Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zusammenleben in Berlin: Treffpunkt mit Theater
> Mit einem Festival will das Theater HAU nachbarschaftliche Beziehungen am
> Mehringplatz stärken. Dort stehen noch immer Bauzäune.
Bild: Kuchen essen für gute Nachbarschaft am Kreuzberger Mehringplatz
BERLIN taz | Auf einer kleinen Bühne auf dem Mehringplatz in Kreuzberg
spielen Bands der nahe gelegenen [1][Jugendmusikschule KMA]. An einem Stand
kann man sich kostenlos T-Shirts oder Stoffbeutel bedrucken lassen, an
einem anderen wird gestickt. Und auf einem schattigen Plätzchen wird auf
einem ausgelegten Rollrasen gepicknickt. Tabouleh und Falafel, dazu ein
Börek oder eine Empanada, obendrein ein Apfel, eine Limo und ein
Glückskeks. Alles zusammen für 2 Euro – billiger ist eigentlich nur noch
geschenkt. Alle Zutaten des Picknicks kommen zudem aus umliegenden
Lebensmittel-Shops.
Die Hitze liegt bleischwer über Berlin an diesem Samstag. Und doch ist
einiges los bei der Kiez-Party, die das Theater HAU an diesem heißen
Frühsommer-Nachmittag direkt am Mehringplatz veranstaltet.
Die Party findet im Rahmen des Festivals „Berlin bleibt! – Treffpunkt
Mehringplatz“ statt, bei dem das HAU seine drei Häuser bespielt, die sich
in unmittelbarer Nähe zum Mehringplatz befinden. Bei dem sich aber auch
dezidiert herausbewegt werden soll aus den Institutionen, rein in das echte
Leben, direkt auf den Mehringplatz, um den sich das Festival bis zum 2.
Juli dreht. Um einen Platz also, der als sozialer Brennpunkt gilt in
Berlin, wo ein vergleichsweiser hoher Anteil der Anwohnerschaft auf
Sozialhilfe angewiesen ist und über 70 Prozent einen Migrationshintergrund
haben.
Dass man sich ordentlich Mühe dabei gibt, nicht als Kulturschickeria
aufzutreten, sondern auf Augenhöhe mit der Anwohnerschaft, zeigt sich
überall auf dieser Kiez-Party.
## Spontanes Kennenlernen
Zur Unterhaltung gibt es nicht nur die Musik auf der Bühne, sondern auch
eine interaktive Performance der Künstlergruppe Gob Squad. Bei der können
Unbekannte spontan miteinander in Kontakt treten und werden dabei in ein
angeleitetes Gespräch verwickelt. Interessierte können über Kopfhörer das
Kennenlernen verfolgen. Raus aus der Anonymität, rein in ein Miteinander –
was die Performance im Sinn hat, appelliert generell an die
nachbarschaftlichen Beziehungen hier am Mehringplatz, wo die
unterschiedlichen migrantischen Communitys teilweise sehr segregiert
nebeneinanderher leben.
Der Mehringplatz ist ein besonders krasses Beispiel für [2][Murkserei bei
der Stadtentwicklung in Berlin]. Ein paar Meter weiter beginnt schon die
Friedrichstraße als Tourismus-Hotspot und Flaniermeile. Hier aber bröckelt
der Putz von den heruntergekommenen Sozialwohnungen. Die Anwohnerschaft
klagt über Rattenplage, und Dealer haben den Platz zu ihrem Revier
deklariert. Die Mieterinitiative „Mehringplatz West – Es reicht!“ versucht
schon seit Jahren auf all diese Probleme aufmerksam zu machen.
Und [3][seit über einer Dekade wird hier auch noch gebaut], in den letzten
Jahren war der Platz gar weitgehend umzäunt und so gut wie unbegehbar, was
einem sozialen Miteinander auch nicht unbedingt zuträglich war. Karin
Lücker, Geschäftsführerin des Café MadaMe direkt am Mehringplatz, das darum
bemüht ist, Preise niedrig zu halten, kann davon erzählen, wie es war, eine
halbe Ewigkeit inmitten einer Baustelle zu leben. Die Bauarbeiten, sagt
sie, seien so langsam vorangegangen, dass es hilfreich gewesen sei, „dabei
zuzusehen, wenn man einschlafen wollte“.
## Falsche Pflastersteine
Selbst für Berliner Verhältnisse sei hier außergewöhnlich viel
herumgepfuscht worden. Falsche Pflastersteine aus China etwa seien
angeliefert worden, die man dann nicht verwenden konnte. Die Tauben hätten
die frischen Grassamen auf der Grünfläche rund um die Friedenssäule
inmitten des Platzes weggepickt, dafür sei das Unkraut prächtig gediehen.
Ständig habe es überall Lärm, Staub und Schmutz gegeben, „die Touristen,
die hier vorbeikamen, meinten, hier möchten sie nicht einmal begraben
werden“, sagt sie.
Nun ist es hoffentlich vorbei mit der Dauerbaustelle. Auch das soll
gefeiert werden bei dem Festival.
Bei der Veranstaltung soll nicht nur innerhalb der Kulturblase bei
Performances und Diskussionsrunden über Gentrifizierung und soziale
Verwahrlosung eines ganzen Quartiers debattiert, sondern mit den
Betroffenen interagiert werden. Auch der Mehringplatz soll so zur Bühne
werden und das Theater wird aktivistisch. Dazu passt, dass rund um den
Platz Plakate aushängen, die das Festival bewerben und bei denen Slogans
wie „Die Stadt allen, die in ihr leben“ sofort ins Auge fallen.
Das Areal rund um die Siegessäule ist freilich immer noch weitläufig
umzäunt. Wann sich das ändert, weiß auch Karin Lücker nicht.
20 Jun 2022
## LINKS
[1] /taz-Serie-Was-macht-eigentlich-2/!5821874
[2] /Mehringplatz-und-Pfad-der-Visionaere/!5852328
[3] /Berlins-verarmte-Kieze/!5717238
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Berlin-Kreuzberg
Gentrifizierung
Hebbel am Ufer
taz Plan
Kino Polen
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Lesestück Recherche und Reportage
soziale Ungleichheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kinotipp der Woche: Kreuzberger Trio
“Kreuzberg 'Ahoi’“ ist B-Movie, Kunstsatire, Milieustudie. Die Brotfabrik
zeigt den Kult-Film von Steven Adamczewski und Christian Sievers.
Kinotipp der Woche: Das Hadern, das Leben
Die diesjährige Ausgabe des polnischen Filmfestivals filmPOLSKA bietet
intime Dokumentarszenen und ein surreales Rap-Musical.
Mehringplatz und „Pfad der Visionäre“: Andere Probleme als schicke Platten
In einem der ärmsten Kieze Berlins wird der Abschluss jahrelanger
Bauarbeiten gefeiert. Den Leuten hier nütze das wenig, sagen die Menschen
vor Ort.
Berlins verarmte Kieze: Die Zukunft ist eine Baustelle
Der Mehringplatz ist einer der ärmsten Kieze Berlins, besonders die Jugend
hat hier wenig Perspektive. Viele fühlen sich von der Politik vergessen.
Südliche Friedrichstadt und Mehringplatz: Das vergessene Quartier
Der Mehringplatz ist das ärmste Viertel in Berlins Mitte. Autorin Manja
Präkels schaut dort seit Jahren dem städtischen Gefüge beim Zerbrechen zu.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.