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# taz.de -- Kanzlerreise auf den Balkan: Kosovo will für die EU kandidieren
> Olaf Scholz tourt durch fünf Balkanländer. Eine Wohlfühlreise ist der
> Ausflug nicht, eher ein Besuch in einer verkrachten WG.
Bild: Zu Besuch bei Freunden: Olaf Scholz (rechts) wird von Kosovos Regierungsc…
Pristhina/Belgrad taz | Fünf Länder in zwei Tagen – Olaf Scholz braust über
den Balkan, als plane er einen neuen Rekord im Länderhopping. Der
Bundeskanzler will mehr Bewegung in die festgefahrenen Beitrittsprozesse
der Westbalkanländer zur EU zu bringen. „Es ist an der Zeit, neues Zeichen
der Zuversicht zu setzen, dass dieser Beitrittsprozess von der EU gewollt
ist“, sagte Scholz am Freitag bei seiner ersten Station im Kosovo.
Die offiziellen Beitrittskandidaten – Albanien, Montenegro, Serbien und
Nordmazedonien – stecken seit Jahren im Kandidatenstatus fest, mit unklarer
Perspektive. Grund sind ungeklärte Konflikte vor Ort, aber auch eine
erweiterungsmüde EU. Zwei Kandidaten – Serbien und Nordmazedonien – liegen
auf der deutschen Reiseroute, dazu kommen Bulgarien Griechenland und
Kosovo. Dort landet Scholz am Freitagmorgen.
Seit Freitag steht fest, dass es bald noch einen fünften EU-Kandidaten
geben könnte: Der kosovarische Premierminister Albin Kurti kündigte an,
dass sein Land noch in diesem Jahr den Status als Beitrittskandidat
beantragen wolle. Dabei hofft er auf die deutsche Unterstützung. Scholz’
Besuch nannte er „historisch“, seit 14 Jahren sei das erste Mal wieder ein
deutscher Bundeskanzler zu Besuch. „Sie sind herzlich willkommen.“
Scholz gab die Komplimente zurück – Kosovo sei ein verlässlicher Partner,
der eng an der Seite der EU stehe. Der SPD-Politiker versprach, den
Berliner Prozess, ein von Angela Merkel ins Leben gerufenes Format, das die
Annäherung der sechs Länder des Westbalkans an die EU fördern soll,
wiederzubeleben. Im Herbst werde er die Westbalkanstaaten zu einer
Konferenz nach Berlin einladen.
Außerdem versprach Scholz in punkto Visaliberalisierung ein gutes Wort für
die Kosovaren einzulegen, vor allem bei Frankreich. Die 1,7 Millionen
Bürger:innen des Kosovo sind nämlich die einzigen des westlichen
Balkans, die für die Einreise in den Schengen-Raum nach wie vor ein Visum
brauchen.
Dass Scholz Kosovo als erstes Land auf seiner Balkantour besucht, kann man
durchaus als Statement verstehen. Dort ist mit Kurti nicht nur ein
sozialdemokratischer Ministerpräsident im Amt. Hier findet auch die längste
und bislang wohl erfolgreichste Auslandsmission der Bundeswehr statt. Seit
23 Jahren ist sie Teil der Nato-Gruppe KFOR, die Sicherheit und Ordnung
garantieren soll. Scholz besuchte das mittlerweile 62. Einsatzkommando,
nahe Prishtina stationiert.
Die Soldat:innen begrüßten Scholz mit einem zackigen „Tag, Herr
Bundeskanzler.“ Auch wenn zwei Drittel der aktuell 65
Bundeswehrsoldat:innen mittlerweile mit Stift und Notizbuch und nicht
mehr mit Schutzwesten und Helm bewaffnet sind – verzichten will man im
Kosovo auf sie und die übrigen 3800 Nato-Soldaten nicht. Ihre Anwesenheit
sei nach wie vor nötig, betonte Kurti und zwar so lange bis das Kosovo
Mitglied der Nato sei.
## Das Problem mit dem Nachbarn
Die Zeitenwende, sie ist auf dem Balkan angekommen. Noch immer gibt es
allerdings das Problem mit dem nördlichen Nachbarn. Seit 2008 ist die
frühere serbische Provinz Kosovo offiziell unabhängig, was Serbien bis
heute nicht akzeptiert. Zudem gilt Serbien als russischer Vorposten. Das
Land pflegt traditionell enge Beziehungen zu Russland, bezieht 90 Prozent
seines Gases zum Freundschaftspreis von dort und hat als fast einziges Land
Europas keine Sanktionen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine
verhängt. Das sorgt in der EU für Ärger.
Am Nachmittag landete Scholz in Belgrad, mit Flaggen entlang der Strecke
empfangen. Scholz brachte eine klare Ansage aus Pristina nach Belgrad mit:
„Der Weg nach Europa, ist der Weg nach Europa“, hatte er dort gesagt. Und
war in Belgrad noch deutlicher geworden: Wer jetzt EU-Mitglied würde,
müsste die Sanktionen umsetzen. Sprich: Serbien muss sich entscheiden.
## Hektische, rote Flecken
Nachdrücklich verlangte Scholz auch, dass Serbien und Kosovo ihre
Beziehungen normalisieren und den Konflikt beilegen. Dabei benutzte eine
Formulierung, die beim serbischen Staatspräsidenten hektische rote Flecken
im Gesicht verursachte: Zwei Staaten, die sich gegenseitig nicht
anerkennen, könnten nicht Mitglieder der EU werden.
Das war für die Serben, die per Verfassung darauf bestehen, dass das Kosovo
zum eigenen Territorium gehört, ein Affront. „Wir reagieren nicht auf
Druck, wenn man uns droht“, warnte der serbische Präsident Aleksandar
Vucic.
Ansonsten versuchte Vucic die Stimmung wieder zu heben. Deutschland habe
Serbien umfassende Unterstützung angeboten, etwa im Energie- und
Gesundheitsbereich. Außerdem verlasse man sich darauf, dass wenn der
deutsche Bundeskanzler sich für die Beschleunigung der europäischen
Integration einsetze, er das auch ernst meine. Serbien, werde seine
Aufgaben erledigen und mehr Fortschritte etwa auf dem Gebiet der
Rechtsstaatlichkeit machen. Ob das allein reicht, darf allerdings
bezweifelt werden.
Am Samstag will Scholz nach Nordmazedonien und Bulgarien weiterfliegen.
Auch hier warten ungelöste Konflikte, Bulgarien blockiert die Aufnahme
Nordmazedoniens in die EU. Eine Wohlfühlreise ist Scholz’ Ausflug nicht,
eher ein Besuch in einer verkrachten WG.
10 Jun 2022
## AUTOREN
Anna Lehmann
## TAGS
Olaf Scholz
Kosovo
Serbien
EU-Mitgliedschaft
Aleksandar Vucic
GNS
Kosovo
serbische Minderheit im Kosovo
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Ursula von der Leyen
Westbalkan-Staaten
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