerade Normalisierungsabkommen | |
geschlossen haben. Denen geht es weniger um Frieden mit Israel als | |
geopolitisch um die Frontstellung mit Iran. Frieden darf nicht taktisch | |
gemeint sein, er muss auch von Herzen kommen. Sonst [1][klappt es auch | |
nicht wirklich, wie man in Ägypten] und Jordanien sehen kann … | |
Bislang hält der Frieden doch … | |
Er ist wie ein sehr alter Mensch und kann jeden Tag sterben. Das ist nicht | |
mein Satz, der stammt (hier etwas abgewandelt) von Heinrich Heine. Auf der | |
Straße in Ägypten redet man nicht mit Begeisterung von Israel. Für mich ist | |
Frieden eine Haltung. Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Kultur, Literatur, | |
Wirtschaft, Austausch von Studierenden. | |
Wie kommt es, dass Sie nach Israel reisen? | |
2007 wurde ich zu einer Konferenz an die Universität Haifa eingeladen. Ich | |
war neugierig. Länder wie Irak und Ägypten haben eine Geschichte von 7.000 | |
Jahren. Aber sie haben es bis heute nicht geschafft, einen funktionierenden | |
Staat zu errichten. Und dann ist da dieser kleine Staat Israel, wohin | |
Menschen aus aller Welt kommen, und der funktioniert für sie. Für die Juden | |
zumindest. Für die Palästinenser:innen nicht, das gebe ich zu. Aber | |
dieses Thema war nicht mein Anliegen. Ich lebe als Deutschiraker in | |
Deutschland, auch hier sind wir nicht immer Bürger erster Klasse, aber das | |
ist eine andere Geschichte. Über meine damalige Reise habe ich das Buch | |
„Reise in das Herz des Feindes“ geschrieben. Es ist Dawud Gabbai gewidmet. | |
Er war jüdischer Kinderarzt im Irak und hat mir einmal das Leben gerettet. | |
Ich hatte als Kind Petroleum getrunken, weil ich es mit Schnaps verwechselt | |
hatte. | |
Doktor Gabbai war ein irakischer Jude? | |
Gabbai wollte nie nach Israel, aber 1969 wurde er von Saddam Husseins | |
Regierung verhaftet, die damals einige der noch im Irak verbliebenen Juden | |
unter dem Vorwurf der Spionage für Israel öffentlich hinrichtete. Danach | |
ist er verschwunden. Ich hatte gehofft, ihn in Israel wiederzusehen. Doch | |
konnte ich nur noch seinen Sohn auffinden. Gabbai war drei Monate vor | |
meiner Reise in London gestorben. | |
Ihr Buch „Reise in das Herz des Feindes“ wurde bis heute nicht auf Arabisch | |
veröffentlicht. | |
Nein. Immerhin konnte ich ein paar Auszüge daraus in Zeitungen und | |
Zeitschriften unterbringen, sogar im Irak. Nach meiner Israelreise hatte | |
ich auch Schwierigkeiten, meine folgenden Romane auf Arabisch zu | |
veröffentlichen. Ein Verlag hatte 2008 für meinen Roman „Engel des Südens�… | |
schon zugesagt und sprang dann wieder ab. Stattdessen ist der Roman dann | |
erst einmal in deutscher Übersetzung bei Hanser erschienen. Einige Verlage | |
haben es nach und nach trotzdem gewagt. | |
Es gibt eine emotional geführte Diskussion über die Frage, ob es 1948 eine | |
von jüdischer Seite geplante Vertreibung von Palästinenser:innen gab. | |
Was sagen Sie dazu? | |
Ich würde es nicht ausschließen. [2][Aber als Deutschiraker geht es mir | |
mehr darum, auf arabischer Seite Kritik zu üben.] Und ich finde, da werden | |
bei den Diskussionen über 1948 wichtige Dinge übersehen. In der Zeit des | |
Kriegs gab es den UNO-Teilungsplan. Die arabischen Länder haben ihn | |
abgelehnt. Alle Regierungen waren damals entweder unter britischem oder | |
französischem Mandat. Die Ablehnung war also keine rein autonome | |
Entscheidung. | |
Die britische Mandatsregierung im Irak hat arme Soldaten in den Krieg | |
geschickt, mit wenig Munition. Man könnte sagen, sie wurden reingelegt. | |
Diese Kritik an den Mandatsmächten bleibt aber außen vor. Man spricht von | |
den arabischen Regierungen, als wären sie damals unabhängig und frei | |
gewesen. Als hätten dahinter nicht andere Interessen gestanden. Einzig die | |
kommunistischen Parteien und die arabische Linke haben damals den | |
Teilungsplan unterstützt. Die kommunistischen Parteien Palästinas und | |
Jordaniens etwa. | |
Das taten sie? | |
Ja, weil die Sowjetunion ihn unterstützte. Deshalb hat man die Kommunisten | |
in den arabischen Ländern als Verräter bezeichnet, als Israelagenten. Bis | |
in die 1980er Jahre war in den meisten kommunistischen arabischen Parteien | |
eine Anerkennung Israels und die Vorstellung von einer Zweistaatenlösung | |
eine Selbstverständlichkeit. | |
Sie thematisieren auch, wie es den Juden in arabischen Ländern erging. | |
Als der Krieg um Israel 1948 ausgebrochen ist, waren die Juden im Irak etwa | |
in keiner beneidenswerten Situation. Man hat sie verantwortlich gemacht für | |
das, was in Palästina geschah. Dabei hatten sie nichts damit zu tun. Sie | |
waren Bürger des irakischen Staats. Die meisten mussten danach den Irak | |
verlassen. Wissen Sie, wir – Juden und Araber – können nur Frieden | |
erreichen, wenn Selbstkritik auf beiden Seiten geübt wird. Es hilft nicht, | |
wenn eine Seite ständig das Opfer spielt. | |
Davon sind wir weit entfernt. | |
Ich weiß. Aber eine Kritik an Israel muss auch eine an der Hamas und dem | |
Islamischen Dschihad miteinbeziehen. Mein Punkt wäre der: Palästina wird | |
von unseren Machthabern fortwährend instrumentalisiert. Von dem syrischen | |
Diktator Hafez al-Assad, wie jetzt von seinem Sohn und Nachfolger Baschar | |
al-Assad. Als Saddam Hussein Iran überfallen hat, sagte er: Der Weg nach | |
Jerusalem führt über Abadan, das iranische Zentrum der Ölindustrie am | |
Persischen Golf. Als man Saddam aufforderte, sich aus Kuwait zurückziehen, | |
erwiderte er: Wenn Israel sich aus dem Westjordanland zurückzieht. | |
Was hat das eine mit dem anderen zu tun? | |
Eben: Nichts. Palästina, Israel muss immer als Rechtfertigung für andere | |
Ungerechtigkeiten herhalten. Das ist auf der Seite arabischer Machthaber | |
aber pure Heuchelei. | |
3 Jul 2022 | |
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Judith Poppe | |
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