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# taz.de -- Aufflammende Kämpfe im Kongo: Rückkehr der Kriegsstimmung
> Luftangriffe, Zehntausende auf der Flucht: Im Kongo wächst Angst vor
> einem neuen Krieg. Viele Kongolesen sehen Ruanda hinter der neuen Stärke
> der M23-Rebellen.
Bild: Geflohene Bewohner des Dorfes Kirumba bei der Essensausgabe in der Schule…
Kampala taz | Deja-Vu in der [1][Demokratischen Republik Kongo]: Wieder ist
in der Provinzhauptstadt Goma das ferne Dröhnen der Feuergefechte zu hören;
wieder fliehen Zehntausende Kongolesen aus ihren Dörfern nördlich der
Millionenstadt; wieder nehmen die [2][Rebellen der M23 (Bewegung des 23.
März)] strategische Stellungen in dem hügeligen Gebiet ein; wieder herrscht
hitzige Stimmung in Teilen der ostkongolesischen Bevölkerung gegen die M23
und damit auch gegen die Tutsi-Minderheit im Land sowie gegen das
Nachbarland Ruanda.
Es ist fast auf den Tag genau zehn Jahre her, dass die M23-Tutsi-Rebellen
unter dem aus der Armee desertierten General Sultani Makenga genau
denselben Landstrich im Ostkongo entlang der Grenze zu Uganda und Ruanda
eroberte, später sogar die Millionenstadt Goma. Ein Jahr später wurden sie
besiegt und ihre Kämpfer verzogen sich nach Uganda – aber seit einem halben
Jahr sind sie wieder da, und aus Makengas versprengtem Häufchen von
Kriegsveteranen ist erneut eine Bürgerkriegstruppe geworden, die Kongos
Armee in Bedrängnis bringt.
Am Donnerstag vergangene Woche gelang es den M23-Rebellen sogar, die
wichtigste Militärbasis der kongolesischen Armee in der Provinz Nord-Kivu
einzunehmen: Rumangabo, 40 Kilometer nördlich von Goma, direkt neben dem
Hauptquartier des Virunga-Nationalparks mit seinen Berggorillas. Nach
heftigen Feuergefechten konnte die Armee die Einrichtung zurückerobern.
Laut Armeesprecher Ndjike Kaiko sind auch die zu Beginn der Woche von der
M23 eroberten Orte Chanzu und Runyoni weiter nördlich nahe der ugandischen
Grenze inzwischen wieder unter Armeekontrolle.
Die Kehrtwende kam, nachdem UN-Blauhelme auf Seiten der Armee
intervenierten. UN-Hubschrauber bombardieren seit Tagen M23-Stellungen in
den dicht bewaldeten Bergen im Dreiländereck von Kongo, Ruanda und Uganda.
Auch am Samstag warfen kongolesische und UN-Hubschrauber erneut Bomben ab.
Die Chefin der UN-Mission im Kongo (Monusco), Bintou Keita, beschuldigte
die M23, am Dienstag ein UN-Lager nördlich von Goma angegriffen zu haben.
Sie hätten nach dem Angriff auf kongolesische Armeestellungen „vorsätzlich
die Monusco-Friedenstruppen in der Region angegriffen, die gemäß ihrem
Mandat reagiert haben.“
Die M23 beschuldigt nun umgekehrt die UN-Blauhelme, nicht nur mit Kongos
Armee zusammenzuarbeiten, sondern auch mit deren mutmaßlichen Alliierten:
den ruandischen Hutu-Milizen der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung
Ruandas), in welcher sich noch immer einige ruandische Völkermörder tummeln
und die international als Terrorgruppe geächtet ist. Die ruandischen
Völkermordtäter hatten sich nach dem Genozid 1994 an den ruandischen Tutsi
nach Kongo zurückgezogen, während in Ruanda Tutsi-Rebellen die Macht
ergriffen, und im Kongo 2000 die FDLR gegründet.
## Heftige Kämpfe nördlich von Goma
In den vergangenen Tagen verlagerten sich die Kämpfe in Richtung Goma. Im
Dorf Kibumba rund 20 Kilometer nördlich der Millionenstadt wurde heftig
gekämpft. Die Einschläge der schweren Geschütze waren in Goma zu hören.
Kibumba liegt außerdem nur einen Steinwurf von Ruandas Grenze entfernt. Aus
Ruanda habe die M23 Hilfe bekommen, heißt es in Goma nun. Viele fragten
sich, wie es den zuvor nur rund 100 M23-Kämpfern gelingen konnte, gleich
zwei Frontlinien zu halten. Augenzeugen berichten, die Rebellengruppe habe
mittlerweile mehrere Hundert Kämpfer.
Rumangabo, Rugari, Kibumba, Kibati – lauter kleine Dörfer entlang der
Überlandstraße, die von Goma aus nördlich durch den Virunga-Park bis nach
Rutshuru führt, sind nun wieder verwaist. Die Einwohner haben ihre
Habseligkeiten zusammengerafft und sind geflohen.
Bis zu 72.000 neue Vertriebene in nur einer Woche meldet das
UN-Koordinierungsbüro OCHA – in ganz Nord-Kivu gibt es bereits über 1,8
Millionen Binnenflüchtlinge. 7000 Kongolesen seien ins Nachbarland Uganda
geflohen, so das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Die übrigen suchen am Rand
der Millionenstadt Goma in selbstgebauten Zeltunterkünften Schutz.
Landesweit sind in Kongo fast sechs Millionen Menschen vertrieben, so viele
wie in keinem anderen Land Afrikas.
Wie bereits beim Krieg zwischen Regierung und M23 im Jahr 2012 sind in
Gomas nördlichen Vororten Munigi, Kanyaruchina und Kibati gewaltige
Zeltstädte entstanden. Zahlreiche NGOs versuchen, die erschöpften Menschen
notdürftig zu versorgen.
Und wie bereits 2012 ist auch der Propagandakrieg im vollen Gange, wie
bereits 2012. Die M23 erklärt in einer Pressemitteilung, Kongos Armee habe
die ruandische Hutu-Miliz FDLR angeheuert. Kongos Armee wiederum sagt, dass
Ruanda den Tutsi-Rebellen der M23 zu Hilfe gekommen ist.
Es zirkulieren Fotos von zwei Kriegsgefangenen der kongolesischen Armee in
ruandischer Uniform und mit ruandischen ID-Karten, eine davon von Ruandas
Armee. Ruandas Regierung verneint dies vehement. Ruandas Armee erklärt,
mehrere Geschosse seien in Ruanda eingeschlagen und die FDLR habe entlang
der Grenze die beiden Soldaten gekidnappt. „Wir fordern alle Behörden in
der DR Kongo auf, die mit diesen völkermörderischen bewaffneten Gruppe
zusammen arbeiten, deren Befreiung zu erwirken“, so die Presseerklärung.
## Mit Macheten gegen den Tutsi-Feind
Die Vermutung, Ruanda helfe der M23, ist für viele Menschen in Goma
Gewissheit und lässt die Gemüter hochkochen. Die Bürgerrechtsbewegung
„Lucha“ startete eine Spendenaktion für Kongos Armee: Geld, Seife, Bohnen
für die Soldaten wurde auf dem Markt von Goma gesammelt. Aba von Ang,
Vize-Polizeichef der Provinz Nord-Kivu, rief während einer Parade die
Bevölkerung auf, sich zu bewaffnen und bei der Landesverteidigung zu
helfen. Videos zirkulieren, in welchen junge Männer mit Macheten durch Goma
marschieren, um die „Feinde“ zu eliminieren – die kongolesischen Tutsi. Im
Stadtteil Munigi, wo die traditionelle Tutsi-Königsfamilie ihren Sitz hat,
wurden Häuser angezündet.
„Wir alle wissen, wie diese Art von Aufruf in Gewalt ausarten kann“,
erklärt die M23, da „ethnische Hassreden und Fremdenfeindlichkeit eine
schreckliche Vergangenheit haben.“ Gegründet wurde die M23 von
kongolesischen Tutsi, die sich seit ihrer Kindheit in ihrem eigenen Land
nicht mehr sicher fühlen, ein Großteil ihrer Familien lebt seit den 1990er
Jahren in den Nachbarländern als Flüchtlinge. Die M23 ging 2012 aus der
Rebellenorganisation CNDP (Nationalkongress zur Volksverteidigung) hervor,
die ehemalige pro-ruandische Rebellen vereinte. Am 23. März 2009 hatte
Kongos Regierung mit dem CNDP eine Friedensvereinbarung getroffen, die
nicht umgesetzt wurde. Die 2009 in die Armee eingetretenen Tutsi-Rebellen
gründeten daraufhin 2012 die M23 als neue Rebellenarmee.
Der neue Krieg hat binnen weniger Tagen sämtliche Annährungsversuche
zwischen den einst verfeindeten Nachbarn Kongo und Ruanda wieder rückgängig
gemacht. Kongos Regierung hat der ruandischen Fluggesellschaft RwandAir die
Landeerlaubnis entzogen, Ruandas Botschafter wurde einbestellt. Politiker
in Kinshasa drohen auf Twitter, sie würden die kürzlich eingegangen
Vereinbarungen mit Ruanda im Gold- und Mineralienhandel aufkündigen, wenn
Ruanda die Hilfe für die Tutsi-Rebellen nicht sofort einstelle. Kongos
Regierungssprecher Patrick Muyaya erklärte nach einem Treffen des
Verteidigungsrates in Kinshas die M23 zur Terrororganisation und verbannte
sie von den Friedensgesprächen, die Kongos Regierung mit kongolesischen
Milizen in Kenia führt.
## Greifen Uganda und Ruanda gemeinsam ein?
Damit steht der Versuch der ostafrikanischen Region, Kongo auf
diplomatischem Weg zu befrieden, vor dem Aus. Erst im April war die
Demokratische Republik Kongo der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC)
beigetreten – ein historischer Erfolg von Präsident Félix Tshisekedi und
seiner Politik der Annäherung an die Nachbarn. Bald sollen Waren vom
Atlantik bis zum Indischen Ozean zollfrei umgeschlagen werden, so die Idee.
Doch ohne Friede im Ostkongo gehen diese Visionen nicht auf. Und nun wird
nicht in Kenia verhandelt, sondern in Kongo gekämpft.
Auch Kongos östliche Nachbarn, allen voran Uganda, drohen nun, militärisch
zu intervenieren. Ugandas Präsident Yoweri Museveni gilt als Pate der
EAC-Erweiterung um Kongo. Sein Sohn Muhoozi Kaineruugaba, zugleich Ugandas
Heereschef, war es gelungen, den heftigen Streit zwischen Uganda und Ruanda
zu schlichten, der in den vergangenen drei Jahren die EAC lahmgelegt hat.
Seit November 2021 kämpft Ugandas Armee in Kooperation mit Kongos Armee im
Kongo gegen die islamistischen ugandischen Rebellen der ADF (Vereinigte
Demokratische Kräfte). Jetzt spielen die EAC-Staatschefs mit der
Überlegung, eine gemeinsame regionale Truppe für den Kongo aufzustellen.
Am Freitag überquerten 30 ruandische Armeelastwagen voller Soldaten und
Gerät die Grenze nach Uganda und fuhren auf der Überlandstraße gen
Hauptstadt Kampala. Da hielten viele in Uganda den Atem an. General
Kainerugaba hatte auf Twitter zuvor von einer ugandisch-ruandischen
Eingreiftruppe geschwärmt, die im Kongo für Ruhe sorgen könne. Dafür
erwarte er das OK von Kongos Präsident Tshisekedi. Gleichzeitig
solidarisierte er sich mit den M23 und Ruanda und drohte der FDLR mit
Krieg, wenn sie nicht sofort die Waffen niederlege.
Die ruandischen Armeelastwagen sind auf dem Weg in die ugandische Stadt
Jinja am Nil für eine EAC-Militärübung. Analysten vermuten, dies könne
einen Vorbereitung auf eine Kongo-Intervention sein. Für Kongos Präsident,
der 2023 wiedergewählt werden möchte und sich mit einer wachsenden
anti-ruandischen Stimmung im Volk konfrontiert sieht, wird das ganz
brenzlig.
29 May 2022
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## AUTOREN
Simone Schlindwein
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