# taz.de -- Geschlechtsspezifische Kosmetik: Moschusfahne und Maracujaduft | |
> Männer riechen nach Kräutern oder Moos, Frauen nach Blumen. | |
> Beauty-Marketing arbeitet mit Stereotypen und reproduziert binäre | |
> Geschlechterklischees. | |
Bild: Unsere Nase verrät uns mehr, als uns bewusst ist – auch, ob wir jemand… | |
Wer die Regale einer Drogerie auf der Suche nach Deodorant oder Duschgel | |
durchstreift, wird von Düften und Farben überhäuft. Bei der Entscheidung | |
helfen Erwartungen und Klischees: Weiblich gelesene Personen bewegen sich | |
häufig in Richtung Maracuja, Granatapfel oder Vanille, während männlich | |
gelesene Personen offenbar nach Energy, Active oder Sport duften sollen. | |
Obwohl letztere Beispiele im Grunde keine Duftrichtungen sind, haben wir | |
beim Gedanken an Kosmetikprodukte „for men“ sofort einen Geruch in der | |
Nase: vermeintlich kernig, meist unerträglich herb. | |
Nicht nur duftet es aus den Herrenregalen anders, es sieht dort auch anders | |
aus: In der Damenabteilung überwiegen helle Farben, viel Rosa, Blumen und | |
Tiere, bei den Männern dominieren Blau und Schwarz, geometrische Muster | |
sowie Wassertropfen. Was als Männerduft vermarktet wird, soll Aktivität und | |
Tatendrang ausstrahlen, bei den Frauenprodukten werden Schönheit und | |
Sanftheit signalisiert – [1][schön wie eine Blume, süß wie die Mango], gut | |
für die Seele. | |
Ein Beispiel: Eine Feuchtigkeitsmaske desselben Unternehmens spricht Frauen | |
mit den Worten „be sweet“ und dem Bild eines Lämmchens mit Blumenschmuck | |
auf dem Kopf an, während die Männern angedachte Version „den Frischekick“ | |
vor dem Bild eines Superhelden verspricht. | |
Herrendüfte sind im Regelfall an Kräutern, Zitrusduft oder Holz und Moos | |
orientiert, Damendüfte an Blüten oder Früchten. Doch woran machen sich | |
diese vermeintlichen Vorlieben fest? [2][Was entscheidet darüber, wie wir | |
selbst riechen möchten] und wie unser Gegenüber riechen soll? Zunächst | |
einmal gibt es zu Körpergerüchen allerhand Forschung. | |
## Weit weg von natürlichen Gerüchen | |
Man liest, Personen eines Geschlechts würden Personen des anderen | |
Geschlechts bevorzugen, die gänzlich anders als sie selbst riechen – so | |
würde die Natur für einen gut durchmischten Genpool sorgen. Auch hätten die | |
Signale, die unser Körper per Duft aussendet, ganz realweltliche | |
Auswirkungen: Stripteasetänzerinnen bekamen laut einer Studie an ihren | |
fruchtbaren Tagen doppelt so viel Trinkgeld, was den Forschenden zufolge | |
auch an einem Fruchtbarkeit ausstrahlenden Körpergeruch liegen könnte. | |
Unsere Nase verrät uns also durchaus mehr, als uns bewusst ist – auch, ob | |
wir jemanden „gut riechen können“. Doch die Düfte des Beauty-Marketings | |
sind [3][von unseren natürlichen Körpergerüchen meilenweit entfernt]. Davon | |
zeugt schon die Tatsache, dass der Schweiß von Frauen aufgrund der | |
schwefelhaltigen Verbindungen häufiger als der von Männern einen | |
zwiebelartigen Geruch hat – Zwiebel statt Mango? | |
Statt biologischer Faktoren kommt es im Beauty-Marketing eher darauf an, | |
wie die Gesellschaft auf Geschlecht blickt. Zwar gibt es auch spezifisch | |
als Unisex-Produkte konzipierte Düfte, Cremes und Lotionen, die | |
verschiedene Geruchssegmente, allerdings weniger dominant vereinen. | |
Doch abgesehen davon teilt sich die Kosmetikwelt in ein auf Frauen und ein | |
auf Männer zugeschnittenes Segment. Frauen werden dabei seit jeher als das | |
zarte, romantische Geschlecht gezeichnet. Sie sollen schön, Männer hingegen | |
attraktiv und stark wirken. | |
## Geruchsvorlieben bilden sich erst | |
Dabei, wie wir solche Stereotype in uns aufnehmen, spielt Konditionierung | |
eine große Rolle. Denn unsere Geruchsvorlieben bilden sich erst im Verlauf | |
unseres Lebens weiter aus – ein Neugeborenes hat zwar einen sehr | |
ausgeprägten Geruchssinn, aber noch kaum bevorzugte Düfte. | |
Verknüpfen wir einen Duft, oft über Jahre hinweg, mit bestimmten Personen | |
oder mit negativen beziehungsweise positiven [4][Erfahrungen, formt sich so | |
unsere Geruchswahrnehmung]. Riechen die Männer in unserem Leben also schon | |
immer kernig, die Frauen blumig, verknüpfen wir die Gerüche entsprechend. | |
Solche Verknüpfungen macht sich nicht bloß die Kosmetikbranche zunutze. | |
Beim sogenannten Duft-Marketing geht es darum, die Emotion der Kundschaft – | |
und damit auch ihr Kaufverhalten – zu beeinflussen. Beim Aufenthalt in | |
einem Geschäft nehmen wir Gerüche ganz beiläufig wahr und verbinden damit | |
unter Umständen gewisse – gewollte – Emotionen. | |
Coca-Cola soll in den USA laut Marketingberichten eine Umsatzsteigerung | |
erzielt haben, indem an Verkaufsorten der Marke der Duft einer in den | |
1990er Jahren besonders beliebten Sonnencreme verströmt wurde: die | |
anvisierte Zielgruppe der Mütter war in dieser Zeit aufgewachsen und | |
verband mit dem bekannten Cremegeruch Freizeitaktivitäten, Urlaub und damit | |
auch Coca-Cola. Diese positiven Emotionen machte sich der Konzern zunutze. | |
Auch Hotels und Kleidungsmarken setzen auf Signaturdüfte, die ein | |
bestimmtes Image vermitteln und Kundschaft binden sollen. | |
## Eher indviduell als kulturell geprägt | |
Uneinig ist sich die Wissenschaft darüber, inwiefern Gerüche auch kulturell | |
geprägt sind. In der Vergangenheit hatten Studien einen kulturellen | |
Zusammenhang erkannt: Sie kamen etwa zu dem Ergebnis, dass japanische | |
Teilnehmende ihnen bekannte Gerüche wie gerösteten Tee oder getrockneten | |
Fisch positiver einstuften als deutsche Teilnehmende – diese wiederum waren | |
scheinbar begeisterte Kirchgänger:innen, bewerteten sie doch beispielsweise | |
Weihrauch als angenehmen Geruch. | |
Eine aktuelle Studie aus Schweden kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass die | |
Geruchswahrnehmung viel stärker von individuellen Vorlieben als von | |
kultureller Prägung bestimmt ist. Einige Gerüche wurden auch | |
kulturübergreifend mehrheitlich als positiv oder negativ wahrgenommen: | |
Vanillegeruch ist anscheinend weltweit beliebt, Fußschweiß hingegen | |
weniger, wen wundert’s. | |
Was nach allen biologischen und konditionierten Einflussfaktoren am Ende | |
stehen bleibt, sind zwei Feststellungen. Erstens: Geruchsvorlieben sind | |
individuell. Und zweitens: [5][Marketing arbeitet mit Klischees.] Wie es | |
scheint, drehen wir uns mit der Industrie im Kreis: Diese setzt auf | |
altbewährt-geschlechterspezifische Gerüche, und deren fortwährende | |
Reproduktion lässt sie wiederum für uns nach Mann oder Frau riechen. | |
Dabei ergibt eine solche Klassifizierung keinen Sinn, wo wir Duft und | |
Gestank doch individualisiert und verknüpft mit unseren spezifischen | |
Erinnerungen wahrnehmen. Der Markt bietet bereits eine Auswahl an | |
geschlechtsunabhängigen Beauty- und Pflegeprodukten. Diese sollen | |
allerdings vermeintlich neutral riechen – bloß nicht zu männlich oder zu | |
weiblich. | |
Und so wird der maracujaduftende Mann weiterhin genauso schräg angeschaut | |
wie die Frau mit Moschusfahne – und auch, wer sich nicht im binären | |
Geschlechterschema wiederfindet, muss gefühlt entscheiden. | |
Ein Vorschlag: Wie wäre es, Produkte einfach nach Geruch zu kategorisieren. | |
Duschbad „Cherry Blossom“ dürfte dann auch in blauer Verpackung und Shampoo | |
„Herbal Energy“ mit Blumenranke in Pastell daherkommen. Solange die | |
Kosmetikabteilung aber noch in Farben und Klischees unterteilt ist, bleibt | |
bloß der Ratschlag: Riecht doch, wie ihr wollt! | |
9 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
Nadja Kutscher | |
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