# taz.de -- Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Deutschland als Führungs… | |
> SPD-Chef Lars Klingbeil fordert in einer Rede mehr Einfluss für | |
> Deutschland in der EU. Frankreich kommt darin nicht vor. | |
Bild: Klingbeil nach einer Gremiensitzung im Willy-Brandt-Haus am 20. Juni 2022 | |
Berlin taz | SPD-Chef Lars Klingbeil war in den letzten Tagen viel in | |
Europa unterwegs, vom Baltikum bis nach Portugal. Dort bekam er fast | |
unisono zu hören, dass Berlin [1][nach dem Ukraine-Krieg] mehr tun muss. | |
Das hat den 44-Jährigen zu einer Grundsatzrede inspiriert, die es in sich | |
hat. Die zentrale Botschaft: Deutschland muss mehr Macht und Verantwortung | |
in der EU haben. | |
„Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben. Nach knapp 80 | |
Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im | |
internationalen Koordinatensystem“, so Klingbeil am Mittwochmorgen bei der | |
Veranstaltung „Zeitenwende – der Beginn einer neuen Ära“ der | |
Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Dieser Anspruch bedeute nicht, | |
„breitbeinig oder rabiat aufzutreten“. Aber der SPD-Chef hat forsche Pläne, | |
was sich in der EU alles ändern muss. | |
„Als Führungsmacht muss Deutschland ein souveränes Europa massiv | |
vorantreiben“, so Klingbeil. Die europäische Verteidigungspolitik müsse | |
gebündelt werden. Dass 27 EU-Staaten ihr eigenes Beschaffungswesen | |
unterhalten, könne man niemandem erklären. Die europäischen Staaten in der | |
Nato müssten „europäisches Territorium gemeinsam verteidigen können“, al… | |
ohne auf die USA angewiesen zu sein. Diese Forderung ist nicht neu – aber | |
ebenso so oft folgenlos verhallt. | |
Auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) betonte: „Wir müssen | |
über die Nato hinaus denken“. Die USA orientierten sich nach China, Trump | |
habe gezeigt, wie fragil die transatlantischen Beziehungen sein können. | |
Europa müsse daher „selbst in der Lage sein, für Abschreckung zu sorgen.“ | |
Im Umgang mit Osteuropa und den dortigen Ängsten vor Russland, sagte | |
Klingbeil selbstkritisch, „haben wir Fehler gemacht“. Deutschland habe die | |
Bedrohung durch Moskau vor dem 24. Februar nicht ernst genug genommen. | |
## Debatte gab es in den 1990ern schon | |
In Sachen EU will Berlin bei dem [2][Aufnahmeprozess der Westbalkanstaaten] | |
in die EU und bei der Frage, ob die Ukraine und Moldau den Status eines | |
Beitrittskandidaten bekommen, Druck machen. Alle Formalien müssten | |
selbstverständlich erfüllt werden. Es gebe keinen „fast Track“, so der | |
SPD-Chef. Die EU müsse diese Aufnahmewünsche aber so behandeln, wie es im | |
Falle von Polen nach 1990 geschah – als politische Priorität. Polen war | |
2004, zehn Jahre nach dem Aufnahmeantrag, EU-Mitglied geworden. Offenbar | |
will Berlin eine Schlüsselrolle bei dem EU-Beitritt der Ukraine und des | |
Westbalkans spielen. | |
Die Beitrittsprozesse dürfen „nicht in den Mühlen der Brüsseler Bürokratie | |
versanden, sondern müssen als geopolitisches Projekt“ begriffen werden, | |
forderte Klingbeil. Ob es klug ist, die Forderung nach Tempo bei der | |
Aufnahme neuer Mitglieder mit Angriffen gegen den Bürokratismus zu | |
verbinden und ein gängiges Vorurteil gegen Brüssel zu bedienen, sei | |
dahingestellt. | |
Damit taucht eine Debatte wieder auf, die es auch in 90er Jahren schon gab: | |
Erweiterung nur bei EU-Reform. Wie schon Kanzler Scholz betonte der | |
SPD-Chef, dass die EU auch mit mehr Mitgliedern handlungsfähig bleiben | |
muss. „Daher müssen wir das Einstimmigkeitsprinzip abschaffen, etwa in der | |
Außenpolitik oder in der Finanz- und Fiskalpolitik“, so Klingbeil. Auch | |
diese Idee ist bekannt. Sie umzusetzen, wird für die „neue Führungsmacht | |
Deutschland“ allerdings eine anspruchsvolle Aufgabe. Das Wort Frankreich | |
kam in Klingbeils Rede nicht vor. | |
Olaf Scholz hatte zudem kürzlich gefordert, dass es im EU-Parlament künftig | |
mehr als 99 Abgeordnete aus Deutschland geben sollte. Das entspricht der | |
neuen deutschen Linie, mehr Macht in der EU zu beanspruchen – und wird ein | |
hochkomplexes Unterfangen. Die Repräsentation großer Staaten wie | |
Deutschland und kleinerer Länder, die im EU-Parlament bevorzugt werden, ist | |
seit Langem umkämpft. Deutschland hat nach dem Brexit keine frei werdenden | |
Sitze im EU-Parlament erhalten. Der deutsche Anspruch, dies gekoppelt mit | |
dem möglichen Beitritt neuer Länder nachzuholen, wird in Brüssel skeptisch | |
gesehen. | |
21 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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