| # taz.de -- Förderung erneuerbarer Energien: Fließgewässer nutzen! | |
| > Die Bundesregierung will der Kleinwasserkraft die Förderung streichen. | |
| > Der älteste Ökostrom, von dem die Energiewende ausging, steht vor dem | |
| > Aus. | |
| Bild: Ein Stück Industriegeschichte: Blick auf das Ruhrviadukt und das Wasserk… | |
| Es ist – wie so vieles – eine Frage der Abwägung. Auf der einen Seite steht | |
| die CO2-neutrale Erzeugung von jährlich 3 Milliarden Kilowattstunden Strom | |
| aus kleinen Wasserkraftwerken. Wertvoller Strom, gerade heute. Auf der | |
| anderen Seite sind Bauwerke immer [1][ein Eingriff in die Natur]. So hat | |
| auch jede Anlage an und in einem Fließgewässer zwangsläufig Auswirkungen | |
| auf die Ökologie. | |
| Ökologische Abwägungen sind oft nicht trivial. Deshalb führte man lange | |
| Zeit Debatten über fachliche Details der Wasserkraft. Darüber, wie gute | |
| Konzepte aussehen. Wie klimafreundlich erzeugter Strom mit der | |
| Gewässerökologie zusammenfindet. So brachte man durch Auflagen | |
| Wasserkraftbetreiber dazu, den ökologischen Zustand an ihren Standorten zu | |
| verbessern. | |
| Solche differenzierten Sachdiskussionen will die Bundesregierung jetzt | |
| beenden – mit der radikalsten aller Lösungen, nämlich dem grundsätzlichen | |
| Ende der sogenannten Kleinwasserkraft. Für Anlagen bis 500 Kilowatt soll es | |
| künftig keine Einspeisevergütung mehr geben. | |
| Damit will die Bundesregierung ausgerechnet die älteste aller erneuerbaren | |
| Energien im Stromsektor abschießen; Kraftwerken, die mehr als hundert Jahre | |
| überlebt haben, droht das Ende. Der große Showdown der Kleinwasserkraft – | |
| in dieser Woche vermutlich im Bundestag [2][mit der Novelle des | |
| Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG)]. | |
| Viel bittere Ironie steckt in dieser Geschichte. Ausgerechnet die | |
| Kleinwasserkraft war es, von der die deutsche Energiewende ausging. Denn | |
| das erste Stromeinspeisungsgesetz – 1991 in Kraft getreten – kam auf | |
| Betreiben vor allem bayerischer Wasserkraftwerker zustande. Es sollte die | |
| Kleinerzeuger in der damaligen Monopolwelt der Stromwirtschaft durch | |
| Mindestvergütungen vor allzu selbstherrlich agierenden Stromkonzernen | |
| schützen. | |
| Weil der Gesetzgeber nun gerade dabei war, schrieb er kurzerhand auch für | |
| Strom aus anderen erneuerbaren Quellen Mindestvergütungen ins Gesetz – ohne | |
| die Konsequenzen auch nur halbwegs zu erahnen. Die waren enorm: [3][Ein | |
| Windkraftboom an der Küste machte Deutschland] zur weltweit führenden | |
| Windkraftnation. Entsprechend wuchs das Selbstbewusstsein der | |
| Ökostrom-Verfechter, was sich ab April 2000 im EEG widerspiegelte. Dieses | |
| wiederum katapultierte auch den Solarstrom nach vorne. Schmankerl am Rande: | |
| Bis 2004 war es die Große Wasserkraft, die im EEG explizit von den | |
| Vergütungen ausgeschlossen war. | |
| [4][Diese Geschichte der Kleinwasserkraft] muss man kennen, um zu | |
| verstehen, dass es bei den kleinen Turbinen um mehr geht als um „nur“ 3 | |
| Milliarden Kilowattstunden. Die Kleinwasserkraft ist ein Stück | |
| Landesgeschichte. Ein Stück Industriegeschichte. Auch ein Stück | |
| Kulturgeschichte. Wer sie abschießt, zerstört vor allem in den südlichen | |
| Teilen des Landes ein Stück regionaler Identität. | |
| Viele Orte in den Mittelgebirgen verdankten zwischen dem Jahr 1900 und dem | |
| Ersten Weltkrieg ihren ersten Stromanschluss der heimischen Wasserkraft. | |
| Findige Unternehmer bauten Turbinen an den Bächen, versorgten anfangs damit | |
| nur ihre eigenen Fabrikhallen, bauten dann aber auch Leitungen zu | |
| Nachbarhäusern und wurden so zu regionalen Stromversorgern. Über Jahrzehnte | |
| hinweg, mitunter bis in die 1970er Jahre hinein, bekamen Stromkunden ihre | |
| Energie von der örtlichen Papier-, Nähseide- oder Zündholzfabrik. Erst dann | |
| wurden die Netze in Konzernstrukturen integriert. | |
| ## Wasserkraft im Jugendstil | |
| Nach wie vor laufen Wasserkraftanlagen in Jugendstilgebäuden. Beim Besuch | |
| eines Turbinenhauses kann es passieren, dass man noch ein altes Holzkammrad | |
| entdeckt oder auch Armaturen, die ein ganzes Jahrhundert überdauert haben. | |
| Zugleich vermitteln die historischen Generatoren samt ihren | |
| wuchtig-eleganten Schwungrädern den Eindruck, für die Ewigkeit gebaut | |
| worden zu sein. | |
| Damit ist die Kleinwasserkraft nicht nur die älteste, sondern auch die | |
| eindrucksvollste Art der Stromerzeugung. Vermutlich muss man selbst einmal | |
| in einem der Turbinenräume gestanden haben, um das nachempfinden zu können. | |
| Entsprechend entspinnt sich die Debatte über die Wasserkraft nicht stur | |
| entlang der Parteigrenzen. Die Konfliktlinie verläuft vielmehr zwischen | |
| Großstadt und Landregionen; zwischen dem Flachland und jenen | |
| Mittelgebirgen, die über die faszinierendste aller Kraftquellen verfügen, | |
| die uns gegeben sind, nämlich ins Tal sprudelnde Bäche. Die Debatte ist | |
| daher ein Stück weit auch ein Dissens zwischen Nord und Süd, denn 80 | |
| Prozent des deutschen Wasserkraftstroms stammen aus Bayern und | |
| Baden-Württemberg. | |
| Der Plan der Bundesregierung, nun den kleinen Turbinen ökonomisch das | |
| Wasser abzugraben, ist Verrat an der Kulturgeschichte des Landes. Das nimmt | |
| man offenbar in Kauf, weil man ein Bauernopfer braucht, nachdem die | |
| Gesellschaft ihren Fließgewässern in den vergangenen Jahrzehnten so vieles | |
| angetan hat. | |
| ## Problem ist nicht die Nutzung der Flüsse | |
| Das wirkliche Problem der Fließgewässer ist mitnichten die Nutzung ihrer | |
| Kräfte. Vielmehr resultiert ihr mitunter schlechter Zustand aus begradigten | |
| Flussläufen, aus der Zerstörung von Überflutungsflächen, aus der Verrohrung | |
| von Flussläufen. Die Flüsse leiden unter Schadstoffeintrag und unter der | |
| noch immer voranschreitenden Versiegelung des Landes, weil jeder | |
| Quadratmeter Beton und Asphalt im Einzugsgebiet die Abflusskurven | |
| verändert. | |
| Zudem leiden die Flüsse natürlich auch unter dem Klimawandel, weil die | |
| Bäche sich erwärmen und öfter trocken fallen. Zwar werden nun auch 3 | |
| Milliarden Kilowattstunden aus Kleinwasserkraft den Klimawandel nicht | |
| stoppen können, aber sie sind immerhin ein bescheidener Baustein. Und was | |
| vielleicht noch wichtiger ist: Die Altanlagen sind der stilvollste | |
| Baustein, den Ingenieurskunst im Sinne des Klimaschutzes je geschaffen hat. | |
| Bernward Janzing arbeitet als freier Fachjournalist und Autor in Freiburg. | |
| Für sein im Jahr 2002 erschienenes Buch „Baden unter Strom“, das die | |
| Elektrifizierung Badens beschreibt, hat er zahlreiche kleine und große | |
| Wasserkraftwerke besucht. | |
| Wasserkraftwerk | |
| 4 Jul 2022 | |
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| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Kleinwasserkraft | |
| ## AUTOREN | |
| Bernward Janzing | |
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