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# taz.de -- Personalmangel an Flughäfen: Desaster mit Ansage
> Die Bundesregierung will Leiharbeiter:innen aus der Türkei anheuern,
> damit die Abfertigung an Flughäfen schneller geht. Das ist keine gute
> Idee.
Bild: Mitarbeiter der Sicherheit bei der Personenkontrolle mit Körperscanner
Ungefähr einen Kilometer lang war die Schlange am Köln-Bonner Flughafen am
vergangenen Wochenende, in der Reisende [1][vor der Sicherheitskontrolle]
warten mussten. Und nicht nur dort herrschte gewaltiges Chaos, auch an
anderen Flughäfen bangten unzählige Reisende, ob sie ihren Flieger
erreichen – oder verpassten ihn.
Ein Desaster mit Ansage: An den Flughäfen ist wegen der Coronapandemie im
großen Stil Personal abgebaut worden, jetzt fehlen die Leute. Nach dem
Willen der Bundesregierung sollen es 2.000 Leiharbeitskräfte aus der Türkei
richten. Das ist keine gute Idee. Der Ruf nach Saisonarbeiter:innen
lenkt von den grundsätzlichen Problemen ab – und hilft kurzfristig auch
nicht weiter.
Dass leere Terminals und stillgelegte Maschinen das Bild an den Flughäfen
bestimmten, ist noch nicht lange her. Der Staat hat die Luftfahrtbranche in
der Coronakrise zwar [2][mit vielen Milliarden unterstützt], damit sie eben
nicht im großen Stil Stellen abbaut. Doch das hat nicht funktioniert.
Verdi-Schätzungen zufolge haben im ersten Jahr der Coronakrise beim
Bodenpersonal 44 Prozent der Beschäftigten an den Flughäfen ihren Job
verloren.
Die fehlen jetzt. Früher hat der Staat selbst die Sicherheitsüberprüfungen
übernommen. Der Bundestag hat aber schon vor Jahren entschieden, diesen
Bereich zu privatisieren. In fast allen Bundesländern ist diese Aufgabe
deshalb auf private Firmen verlagert worden. Die haben es versäumt,
rechtzeitig für genug Personal zu sorgen. Der Düsseldorfer Verdi-Mann Özay
Tarim zum Beispiel, der in NRW für die Sicherheitsdienste unter anderem an
Flughäfen zuständig ist, und andere haben schon im vorigen Sommer darauf
hingewiesen, dass die Fluggastzahlen rasch steigen werden und die
Personaldecke zu dünn ist. Für Düsseldorf hat Tarim einen Bedarf von 500
weiteren Mitarbeitenden festgestellt, für Köln 100. Die Verantwortlichen
haben das ignoriert. Die Manager:innen der privaten Sicherheitsfirmen
haben lieber auf hoch bezahlte vermeintliche Expert:innen gehört, nach
deren Prognosen erst in einigen Jahren die Zahl der Fluggäste wieder rasant
ansteigt. Je weniger Leute die Firmen beschäftigen, desto höher die
Gewinne.
## Schlechte Bedingungen
Die früheren Flughafen-Mitarbeiter:innen können jetzt nicht einfach zurück
geholt werden. Denn die meisten von ihnen haben wo anders einen Job
gefunden. Nach zahlreichen Arbeitskämpfen ist das Einkommen der
Flughafenbeschäftigten mit rund 19,80 Euro die Stunde gar nicht mehr so
schlecht. Das Problem sind die Bedingungen. Die Sicherheitsfirmen stellen
Leute fast nur in Teilzeit an, damit sie deren Tätigkeit in ruhigen Zeiten
wie im Winter herunterfahren können. Gleichzeitig verlangen sie eine
ungeheure Flexibilität. Beschäftigte müssen arbeiten, wann es der Firma
passt, ob am frühen Morgen oder an Wochenenden. Und: Die Verträge sind in
der Regel auf ein Jahr befristet. Wer einen neuen Job gefunden hat – und
das werden die meisten aufgrund der Arbeitsmarktlage – geht freiwillig
sicher nicht zurück.
Vor diesem Hintergrund will die Bundesregierung Medienberichten zufolge die
aktuellen Probleme mit 2.000 Leiharbeitenden aus der Türkei beheben. „Das
ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die im vergangenen Jahr vor die Tür
gesetzt worden sind“, findet Verdi-Sekretär Tarim. Die Leiharbeitenden
sollen 6.000 Euro für die gesamte Saison bekommen – bei einem Einsatz von
Juli bis September wären das 2.000 Euro im Monat. Das klingt nicht nach dem
Ausschluss von Sozialdumping, wie es Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
in diesem Zusammenhang gefordert hat.
Mitarbeiter:innen im Sicherheitsdienst an Flughäfen müssen eine
zehnwöchigen Kurs absolvieren und anschließend eine Prüfung ablegen, die
von der Bundespolizei abgenommen wird. Auch aus diesem Grund ist es nicht
möglich, kurzfristig im großen Stil neue Mitarbeiter:innen an den
Flughäfen einzustellen. Auch Leiharbeitende müssten diese Qualifikation
durchlaufen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will deshalb die
Saisonarbeitenden nur in der Gepäckabfertigung einsetzen. „Bei der
Sicherheit gibt es keine Abstriche“, sagt sie. Aber weil Flughäfen
sicherheitssensible Bereiche sind, müssen alle dort Tätigen überprüft
werden – und das dauert.
## Bayern als Vorbild
Gewerkschaftssekretär Tarim geht deshalb nicht davon aus, dass sich die
Lage an den Airports in diesem Sommer verbessert. Er hat völlig recht, wenn
er grundsätzliche Änderungen fordert. Denn das Problem an den Flughäfen ist
eine Folge der Privatisierung der Sicherheitsaufgaben. „Private
Sicherheitsfirmen sind ja keine Sozialverbände, die wollen Geld verdienen“,
sagt Tarim. „Mit Sicherheit darf man aber kein Geld verdienen, das ist
Sache des Staates.“ Eine – allerdings langfristige – Lösung wäre es, die
jetzt in der Branche Beschäftigten in staatliche Gesellschaften zu
integrieren und für vernünftige Arbeitsbedingungen zu sorgen. Davon hätten
nicht nur die Sicherheitsleute, sondern auch die Reisenden etwas.
Zumindest, wenn dann für eine ausreichende Personaldecke gesorgt würde.
Das so etwas durchaus möglich ist, zeigt das Beispiel Bayern. Die
Landesregierung hat als einzige darauf verzichtet, die Sicherheitsaufgaben
an private Unternehmen auszulagern. Das Land hat eine eigene
Sicherheitsgesellschaft. Weil es deshalb keine Ausschreibungen und einen
Wechsel der beauftragten Firmen gibt, ist in Bayern für eine
gleichbleibende Qualität der Sicherheit gesorgt. Die Beschäftigten werden
nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt, die Fluktuation ist
gering. Für Reisende ist dieses Modell weitaus besser als das in den
übrigen Bundesländern.
27 Jun 2022
## LINKS
[1] /Sicherheitscheck-am-Flughafen-Hannover/!5800395
[2] /Flughaefen-in-der-Coronakrise/!5751765
## AUTOREN
Anja Krüger
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