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# taz.de -- G7-Gipfel in Elmau: Hunger, Krieg und Klimakrise
> Auf der Agenda des G7-Gipfels stehen drei Topthemen: Hunger, Krieg und
> Klimakrise. Alle sind befeuert durch Russlands Krieg in der Ukraine.
Bei Inflationsraten um die 8 Prozent ächzen viele Menschen in den
westlichen Industrieländern unter den gestiegenen Energie- und
Lebensmittelpreisen. Doch das ist nichts im Vergleich zu dem, was die
Länder des Globalen Südens derzeit schon erleben – und was auf sie in den
kommenden Wochen noch zukommt.
Denn bei ihnen haben sich die Getreidepreise zum Teil verdoppelt und
verdreifacht. Und während es für die meisten Familien hierzulande um eine
Mehrbelastung von einigen hundert Euro im Monat geht, geht es bei den
Menschen in den armen Ländern um deren nackte Existenz.
In Äthiopien, Nigeria, Afghanistan, Somalia, im Südsudan, Jemen und in
weiteren Ländern vor allem in Afrika stehen laut dem Welternährungsprogramm
rund 50 Millionen Menschen kurz vor einer Hungersnot, 750.000 Menschen
droht gar der Hungertod – sollte Hilfe der reichen Länder ausbleiben. Die
G7-Staaten sind alarmiert. Die Bundesregierung als Gastgeberin hat
zugesagt, Hungerkrise und die weltweit steigenden Lebensmittelpreise in
Elmau zum Thema zu machen.
Dürren im Zuge des Klimawandels und Lieferengpässe beim Exportweltmeister
China aufgrund der harten Coronalockdowns haben schon vor Russlands
Angriffskrieg auf die Ukraine dazu geführt, dass die
Nahrungsmittelsicherheit in vielen Teilen der Welt nicht mehr gewährleistet
werden konnte. Der Krieg hat die weltweite Lage aber noch mal extrem
verschärft. Denn die Ukraine und Russland waren bis Kriegsbeginn die
größten Weizenlieferanten weltweit, sie deckten knapp ein Drittel des
globalen Bedarfs.
Doch Russland blockiert die ukrainischen Häfen und damit die Ausfuhr von
landwirtschaftlichen Produkten über das Schwarze Meer. Die Vereinten
Nationen rechnen daher damit, dass in den nächsten Monaten weltweit 1,4
Milliarden Menschen von Nahrungsmittelknappheit betroffen sein werden.
Die G7-Entwicklungsminister hatten sich bereits im Mai gemeinsam mit der
Weltbank getroffen, um ein Hilfsprogramm aufzulegen. „Völlig unklar ist
bislang, wie es konkret agieren wird“, bemängelt jedoch Fiona Uellendahl
von der Entwicklungsorganisation World Vision Deutschland. Weder die
finanzielle Unterfütterung sei geklärt, noch die Umsetzung. Mehrere
Milliarden US-Dollar an neuem Geld müssten nach Ansicht der Organisation
Global Citizen kurzfristig zur Bekämpfung der Hungerkrise von den
Industrieländern bereitgestellt werden. Doch bislang blieben auch da die
Zusagen aus.
Uellendahl fordert, dass die Zivilgesellschaft und gerade arme Länder
dringend eingebunden werden müssten. Sie seien schließlich am stärksten
betroffen. Aber auch diese Einbindung sei von den Regierungen der
G7-Staaten bislang ausgeblieben. „Soforthilfe allein reicht nicht aus, um
diese Krise zu beenden“, sagt Uellendahl und fordert einen Umbau der
Ernährungssysteme. „Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im Globalen Süden
müssten viel stärker gefördert werden, und sie müssten einen gerechten
Marktzugang erhalten.“
## Der Krieg in der Ukraine
Als sich die Außenminister*innen der G7 im Mai zu einem Vorab-Gipfel
an der Ostsee trafen, ließen sie keine Zweifel, auf wessen Seite sie im
Ukrainekrieg stehen. „Wir sind standhaft in unserer Solidarität mit und
unserer Unterstützung für die Ukraine“, hieß es in der Abschlusserklärung.
Waffen wolle man im Zweifel über Jahre liefern: „Wir werden unsere laufende
Militär- und Verteidigungshilfe für die Ukraine so lange wie nötig
fortsetzen.“
Überraschend ist diese Einigkeit nicht. Man ist schließlich unter sich,
seit Russland nach der Krim-Annexion 2014 aus der damaligen G8
ausgeschlossen wurde. Sechs der verbliebenen Mitglieder sind Nato-Staaten.
Der siebte in der Runde, Japan, unterstützt die Ukraine ebenfalls, liefert
militärische Ausrüstung und hat sich den Sanktionen gegen Russland
angeschlossen.
Weiteren Gesprächsbedarf gibt es auf dem Gipfel trotzdem. Am Montag wird
der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski per Video zugeschaltet. Thema
wird unter anderem die Wiederaufbauhilfe sein. Bundeskanzler Olaf Scholz
sprach in seiner Regierungserklärung im Bundestag am Mittwoch von einem
„Marshallplan für einen Wiederaufbau“.
Bisher zugesagte Mittel würden nicht ausreichen, es seien „über Jahre
hinweg“ weitere Milliarden nötig. Wer alles bezahlt, wofür das Geld
eingesetzt wird und wer darüber entscheidet – all diese Fragen sind zu
klären. Die G7-Staaten werden ein solches Programm aber nicht allein ohne
Institutionen wie EU, Weltbank und Internationalen Währungsfonds tragen;
ein abschließender Beschluss ist auf Schloss Elmau also nicht zu erwarten.
Daneben geht es auch um die Russland-Sanktionen. Aus der Bundesregierung
heißt es, man schätze die bisherigen Maßnahmen als sehr wirksam ein, im
Detail gebe es trotzdem noch viel zu tun – beispielsweise beim von der EU
vorangetriebenen Verbot, Versicherungen für Tankschiffe anzubieten, die
russisches Öl transportieren.
Die USA werden wohl noch weiter reichende Sanktionen vorschlagen.
Präsidentenberater John Kirby nannte am Donnerstag als Ziel für den Gipfel,
„Russland weiter von der Weltwirtschaft zu isolieren“. Gleichzeitig
kündigte er weitere Waffenlieferungen an. Zu dem neuen US-Paket im Wert von
umgerechnet über 400 Millionen Euro gehören Mehrfachraketenwerfer und
Patrouillenboote.
Auf dem G7-Gipfel werden die Staats- und Regierungschefs auch um dieses
Thema nicht ganz herum kommen, Entscheidungen zu militärischen Fragen
fallen aber eher an anderer Stelle: Was Waffenlieferungen angeht, ist vor
allem das Treffen des von den USA initiierten „Ramstein-Forum“ (in dem über
40 Staaten ihre Lieferungen koordinieren) wichtig. Was die anderen Punkte
angeht, ist der Nato-Gipfel gefragt, der kommende Woche direkt nach G7 in
Madrid stattfindet.
Das Bündnis wird dort ein neues strategisches Konzept beschließen. Von
einer potenziellen Partnerschaft mit Russland wird darin dann anders als im
letzten Konzept aus dem Jahr 2010 wohl nicht mehr die Rede sein.
## Die Klimakrise wartet nicht
Mit nur sieben Verhandlungspartnern bekommt man mehr hin als mit 195 – das
ist die Idee des Klima-Clubs, den Olaf Scholz auf dem G7-Gipfel anstoßen
will. Bei der Zusammenarbeit der Vereinten Nationen beim Klimaschutz ist
immer Einstimmigkeit aller fast 200 Länder nötig, das macht den Prozess
langsam und die Ergebnisse oft schwach. „Wir wollen nicht weniger als einen
Paradigmenwechsel in der internationalen Klimapolitik: Indem wir nicht
länger auf die Langsamsten und Unambitioniertesten warten, sondern mit
gutem Beispiel vorangehen“, sagte Scholz dazu im Januar auf dem
Weltwirtschaftsforum über seine Pläne.
Nun muss man dazu sagen, die G7 als Industrieländer sind
Treibhausgas-Schwergewichte und als solche nicht unbedingt
Klimaschutzvorbilder. So verursacht eine Person in Deutschland laut
Umweltbundesamt pro Jahr immer noch viermal so viel CO2 wie etwa eine in
Indien.
Der Klima-Club soll ein großes verhandlungstechnisches Problem aushebeln:
die Trittbrettfahrerei. Vom Weltklima kann man kein Land ausschließen, auch
wenn es sich nicht ausreichend am Klimaschutz beteiligt, was die
Gesamtmoral nicht steigert. Bei einem Club, der seinen Mitgliedern
exklusive Vorzüge wie finanzielle und technologische Zusammenarbeit bietet,
geht das hingegen sehr wohl.
Olaf Scholz hat bisher drei Kriterien genannt, die ihm für seinen
Klima-Club vorschweben: das Versprechen, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten und
bis spätestens 2050 klimaneutral zu werden; „schnelles Handeln“, zum
Beispiel durch eine CO2-Bepreisung; Einhaltung der Regeln der
Welthandelsorganisation (WHO) und Bereitschaft zur Kooperation mit anderen
Ländern.
Diese Ziele sind nicht übermäßig ambitioniert. Schließlich ist auch im
Paris-Abkommen von 2015 schon die Rede davon, Anstrengungen zu unternehmen,
die Erderhitzung bei 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu
begrenzen. Und was als schnelles Handeln zählt, ist durchaus relativ.
Klimaschützer:innen warnen, dass der Club eine bloße
Interessenvertretung reicher Länder werden könnte. Sie drängen darauf, dass
die G7 die sogenannte Klimafinanzierung voranbringt. Die Industrieländer
haben sich verpflichtet, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für
Klimaschutz und Klimaanpassung in armen Ländern bereitzustellen. Bislang
sind die Zahlungen weit niedriger.
Gipfelbeobachter:innen warnen zudem, dass Deutschland ein weiteres
Versprechen abschwächen könnte: Nämlich das, nach 2022 keine fossilen
Energieprojekte mehr in anderen Ländern zu finanzieren. Hintergrund seien
die Bemühungen, Alternativen zu russischem Gas zu finden.
„Die G7-Staaten haben eine riesige Verantwortung, die globale
Energiewende voranzutreiben“, sagt Rachel Cleetus von der Union of
Concerned Scientists. „Sie sollten den ungerechten Krieg in der Ukraine
nicht benutzen, um die Nutzung fossiler Kraftstoffe zu intensivieren und
globale Klimaziele in Gefahr zu bringen.“
25 Jun 2022
## AUTOREN
Felix Lee
Tobias Schulze
Susanne Schwarz
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