# taz.de -- Wie Menschen riechen: Parfümiert Euch! | |
> Muss man Körpergeruch aushalten wie Schamhaare? Nein! Parfum ist schon in | |
> der Weihnachtsgeschichte ein Geschenk des Himmels. | |
Bild: Rauchschwaden, vielleicht von Weihrauch | |
Gottes Sohn stinkt. Glauben Sie nicht? Stimmt aber. Jedenfalls wenn man der | |
Bibel vertraut, der einzigen Quelle für die Behauptung, dass vor nunmehr | |
auf den Tag genau 2021 Jahren der Heiland geboren wurde. | |
„Es riecht nach Weihnachten“, denkt und sagt jeder, der in christlichen | |
Kontexten aufgewachsen ist, automatisch, bloß wenn es mal ein wenig nach | |
Zimt, Nelke, einem Spritzer Apfel, einem Hauch Mandel und einem Krümel | |
Lebkuchen riecht. Dabei dürfte es an Jesu Geburtstag im Stall zu Bethlehem | |
im buchstäblichen Sinn tierisch gestunken haben, nach Ochs und Esel. Von | |
lieblichem Weihnachtsduft, getränkt von Vanillekipferln, Glühwein, | |
Marzipan, Tannenbaum und Kerzenwachs ist jedenfalls in der „Es begab sich | |
aber zu der Zeit …“ -Story von Lukas keine Rede. Und auch nicht in der | |
Reportage seines Kollegen Matthäus. | |
Dank der Recherchen von Matthäus wissen wir aber, dass einige Tage nach der | |
Geburt von Gottes Sohn drei Sterndeuter auftauchten – dass wir die heute | |
als „die Heiligen Drei Könige“ bezeichnen, geht auf mittelalterliche Fake | |
News zurück – und Geschenke mitbrachten. Drei Dinge hatte die drei Jungs | |
dabei: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Mit Ausnahme des Goldes (damals so | |
üblich) waren es also Duftstoffe (bis heute so üblich). | |
Weihrauch, das beim Verbrennen einen kräftigen, würzigen Geruch verbreitet | |
und Myrrhe, das duftende Harz eines immergrünen Baumes, das damals | |
multifunktional als Deo, Parfum und Raumspray (meist bei Beerdigungen) | |
eingesetzt wurde. Bis heute ist Duftstoff beziehungsweise Parfum ein | |
Weihnachtsgeschenkklassiker, und man tut ihm unrecht, wenn man es als | |
fantasieloses Last-Minute-Präsent bezeichnet. Denn ganz offenbar war Parfum | |
das erste Weihnachtsgeschenk in der Geschichte der Weihnachtsgeschenke. | |
## Bauplan für den perfekten Geruch | |
Tausende Jahre beackerten Kohorten von Bibelexegeten, Historikern und | |
Krippenbauern die Frage: Warum Myrrhe, warum Weihrauch? Sie lieferten sich | |
große Interpretationsschlachten, wussten dies und jenes besser. Aber auf | |
die naheliegende Antwort kam keiner von ihnen: um den Geruch von Ochs und | |
Esel zu vertreiben. Hätte man schließlich einem nach Stall und Schweiß | |
riechenden armen Schlucker abgenommen, dass er Gottes Sohn ist? | |
Der Schriftsteller Patrick Süskind ist einer der wenigen, der das | |
olfaktorische Element in den Schöpfungsmythen erschnuppert hat. In seinem | |
Roman „Das Parfum“ – der zu den weltweit am meisten verkauften deutschen | |
Romanen zählt – lässt er seinen Antihelden Jean-Baptiste Grenouille | |
erkennen, dass Gott den Menschen stinkend erschaffen hat. | |
Diese Erkenntnis treibt Grenouille dazu an, ebenfalls ein Schöpfergott zu | |
werden. Aber ein perfekter. Einer, der den Fehler in Gottes Bauplan mit | |
einem eigenen Bauplan für den perfekten Geruch übertrumpft (von Grenouille | |
stammt auch der wunderbare Satz „Gott stinkt“). | |
## Vertreibung der stinkenden Seelensorgen | |
Grenouille wird zum Mörder, um sein himmlisches Parfum zu kreieren. Die | |
Puristen unter den Naseweisen erklären das so, wie Schöpfergott und | |
Wissenschaftler es tun würden: Grenouille musste scheitern, so wie jeder | |
scheitern muss, der meint, er könne es Gott gleich tun (Prometheus, Faust, | |
Frankenstein). | |
Und die Verfechter der reinen Seele (Kulturprotestanten, | |
Bioladen-Abonnenten, Aussteiger) würden sicher noch einwenden, dass man | |
seinen Körpergeruch ohnehin nicht loswerden könne, da helfe auch kein | |
Vollbad in Eau de Parfum. Es sind die gleichen Leute, die auch daran | |
glauben, dass man zu seinem Körpergeruch stehen muss wie zu Schamhaar, | |
familiärer Hypercholesterinämie und der Verfassung. Leute, die wie | |
Schöpfergott und Wissenschaft nichts übrig haben für Versuchung und | |
Verführung, für Illusionskunst und flüchtige Wahrheiten. | |
Das alles aber ist Parfum. | |
Wer es protestantisch-asketisch mag, wird Parfum immer für überflüssig, | |
dekadent und unnatürlich halten. Wer so denkt, dürfte sich | |
konsequenterweise aber weder die Haare kämmen noch die Zehennägel schneiden | |
und maximal drei Mal in seinem Leben eine neue Unterhose kaufen. | |
Wer es lieber katholisch-grenzüberschreitend mag, kann gar nicht genug | |
Flakons zu Hause rumstehen haben. Denn wer sich nicht ständig auf die Suche | |
nach seinem wahren Ich oder seinem unverfälschten Selbst begeben oder sich | |
mit seinem unvollkommenen Körper zufrieden geben will, nimmt ein paar | |
Sprühstöße und vertreibt damit alle stinkenden Seelensorgen. Und wer auf | |
die zunehmende Protestantisierung des Alltags (Scham, Moral, Verzicht, | |
Mäßigung) und ein damit einhergehendes Leben mit angezogener Handbremse | |
keinen Bock hat, sollte immer noch einen Sprühstoß extra auflegen. | |
## Schutz vor Schnüfflern | |
Ob Atheist oder bibelfest, es gibt auch einen ganz praktischen Grund, sich | |
in einen Geruch zu hüllen, der den des eigenen Körpers zu verdecken | |
versucht: den Schnüffler. Also den Hund, beziehungsweise die Odorologie, | |
die kriminalistische Methode der Täteridentifizierung mittels Körpergeruch. | |
Zuerst von den Niederländern Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt, wurde | |
die Technik der „Geruchsdifferenzierung“ vor allem von der Stasi | |
verfeinert, in der DDR der 1970er Jahre: man steckte Stofflappen mit dem | |
Geruch eines Körpers in luftdicht verschlossene Glasbehälter. Auf diese | |
Weise sollte ein Archiv aufgebaut werden, in dem jeder Staatsbürger mit | |
einer Duftprobe vertreten sein sollte. | |
Noch können unsere Handys uns nicht riechen. Dauert aber sicher nicht mehr | |
lang. Der Duft wird dann das werden, was heute noch das Passwort und die | |
Zwei-Faktor-Authentifizierung ist. Statt der Aufforderung nach Eingabe der | |
ganz persönlichen Zahlen- und Zeichenkombination à la | |
Sh&9lNqU2+!X?TBpÖAYb:3if wird das Smartphone uns auffordern: Bitte | |
Geruchsprobe abgeben. Dann wird es sich aber auch von keinem Ausknopf und | |
keiner Batterie mehr abhängig machen und sich so lange nicht ausschalten | |
lassen, wie es uns erschnuppern kann. | |
Das Handy wird uns also so lange überwachen können, wie es uns riechen | |
kann. Als Gegenmittel müssten wir uns ein kleines Parfumlabor anlegen, aus | |
dem wir uns ständig neue Düfte mischen, die wir dann wie Passwörter gegen | |
fremde Benutzung auflegen und auf diese Weise die Handys austricksen, um | |
sie ausschalten zu können. | |
Eine weitere Frage ist, ob wir in Sachen Körpergerüche wirklich | |
aufgeklärter und nachhaltiger sind als die Fürsten und Königinnen der | |
Vergangenheit, die sich mangels Seife und sauberem Wasser mit Duftpuder | |
einstäubten, was das Zeug hielt. Wassermangel ist auch heute wieder ein | |
Riesenthema, das uns in Zukunft immer stärker beschäftigen wird. Und das | |
Mikroplastik aus unseren Shampoos und Duschgels füllt sowieso schon die | |
Mägen der Wale und verpestet die Luft in den Alpen. | |
Die Lösung für all diese Probleme kann nur sein: Weniger Duschen, mehr | |
sprühen! Und die revolutionärste Parole unserer Zeit lautet: Parfümiert | |
Euch! Auch, wenn ihr zu Hause bleibt. | |
24 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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